schaftsklassen. Und so hat sich denn die konservativ-klerikale Mehrheit, wenn auch schweren Herzens, darein gefügt, daß die Frauen zum ärztlichen Studium, zur Apothekerlaufbahn und zum Oberlehrerinnenberuf zugelassen werden. Weiter wollen die Herren auf keinen Fall gehen, ja, ihnen scheinen diese Rechte schon zu viel des Guten zu sein, und so bitten sie denn die Regierung flehentlich,„vielleicht die schon zu weit gehenden Konzessionen, die bereits gemacht worden sind, einigermaßen wieder einzuschränken." Viel will es nun allerdings nicht bedeuten, daß dem weiblichen Geschlecht einige gelehrte Berufe eröffnet sind. Gewiß, die Frauen dürfen studiren oder doch wenigstens Vorlesungen mit anhören. Aber abgesehen davon, daß sie erst jedesmal die Erlaubniß des betreffenden Dozenten einholen müssen, also ganz der Laune und Willkür der Universitätslehrer preisgegeben sind, ist auch ihre ganze Vorbildung darauf eingerichtet, ihnen das Studium möglichst zu erschweren. Während die Vorbildung der männlichen Jugend planmäßig darauf abzielt, ohne allzu große Schwierigkeiten die Ablegung des Abiturientenexamens zu ermöglichen, bestehen für die Frauen den Knabengymnasien entsprechende staatliche Institute in Prenßen nicht. Sie müssen sich privatim vorbereiten, um die Reifeprüfung zu bestehen, ein Weg, der nicht nur kostspieliger, sondern auch ungleich schwieriger ist als derjenige, welcher die Männer zur Universität führt. Wenn sich trotzdem in den letzten Jahren in Preußen zur Gymnasialreifeprüfung 23 Damen gemeldet haben, die nach dem Zugeständniß des Kultusministers mit wenigen Ausnahmen das Examen recht gut bestanden, so ist das die beste Widerlegung der bekannten Phrase, daß die Frau zum Studium weniger befähigt sei als der Mann, und wer, wie Herr Dr. Bosse, aus der verhältniß- inäßig geringen Anzahl von Damen, die sich zur Ablegung des Examens gemeldet habe», etwa den Schluß zieht, daß ein Bedürfniß nach höherer Frauenbildung nicht vorhanden ist, der verfällt in den verhängnißvollen Fehler, daß er Ursache und Wirkung verwechselt. Erst öffne man den Frauen die Bahn, erst gebe man ihnen dieselbe Gelegenheit zur Vorbereitung wie den Männern und warte die so gewonnenen Resultate ab, ehe man voreilig einen Schluß zieht! Es ist wahrhaft erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit die Regierung sich einer so bescheidenen Forderung der Frauen widersetzt. Stimmen doch die meisten Universitätslehrer, mögen sie auch sonst über die Frage des Frauenstudiums getheilter Ansicht sein, darin überein, daß den Frauen die gleiche Vorbildung wie den Männern gewährt werden muß, wenn ihr Studium für sie von Nutzen sein soll. So äußert sich, um nur ein Beispiel anzuführen, Herr Prof. Lassar in seitdem gehalten hat? Sie ist sehr schön!" Es lag etwas Lauerndes in der Stimme des jungen Mannes, als er diese Frage aussprach. „Ganz sicher, Herr Dernburg , ich habe sie nicht aus den Augen gelassen in diesen vier Jahren. Sie hat nichts im Kopfe als ihre Arbeit, ihr Fortkommen. Hat sich ja auch brav emporgearbeitet." „Und die Verwandten?" „Die Alte ist vor einem halben Jahre im Zuchthaus gestorben, die Männer, sie haben übrigens gar kein Anrecht an Helene, also die Männer sitzen noch auf Jahre hinaus. War ein guter Fang, den die Polizei damals machte, sie hob ein ganzes Diebes- und Hehlernest aus. Wirklich'n Wunder, daß das Kind nicht darin zu Grunde ging." „Ja— ja— aber was ich sagen wollte, Westhoff— wir sind ganz von unserer Sache abgekommen—" Richard Dernburg war aufgestanden und schritt durch das Zimmer —„also, wenn Sie meinen, lassen wir Alles wie es ist. Nur die Gehaltsfrage— ich finde wirklich, daß Ihr Schützling ganz schauderhaft bezahlt wird. Sagen Sie ihr mal— aber nein, besser, ich sage es ihr selbst— schicken Sie mir Fräulein Burkhard her." „Sehr wohl, Herr Dernburg ." Der Alte verneigte sich leicht und ging. Wenige Minuten später trat Helene vor den neuen Ehef. Sie hatte sich in diesen vier Jahren sehr verändert. Kein Mensch hätte in der einfach aber geschmackvoll gekleideten jungen Dame die wilde, halb verwahrloste Lene aus der Müllerstraße wieder erkannt. Ihr jugendschlanker Körper zeigte ein vollendetes Ebenmaß, auf dem schmalen feinen Gesicht lag ein schwermüthiger Zug, der ihm eine eigenthümliche Pikanterie verlieh, jene Pikan- terie, die dem Kenner weiblicher Reize noch über eine regelmäßige Schönheit geht. einem vor Kurzem im Verein Berliner Kaufleute und Industrieller gehaltenen Vortrag über das medizinische Studium der Frau folgendermaßen:„Den weiblichen Angehörigen des Staats nun verschließt sich einstweilen diese Quelle der Vorbildung und macht damit ihr ferneres wissenschaftliches Studium unmöglich. Denn selbstverständlich fängt jede ernsthafte Diskussion über ein Frauenstudium erst jenseits des Abiturientenexamens an. Was von den Studirenden der Hochschulen als Nachweis gesetzlich festgestellter Vorbildung verlangt werden muß, kann den Frauen unmöglich erlassen bleiben. Ohne Gymnasium keine Universität. Mögen vereinzelte bevorzugte Existenzen oder persönliche Begabung und Anstrengung solches Ziel auf privatem Wege erreichen. Für irgend in Betracht kommende größeren Verhältnisse kann dies höchstens als Vorstoß, nicht wie die Erfüllung eines Bedürfnisses erkannt werden." Und wenn nun die Frauen glücklich ihre Universitätsstudien beendet, wenn sie mit unsäglichen Opfern an Zeit und Geld sich einer so schwierigen Aufgabe gewidmet haben, dann ist es ihnen noch nicht einmal gestattet, in Deutschland das Staatsexamen abzulegen. Zu diesem Zwecke müssen sie ins Ausland gehen, was abermals mit großen Geldausgaben verknüpft ist, die nur wenige aufzubringen im Stande sind. Aber trotz dieser schreienden Ungerechtigkeit, trotz dieser offenbaren Zurücksetzung des weiblichen Geschlechts hinter dem männlichen hat sich Regierung und Volksvertretung in Preußen bisher nicht entschließen können, eine andere Haltung zu bethätigen; die Petitionen, die Jahr für Jahr an das Abgeordnetenhaus gelangen, sind völlig erfolglos geblieben. So beschloß das Haus im Jahre 1892 über zwei Petitionen der Vereine„Frauenbildung Reform" und „Frauenwohl", soweit sie die Errichtung eines Mädchengymnasiums und die Zulassung zum philosophischen Studium betreffen, zur Tagesordnung überzugehen, soweit sie die Zulassung zum medizinischen Studium und die Erlaubniß zur Ablegung eines Maturitätsexamens an einem Gymnasium betreffen, dieselben der Regierung zur Erwägung zu überweisen. Einige Jahre später ging das Haus über eine ähnliche Petition einfach zur Tagesordnung über, und dasselbe Schicksal widerfuhr erst vor wenigen Tagen, am 3. Mai, einer Petition von Helene Lange und Marie Mellien, betreffend die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium und zu den Staatsprüfungen.„Wir haben Damen, welche hier als Medizinerinnen praktiziren", so äußerte sich bei dieser Gelegenheit der konservative Abgeordnete von Kölichen, der damit wohl der Ansicht der Mehrheit des Hauses Ausdruck gab, „und wenn sie das mit Erfolg thun, so sehen wir das nicht ungern. Aber hier eine Gleichberechtigung den Frauen mit den Männern auf Richard Dernburg war solch ein„Kenner". Der langjährige Aufenthalt in Paris , der erst durch den kürzlich erfolgten Tod seines Vaters und die damit verknüpfte Uebernahme des Geschäfts beendigt worden war, halte seinen Blick geschärft. Voll unverhohlener Bewunderung maß sein Auge die junge Direktrice. Mit der strahlendsten Liebenswürdigkeit, die ihm zu Gebote stand, streckte er ihr die Hand entgegen:„Verzeihen Sie, wenn ich Sie erst heute so recht eigentlich begrüßen kann, Fräulein Burkhard, die äußeren Geschäfte haben mich indessen noch zu sehr in Anspruch genommen." „Oh, aber— ich bitte—" Lehne brach ab. Es lag etwas in den Augen des Mannes da vor ihr, das schon bei den ersten flüchtigen Begegnungen ihr Herz höher schlagen ließ, und das ihr auch jetzt die Sprache raubte. Verwirrt schlug sie die Augen nieder, kaum daß sie seiner Einladung, Platz zu nehmen, schüchtern zu folgen wagte. Er rückte seinen Stuhl zu ihr heran:„Ich habe soeben mit Westhoff von Ihnen gesprochen, Fräulein. Wir sind Ihnen großen Dank schuldig Sie haben viel für unser Geschäft gethan." „Nur meine Pflicht"— sie erröthete etwas—„Herr Westhoff übertreibt." „Ich habe mich aber überzeugt, daß er Recht hat. Ihre Bindereien sind großartig— wirklich großartig. Sie müssen es schon der Krankheit meines Vaters zu Gute halten, wenn Ihre Verdienste nicht besser bei uns honorirt wurden." „O, ich habe doch nicht geklagt?" Sie war ganz bestürzt. Seine Freundlichkeit erschien ihr auf einmal wie Spott. „Ich weiß— ich weiß. Aber Sie werden trotzdem, denk' ich, nichts dagegen haben, wenn ich Ihr Gehalt auf— na, sagen wir auf hundertfünfzig Mark im Monat festsetze. Rückwirkend auf die letzten sechs Monate. Lassen Sie sich den Betrag noch heute an der Kasse auszahlen."
Ausgabe
8 (25.5.1898) 11
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