Nr. 12.

Die Gleichheit.

8. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2970) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch, den 8. Juni 1898.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

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Wider den Brotwucher! Aus der Bewegung. Ueber Kleider. Feuilleton: Die Reinen. Von Dorothee Goebeler.( Fortsetzung.) Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Frauenarbeit auf dem Ge­biete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Weibliche Fabrifinspektoren. Vereins- und Versammlungsrecht der Frauen.  - Frauenbewegung. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

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Wider den Brotwucher!

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Wie theuer ist das Brot, und wie bald ist ein Laib aufgegessen!" Welche proletarische Hausfrau und Mutter hat nicht schon diesen Seufzer ausgestoßen und dabei bekümmert die hungerigen Mägen überzählt, die an ihrem Tische tagtäglich gefüllt sein wollen. Ganz besonders aber in den letzten Wochen muß die bange Sorge ihr wieder und wieder den Ausruf abgepreßt haben. Die Brot- und Mehlpreise sind gewaltig in die Höhe gegangen, um 2, fast 3 Pf. für das Pfund. In Chemnitz   ist z. B. der Preis für den Sechs­pfundlaib Brot von 62 auf 68 Pf. gestiegen; in Aachen   kostete der Vierpfänder vor etwa anderthalb Monaten 32 Pf., jetzt dagegen kommt er auf 40 bis 42 Pf. zu stehen; in Breslau   wird das vierpfündige Schwarzbrot mit 47 statt mit 31 Pf. bezahlt, das Weißbrot gleichen Gewichts mit 50 statt mit 33 Pf. 2c. Wo der Preis des Brotes nicht gestiegen ist, hat sich das Gewicht bedeutend verringert. So wiegt z. B. in Leipzig   das Sechsgroschenbrot" nur noch 42 statt 6 Pfund. Aus anderen Orten wird die gleiche Thatsache gemeldet. Die Semmeln und Weißbrötchen haben überall an Gewicht abgenommen und sind ihrer Größe nach mehr als zierlich geworden. Die wißigen Berliner haben den winzigen Brötchen bezeichnender Weise den Namen Kanißbrötchen" beigelegt. Hier und da berichten die Zeitungen von einer Ver­schlechterung des Gebäcks: minderwerthige Mehlsorten werden dem besseren beigemischt. Kurz, überall Klagen, daß der Käufer für das gleiche Geld wie früher weniger Brot der Menge oder dem Nähr­werth nach erhält.

Und der Grund der Erscheinung, die sich nicht auf Deutsch­ land   allein beschränkt? Die Getreidepreise sind bedeutend gestiegen. Der Doppelzentner Weizen, der früher 158 Mt. im Preise stand, toftete in einem gegebenen Augenblick 240, 246, ja 248 Mt.; der Preis des Doppelzentner Roggen ist von 109 auf 178 Mt. in die Höhe gegangen. Der spanisch- amerikanische Krieg ist es, der den augen­blicklichen Anstoß zum Anziehen der Getreidepreise gegeben hat, die vermehrte Nachfrage nach Getreide und Mehl behufs Verprovian­tirung der Truppen wurde von den Spekulanten ausgenüßt. Allein das Jobberthum vermochte nur Kapital aus der von dem Kriege geschaffenen Situation zu schlagen, weil die Lage auf dem Getreide­weltmarkt dies ermöglichte. In Folge vorangegangener Mißernten in Rußland   und Indien   und anderer Umstände noch sind ver­hältnißmäßig wenig Getreidevorräthe vorhanden. Es mußte des halb ein anhaltendes Steigen der Getreidepreise bewirken, als schlaue Spekulanten in Amerika   große Mengen von Brotfrucht auf­fauften und zurückhielten, ohne daß noch vorhandene bedeutende Vor­räthe davon auf den Markt geworfen werden und einen Preisdruck ausüben konnten. Klar, offensichtlich erhärten die einschlägigen Ver­hältnisse, wie die Vorgänge des politischen, des allgemeinen wirth­schaftlichen Lebens Einfluß ausübend, in die Eristenz der Frau

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

eingreifen, wie dringend in der Folge deren Pflicht ist, sich um politische Angelegenheiten zu kümmern, wie unabweisbar ihr Recht, als vollberechtigte Staatsbürgerin an der Gestaltung der öffenlichen Verhältnisse mitwirken zu können.

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Aber nicht die augenblicklich entfesselte, reiche Profite ein­säckelnde Spekulation allein ist es, die der deutschen Proletarierin und ihren Angehörigen das Brot vertheuert und sie zum härteren Entbehren zwingt. Schwerer als sie belastet seit Jahren der Getreidezoll das Budget der Armen, der kleinen Leute. Bereits 1879 eingeführt kaum daß die deutsche Arbeiterklasse durch das Sozialistengesetz gefnebelt worden ist es mit verständnißinniger Sorge für den Geldbeutel der schreienden, strohdächerflickenden Junker wiederholt erhöht worden. Von 1887-1891 betrug er sogar per Doppelzentner Weizen und Roggen den stattlichen Sazz von 5 Mr. und trieb den Brotpreis entsprechend in die Höhe. In dem leßtgenannten Jahre wurde er auf 3,50 Mr. herabgesetzt, so daß ihm zur Folge diese ganzen Jahre über das Kilo Brot ,, blos" noch um 4 Pf. vertheuert worden ist. Denn es ist eine unbestreitbare Thatsache: der Zoll treibt um seinen Betrag nicht nur den Preis für das eingeführte ausländische Getreide in die Höhe, er vertheuert vielmehr auch die inländische Brotfrucht und damit Mehl und Brot um die entsprechende Summe. Die deutschen  Brotesser müssen mithin nicht nur als Zollträger an den Staat die Millionen entrichten, welche der Zoll in die Kassen des Fiskus leitet, sondern sie müssen auch den Getreideproduzenten Hunderte und das sind in erster Linie die Großgrundbesitzer Aberhunderte von Millionen mehr für das inländische Getreide bezahlen.

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Gerade weil dem so ist, ist ja die Einführung und Festlegung möglichst hoher Getreidezölle dem deutschen   Junkerthum ein Ziel aufs Innigste zu wünschen. Im Interesse der nothleidenden Klein­bauern, so deklamiren mit dem Augenaufschlag frommer Nächsten­liebe die erb- und schloßgesessenen Herren Ochsengrafen. In Wirk­lichkeit aber nur im Interesse der Großgrundbesizer, welche genug Ackerboden ihr eigen nennen, um große Mengen Körnerfrucht auf den Markt bringen zu können. Das Kleinbäuerlein hat keinen Nußen, dagegen vielfach nur Schaden von den hohen Getreide­preisen. Der Ernteertrag, den es von seinem Aeckerchen einheimſt, ist so gering, daß er oft nicht den Bedarf der Familie deckt. Diese Thatsache haben wieder und wieder nicht blos die um­stürzlerischen" Sozialdemokraten nachgewiesen, sie wurde seiner Zeit als durchaus richtig von dem damaligen Reichskanzler Caprivi  anerkannt. Freilich, das Zeugniß des Mannes ohne Ar und ohne Halm", dem kein fühlendes Herz für die Noth der Champagner bedürftigen Edelsten und Besten in der Brust schlug, wurde von den Herren Agrariern als verdächtig erklärt. Ihn, wie den Herrn von Marschall, der sich um das Zustandekommen der Handels­verträge so verdient gemacht, holte zur Strafe für die Unbot­mäßigkeit gegen der Krautjunker Wünsche der Lucanus. Jedennoch wurde der angeführte Standpunkt vollauf bestätigt durch die Aus­führungen, die im März 1895 gelegentlich der Berathung des ersten Antrags Kaniz der jeßige Reichskanzler, Fürst Hohenlohe, zur Sache machte. Und Fürst Hohenlohe nennt gar viele Are und Halme sein eigen, nicht blos in Deutschland  , auch in schöner Be­thätigung der Internationalität im Lande des Erbfeindes im Westen, im Lande des Erbfreundes im Osten, dazu in Böhmen  und Ungarn  .