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40 Prozent in Folge der Arbeit gesundheitlich bedroht, so die Hüte­jungen, Kartoffelgräber und die in den Ziegeleien beschäftigten Kinder. An den Kindern werde ein wahrer Raubbau getrieben. Kinderschuh­vereine seien mindestens so nöthig, wie Thierschutzvereine. Zu der gesundheitlichen komme die ſittliche Schädigung. Auf dem Lande seien 66 Prozent der erwerbsthätigen Kinder sittlich gefährdet. In Plötzensee waren von 100 jugendlichen Gefangenen 70 neben der Schule dem Erwerbe nachgegangen. Unter den Prostituirten in Berlin feien 11, 12, 13- und 14 jährige Mädchen gefunden worden. Die körper­liche Uebermüdung und die sittliche Verkommenheit erschweren Unter­richt und Erziehung. Angesichts der vorliegenden Thatsachen erscheine es unbegreiflich, daß Großgrundbesitzer, Bäckermeister 2c erklären, sie könnten die Kinderarbeit nicht entbehren. Lebhaft müsse man dagegen protestiren, daß die Schulzeit verkürzt werde, wie es der Abgeordnete Gamp im preußischen Abgeordnetenhause gefordert habe. Die soziale Gesetzgebung sei seit 1890 ins Stocken gerathen, das beweisen auch die Verhältnisse betreffs der gewerblichen und landwirthschaftlichen Kinderarbeit. Nur die Sozialdemokratie hat bisher das gesetzliche Verbot der Kinderarbeit in ihr Programm aufgenommen und tritt für diese Forderung ein. Hoffentlich werde das Wirken des deutschen Lehrerstandes wesentlich dazu beitragen, daß der Drachen Kinder­arbeit erlegt wird, der einer Million deutscher Kinder am Lebens­mark zehrt. In der Debatte, die an den Vortrag anschloß, waren alle Redner, mit einer einzigen Ausnahme, einig in der Verurtheilung der Kinderarbeit neben der Arbeit, welche die Schule fordern müsse. Für die Beseitigung der Kinderarbeit sprachen Martell- Frankfurt a. M., Agaled- Rixdorf, Strafanstaltslehrer Erfurt- Plößensee, Rettor Röhler. Unter heftigem Widerspruch der Versammlung brach der Lehrer Ricke­Rothfärber eine Lanze für die Ausbeutung der Kinder durch die Herren Agrarier, indem er eine drei- bis vierstündige ländliche Arbeit für eine Wohlthat an den Kindern erklärte. Die Versammlung nahm eine Reihe von Thesen des Berichterstatters an. Danach ist die vollständige Beseitigung der überaus verbreiteten ge= werblichen Kinderarbeit zu erstreben, welche die Kinder körperlich und geistig verkümmert und der Schule schwer­wiegende Hindernisse bereitet. Solange aber die sozialen Ver­hältnisse, namentlich die Nothlage zahlreicher Familien, die Durch führung dieser radikalen Maßregel noch unmöglich machen, muß wenigstens eine weitgreifende Einschränkung der Erwerbsthätigkeit der Kinder angestrebt werden. Nach dieser Richtung hier erscheint als durchaus nothwendig: a) das Verbot jeder Beeinträchtigung des regelmäßigen Schulbesuchs durch Rücksichtnahme auf erwerbsmäßige Beschäftigung der Schulkinder, insbesondere Beseitigung der Hüte­schulen, sowie solcher Dispensationen vom Schulbesuch, die im Inter­esse der Erwerbsthätigkeit geschehen. b) Jede erwerbsmäßige Be­schäftigung von Kindern unter 12 Jahren, sowie Akkordarbeit, Doppel­beschäftigung ist zu verbieten. c) Ebenso die Arbeit älterer Kinder Morgens vor Beginn der Schule, nach 6 Uhr Abends und an Sonn­tagen. d) Die Dauer der regelmäßigen täglichen Beschäftigung ist auch während der Ferien möglichst kurz zu bemessen. Bei der Arbeit müssen diejenigen besonderen Rücksichten auf Gesundheit und Sittlich teit genommen werden, die durch das jugendliche Alter geboten sind. e) Ganz zu verbieten ist: Hausiren, Beschäftigung in Wirthshäusern, bei Schaustellungen und Treibjagden. f) Die staatliche Aufsicht ist auch auf die Beschäftigung der Kinder in der Hausindustrie und in der Landwirthschaft auszudehnen. Endlich forderte die Versammlung eine neuerliche und verbesserte Reichsstatistik über die Kinderarbeit und ihre Ausdehnung auf die Arbeit der Kinder in der Landwirth­schaft. Der grundsätzliche Standpunkt, der auf dem Lehrertag zur Frage der Kinderarbeit vertreten wurde, entspricht durchaus den dies­bezüglichen sozialdemokratischen Forderungen. Die deutsche Lehrer­schaft hat sich durch ihre Erhebungen über die Kinderarbeit, der Lehrertag durch seine offene Behandlung der Materie wohl verdient gemacht. Insbesondere ist die unzweideutige Stellungnahme zur Frage der hausindustriellen und landwirthschaftlichen Ausbeutung der Kinder freudig zu begrüßen. Der Lehrertag war von etwa 3500 deutschen und österreichischen Lehrern besucht, 275 Lehrervereine mit 87000 Mit­gliedern waren durch Delegirte vertreten. Man sollte denken, daß die bedeutsame Kundgebung von Einfluß auf die Festlegung aus­reichenden gesetzlichen Schutzes der Kinder sein müßte. Aber im Reiche der deutschen Sozialreform denkt der Vorurtheilslose und der Scharfmacher zu Neunkirchen lenkt.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Mit der Frage der Frauenorganisation beschäftigte sich der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie Desterreichs, der zu Pfingsten in Linz tagte. Genosse Schuhmeier vertrat den Standpunkt, daß separate Frauenorganisationen sich mit der Zeit

als nicht zweckmäßig erweisen würden. In allen Versammlungen sei darauf hinzuwiesen, daß auch die Frauen sich der Organisation an­schließen müssen. Er wendete sich dagegen, daß viele Genossinnen es bemängeln, daß die Frauen sehr bewußter Genossen der Organi­sation fernstehen. Er erachte die Organisirung dieser Frauen nicht unter allen Umständen für nöthig. Jeder verheirathete Genosse müsse aber danach streben, seine Frau aufzuklären. Es sei schon ein Erfolg, wenn die Frauen ihre Männer im Kampfe fördern und ihnen keine Hindernisse in den Weg legten. Kehren Sie sich nicht um meine Ansicht", so schloß er, sondern arbeiten Sie energisch in dem Sinne weiter, den Sie für den richtigen halten, wir werden auch in dieser Sache alle zu demselben Ziele gelangen." Schuhmeiers Ausführungen wurden von den Genossinnen Popp und Glas bekämpft. Genossin Popp sagte: Es ist wahr, daß die verheiratheten Genossinnen sich nur schwer in der Organisation bethätigen können. Für uns aber ist die Frage der Frauenorganisation vor allem eine Frage der Organi­sation der Lohnarbeiterinnen. Die verheirathete Arbeiterin bleibt Lohndrückerin wie die ledige, wenn wir sie nicht geistig und ökono­misch emporheben. Separate Frauenorganisationen haben wir nie erstrebt. Wir wollen nicht, daß die Frage der Frauenorganisation eine Sache blos der Arbeiterinnen sei, wir wollen, daß sie Sache der Gesammtpartei werde.... Wir wünschen, daß die Partei die Ar­beiterinnenbewegung nach besten Kräften und nach Möglichkeit fördert. Wenn wir für Frauensektionen eintreten, so geschieht das nur dort, wo die Arbeiterinnen in kleiner Minderheit sind. Wenn man die Frau in die gewerkschaftliche Organisation einbezogen hat, so ist es auch nothwendig, sie politisch zu schulen und mit dem Geiste der Sozialdemokratie zu erfüllen." Die mit lebhaftem Beifall aufgenom menen Ausführungen der Genossin Popp wurden durch Genossin Glas ergänzt. Sie betonte, daß es wichtig sei, die Frauen soweit zu schulen, daß sie die Kinder sozialdemokratisch erziehen, damit allein sei schon viel erreicht. Das Bestreben müsse dahin gehen, die Frauen den Gewerkschaften zuzuführen als gleichberechtigte Kämpferinnen auf wirthschaftlichem Gebiet, sie aber auch zum Verständniß des proletarischen Gesammt interesses zu erziehen. Angenommen wurde ein Antrag, der es den Kreis- und Wahlkreisorganisationen zumal in der Provinz zur Pflicht macht, den Beschlüssen der Frauenkonferenz ( siehe Nr. 9 der Gleichheit) Rechnung zu tragen.

Frauenstimmrecht.

Die Einführung des Frauenstimmrechts in Viktoria ( Australien ) soll in Aussicht stehen. Der Premier von Viktoria, Sir George Turner, empfing eine Deputation, die um Einführung des Frauenstimmrechts ersuchte, und versprach ihr, demnächst eine dies­bezügliche Vorlage im Parlament einzubringen. Es heißt, daß diese Vorlage Aussicht auf Annahme hat.

Frauenbewegung.

Weibliche Doktoren der Universität Zürich . Die medizinische Fakultät der Universität Zürich hat Fräulein Martha Wygodzinski aus Berlin auf Grund ihrer Dissertation und der abgelegten eid­genössischen Medizinalprüfungen die Würde eines Doktors der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe verliehen. Die staatswissenschaftliche Fakultät der gleichen Universität verlieh die Würde eines Doktors der Rechte Fräulein Anita Augspurg , welche die vorschriftsmäßigen Prüfungen bestanden und eine Dissertation eingereicht hat über Die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England".

Hymnus.

Von Heinrich Heine.

d. z.

Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme. Ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit, und als die Schlacht begann, focht ich voran, in der ersten Reihe.

Rund um mich her liegen die Leichen meiner Freunde, aber wir haben gesiegt. Wir haben gesiegt, aber rund umher liegen die Leichen meiner Freunde. In die jauchzenden Triumphgefänge tönen die Choräle der Todten­feier. Wir haben aber weder Zeit zur Freude noch zur Trauer.

Aufs Neue erklingen die Trommeten, es giebt einen neuen Kampf.­Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme!

Quittung.

Bei der Unterzeichneten gingen für die Wahlagitation ein: 50 Mr. durch Genossin Ihrer.

Frau M. Wengels, Vertrauensperson. Berlin O, Fruchtstraße 30, Quergeb. 2 Tr.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner) in Stuttgart .- Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart .