112 faßte Beschuß dürfte bewirken, daß auch die Staatskirchen der protestantischen Kantone den Frauen in Kirchenangelegenheiten das Stimmrecht verleihen. Von verschiedenen Seiten wird die Neuerung im Interesse eines regeren kirchlichen Lebens befürwortet. Zumal in den Städten erfolgen die Wahlen der Pfarrer unter sehr schwacher Be- theiligung der Wähler. Da erwartet man denn, daß die Frauen, die durchschnittlich bessere Kirchenbesucherinnen sind, sich bei Zuer- kennung des Stimmrechts rege an den Wahlen betheiligen werden. Frauenarbeit auf dem Gebiet der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Zunahme der Frauenarbeit in den Pereinigten Staaten. Für die Jahre 187», 188» und 189» ist eine statistische Zusammenstellung über die Frauen- und Kinderarbeit in den Vereinigten Staaten gemacht worden, aus der die bedeutende Zunahme der Frauenarbeit erhellt. Es wuchs die Anzahl aller Arbeiter im Alter von über 1» Jahren von 125VS9W im Jahre 187» auf 17 392»99 im Jahre 188» und auf 227356K1 im Jahre 189». Diese vertheilen sich folgendermaßen. Es waren männliche Arbeiter beschäftigt: 137» 188» 189» Landwirthschaft...... 5744314 740997» 8333813 Freie Berufe....... 273841 425947»32t>4» Häusliche und persönliche Dienste 1338663 2321937 2692879 Handel und Transport.... 1209571 1803629 3097701 Industrie und Gewerbe.... 2098246 2 733459 4 06403I Zusammen 10669635 14744942 1882109» Dagegen waren weibliche Arbeiter beschäftigt: 187» 133» 189» Landwirthschaft...... 397049 594654 679523 Freie Berufe....... 92257 177255 311637 Häusliche und persönliche Dienste 973157 1181506 1667698 Handel und Transport.... 19823 62852 228421 Industrie und Gewerbe.... 333997 63089» 1027242 Zusammen 1836288 2647157 3914571 Die Zahl der Arbeiter stieg also in den 2» Jahren um 8151455 oder um rund 76 Prozent, die Zahl der Arbeiterinnen um 2073233 oder um rund 113 Prozent. Eine verhältnißmäßige Abnahme der Frauenarbeit— bei absoluter Zunahme— hat nur auf dem Gebiete der häuslichen und persönlichen Dienste stattgefunden. Hier kamen auf je 10» Männer 187» etwas über 72 erwerbsthätige Frauen und Mädchen, 189» jedoch nur noch nicht ganz 62. Auf allen anderen Gebieten ist sowohl eine relative, wie eine absolute Zunahme der weiblichen Arbeitskräfte zu verzeichnen. Es kamen in der Landwirthschaft 187» auf je 10» Männer fast 7 Arbeiterinneu, 189» etwas über 8. In den freien Berufen wurden 137» auf 1»» Männer 33 Frauen gezählt, 189» deren aber 49. Auf 10» Männer waren 1870 im Handel und Transport nur fast 2 Frauen beschäftigt, 189» jedoch etwas über 7. In Industrie und Gewerbe arbeiteten 187» auf je I»» Männer fast 17 Frauen, 189» aber etwas über 25. Wie in Deutschland so weist auch in den Vereinigten Staaten das Gebiet des Handels und Transports die stärkste Zunahme der Frauenarbeit auf, sehr beachtenswerth ist ferner das bedeutende Anschwellen der Zahl der Frauen und Mädchen, die in den sogenannten freien Berufen thätig sind. Summa Summarum erweisen die vorliegenden Zahlen, daß der Kapitalismus in den Vereinigten Staaten , wie überall, wo er festen Fuß faßt, bezüglich der Thätigkeit und Stellung der Frau sein revolutionäres Werk thut. Frauenbewegung. Die Rückständigkeit und Schwäche der deutschen Fraucn- rechtelei ist durch ihre völlige Thatlosigkeit gelegentlich der letzten Wahlen wieder in hellster Beleuchtung gezeigt worden. In an- erkennenswerther Weise hatten die Damen Cauer und Augspurg den Versuch gemacht, die deutschen Frauenrechtlerinnen im Interesse einer höheren Rechtsstellung des weiblichen Geschlechts zur Antheilnahme au den Wahlkämpfen heranzuziehen. Dieser Versuch ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Der Wahlkampf läßt nirgends auch nur eine Spur der frauenrechtlerischen Bethätigung erkennen. Wir hören nichts davon, daß frauenrechtlerische Organisationen oder Beauftragte auf Grund eines bestimmten Programms fordernd an die Reichstagskandidaten herangetreten sind. Wir erfahren nichts, daß frauen- rechtlerischerseits der vorhandene persönliche und soziale Einfluß aufgeboten worden ist, um solche Kandidaten zu unterstützen, welche sich verpflichteten, für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Reichs tag einzutreten. Von den Frauenrechtlerinnen ist auch nicht eine einzige Versammlung einberufen worden, die sich mit den Reichstagswahlen beschäftigt und vom Standpunkt der Fraueninteressen aus Stellung zu ihnen genommen hätte. Kurz, Gleichgiltigkeit und die Politik des Nur-nicht-rühren auf der ganzen Linie. Oder sollte vielleicht das politische Interesse der Frauenrechtlerinnen zur Gattung der heißbrennenden„heimlichen Liebe" gehören,„von der Niemand nichts weiß?" Gleicht ihre politische Bethätigung vielleicht„dem kleinen Veilchen", das„fromm und gut" im Verborgenen blüht? Wir glauben kaum. Wie auffällig sticht die Thatlosigkeit der Damen nicht ab von dem Thatendrang, welcher sich mächtig in den frauenrechtlerischen Seelen regt, wenn es sich darum handelt, Protest zu erheben gegen die verunmöglichte Errichtung eines Mädchengymnasiums; Stellung zu nehmen zur Frage eines Reformkostüms oder sich mit ähnlichen welterschütternden Materien zu beschäftigen. Man vergleiche mit der Haltung der deutschen Frauenrechtlerinnen das Vorgehen ihrer englischen, französischen, amerikanischen Schwestern, die Agitation der christlich-sozialen Frauen in Wien ! Man stelle ihr die Begeisterung, den Feuereifer und die Opferfreudigkeit gegenüber, die unsere Genossinnen im Wahlkampf bethätigten. Jeder solche Vergleich fällt über die deutsche Frauenrechtelei ein schärferes Urtheil, als die schärfsten Worte es zu fällen vermöchten. Zur Frauenfrage hat sich Henrik Ibsen , der berühmte norwegische Dichter, in sehr charakteristischer Weise geäußert. Zu seinem 7». Geburtstag fand unter anderen Ehrungen ein Fest des Frauenvereins zu Christiania statt, auf dem der Dichter der„Nora " als Vorkämpfer für die Frauenemanzipation gefeiert wurde. Henrik Ibsen antwortete darauf aus dem Stegreif das Folgende:„Alles. was ich gedichtet habe, ist nicht von einer bewußten Tendenz ausgegangen. Ich bin mehr Dichter, weniger Sozialphilosoph gewesen, als man im Allgemeinen zu glauben geneigt ist. Ich habe niemals die Frauensache als eine Frage an und für sich betrachtet, sondern immer als eine Menschenfrage, nicht als eine Frauenfrage. Es ist sicher wünschenswerth, die Frauenfrage neben den anderen Fragen zu lösen, aber das ist nicht die ganze Absicht gewesen. Meine Aufgabe war die Menschenschilderung, ist diese aber einigermaßen treffend, dann legt der Leser seine eigenen Gefühle und Stimmungen hinein und schreibt sie dem Dichter zu. Man dichtet des Dichters Werk um. Den» nicht allein die, die schreiben, auch die, die lesen, dichten: sie sind Mitdichter. Oftmals sind sie noch poesievoller als der Dichter selbst. Für mich stand es allezeit als eine Aufgabe fest, das Land zu heben und dem Volke eine höhere Stellung zu geben. Bei dieser Arbeit machen sich zwei Faktoren geltend: es gilt für die Mütter durch langsames und angestrengtes Arbeiten ein bewußtes Gefühl von Kultur und Disziplin zu erwecken. Dies muß bei den Menschen hervorgehoben werden, ehe man das Volk weiter heben kann. Die Frauen werden die Menschenfrage lösen, sie müssen es als Mütter thun! Darin liegt eine große Aufgabe für die Frauen." lieber die Zulassung der Frauen zur Advokatur im Kanton Zürich hat das Zürchervolk am 3. Juli gelegentlich einer Gesetzesvorlage abzustimmen, welche eine Neuregelung der Bedingungen für Ausübung der Praxis als Advokat bezweckt. Bisher konnte die Advokatur von jedem aktiven Schweizerbürger frei ausgeübt werden, ein Stand der Dinge, der mehrfache Mißstände gezeitigt haben soll. Zweifelhafte Elemente haben sich zu der Praxis gedrängt und das Recht suchende Publikum geschädigt. Die Gesetzesvorlage macht nun die Ausübung der Advokatur von einem Befähigungsnachweis zur Führung eines Prozesses abhängig. Dieser Befähigungsnachweis muß vor dem Obergericht durch eine abgelegte Prüfung erbracht werden, zu der jedoch nur zugelassen wird, wer ein Jahr lang bei einem Zürcher Gericht oder Rechtsanwalt thätig war. Betreffs der Zulassung der Frauen zur Praxis bestimmt Z 5 der Gesetzesvorlage:„Schweizerbürgerinnen sind für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs den Schweizerbürgern gleichgestellt. Ehefrauen bedürfen für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs der Zustimmung des Ehemannes." Die Regierung sagt zur Begründung dieser Bestimmung:„Diese Erweiterung der Frauenrechte erscheint durchaus gerechtfertigt, nachdem auch weiblichen Personen der Zutritt zu den höheren Unterrichtsanstalten und speziell auch zu der juristischen Fakultät unserer Hochschule gestattet worden ist. Es wäre unbillig, ihnen nunmehr nicht die Anwendung des erworbenen Wissens im praktischen Leben zu ermöglichen, ihnen ein Recht, das sie vor dem Bundesgericht bereits ausüben dürfen, vor den Zürcherischen Gerichten zu versagen." Das ist sehr zutreffend. Recht interessant ist die Thatsache, daß vor dem Bundesgericht, das die höchste Gerichtsinstanz für die Schweiz ist, wie das Reichsgericht für Deutschland , Frauen schon jetzt plädiren dürfen. Ueber den Z 5 der Gesetzesvorlage, der sich auf die Ausübung der rechtsanwaltlichen Praxis durch Frauen bezieht, wird gesondert abgestimmt. 6. Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin (Sißner) in Stuttgart. — Druck und Berlag von I. H. W. Dietz Nachs.(G.m.b.H.) in Stuttgart .
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8 (6.7.1898) 14
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