7 von den 15 Verbänden, welche 1896 eine weibliche Mitgliedschaft hatten, haben eine Zunahme der organisirten Arbeiterinnen zu verzeichnen, 8 dagegen eine Abnahme. Jn 3 von den 7 ersteren Verbänden beträgt die Zunahme an weiblichen Mitgliedern mehr als 100, davon in einer Organisation mehr als 1000, derjenigen der Textilarbeiter(+1885). In 4 der betreffenden Zentralisationen bleibt dagegen der Zuwachs an weiblichen Mitgliedern unter 100 zurück, in 2 davon sogar unter 10. Was die 8 Verbände anbetrifft, deren weiblicher Mitgliederstand sich 1897 verringerte, so haben in 5 mehr als 100 Arbeiterinnen der Organisation den Rücken gekehrt, in einer davon sogar mehr als 2000: im Verband der Schneider(-2813). Die 3 übrigen Zentralisationen verloren unter 100 weibliche Mitglieder, keine von ihnen weniger als 10. Die Handlungsgehilfen haben sich unseres Wissens erst im letzten Jahre der„ General kommission der Gewerkschaften Deutschlands " angeschlossen. Bekanntlich bestehen neben dem zentralisirten Verband der Handlungsgehilfen noch lokale Organisationen, welche auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehen, mehrere davon haben ebenfalls weibliche Mitglieder, über deren Anzahl uns leider nichts befannt ist. Außerdem existirt in Berlin seit Jahren der gutorganisirte, aber harmonieduselige Hilfsverein für weibliche Angestellte", der gegen 11-12 000 Mitglieder zählt. In Leipzig , Stuttgart 2c. sind ähnliche Organisationen der Handlungsgehilfinnen entstanden. Der Verband der Konditoren hatte bereits in früheren Jahren eine ganz unbedeutende weibliche Mitgliedschaft, die ihm jedoch verloren gegangen war. Nur 19 von den 56 Verbänden, über welche die„ Generalfommission" berichtet, haben weibliche Mitglieder, aber in 50 der einschlägigen Berufe sind weibliche Arbeiter beschäftigt. Nur für die Bildhauer, Buchdrucker, Bureauangestellte, Lagerhalter, Schiffszimmerer und Xylographen sind keine weiblichen Berufsangehörigen verzeichnet. Dagegen haben weibliche Berufsangehörige die Bauarbeiter, Bergarbeiter, Böttcher, Brauer, Dachdecker, Gasarbeiter, Hafenarbeiter, Kupferschmiede, Maurer , Müller, Seeleute, Schmiede, Steinsetzer, Stuffateure 2c. Greifbar lassen die vorstehenden thatsächlichen Angaben in Erscheinung treten, wie unendlich viel auf dem Gebiet der gewerkschaftlichen Organisirung der deutschen Arbeiterinnen noch zu thun ist.
Weibliche Fabrikinspektoren.
Der Kursus für die Ausbildung von Fabrikinspektorinnen in München , den der Verein für geistige Interessen der Frau" organisirt hatte, erstreckte sich auf Gewerbehygiene, Arbeiterschutzgesetzgebung und Nationalökonomie. Ueber Gewerbehygiene trug Privatdozent Dr. Hahn vor, über Arbeiterschutzgesetzgebung der Gewerbeinspektor Pöllath, über Nationalökonomie Professor Dr. Haushofer. Der Kursus über Gewerbehygiene umfaßte sechs Vortragsstunden und eine Stunde Experimente; die Geschichte und der Inhalt der Arbeiterschutzgesetzgebung wurde in sieben Vortragsstunden behandelt, an die sich eine Fabrikbesichtigung anschloß; sechs Vortragsstunden waren der Einführung in die Nationalökonomie gewidmet. In Folgendem das Programm der Vorträge: I. Gewerbehygiene: 1. Geschichte der Gewerbehygiene. 2. Organisation der gewerbehygienischen Behörden. 3. Hygienische Erläuterung der in § 120 a und ff. aufgestellten Forderungen. 4. Die Folgen der einseitigen Ueberanstrengung einzelner Organe bei der gewerblichen Arbeit. 5. Die speziell das weibliche Geschlecht treffenden Schäden und deren Folgen, namentlich für die weiblichen Genitalorgane. 6. Nothwendigfeit und Durchführung des Wöchnerinnengesetzes. II. Arbeiterschutzgesetzgebung: 1. Geschichtliche Begründung der Nothwendigfeit des Arbeiterschutzes im Allgemeinen. 2. Die deutsche Arbeiterschutzgesetzgebung bis zum Gesetze vom 1. Juni 1891. 3. Das der= zeitige deutsche Arbeiterschutzgesetz a) in seinen allgemeinen Bestimmungen, b) in seinen Spezialbestimmungen für minderjährige und weibliche Arbeiter. 4. Die Gewerbeinspektion. 5. Die Arbeiterschutzgesetzgebung der wichtigsten außerdeutschen Staaten. III. Nationalöfonomie: 1. Einleitende Betrachtungen über die Grundbegriffe der Wirthschaftslehre. 2. Lehre von der Arbeit; Arbeitslosigkeit; Recht auf Arbeit. 3. Arbeitspolitik, Arbeitsstatistik, Arbeiterfortbildung; ferner Lehre vom Kapital, von den Produktionskosten und deren Einwirkung auf die Preisbildung. 4. Wesen des Einkommens, insbesondere des Arbeitslohnes; Zusammenhang von Arbeitszeit und Lohn; Normalarbeitstag; Strites; Lohnpolitik und Koalitionsrecht u. A. 5. Unternehmergewinn, dessen Stellung zum Arbeitslohne; Betrachtung der wirthschaftlichen Klassen und Gesellschaften; die industriellen Gewerbe im Besonderen, namentlich Gegensatz von Groß- und Kleinbetrieb, Fabrik und Hausindustrie. 6. Aufgaben der gewerblichen Statistik; Unterscheidungen bei der Gründung und Einrichtung gewerblicher
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Unternehmungen; Lehre vom Betrieb. Ein Blick auf das reichhaltige Programm und die knapp bemessene Zeit, in der es erledigt werden mußte, zeigt klar, daß der Kursus vorerst nicht die gründliche Ausbildung der Damen bezweckte, sondern die Einführung derselben in mehrere einschlägige Wissensgebiete.
Soziale Fürsorge für Kinder und Mütter.
Die Fürsorge für hilfsbedürftige Kinder und Mütter läßt sich der sozialistische Gemeinderath zu Lille ( Frankreich ) besonders angelegen sein. Die Bedingungen, unter denen in der genannten großen Stadt die Arbeitermasse lebt, fordern gebieterisch, daß die Kommune diesbezügliche Aufgaben energisch in Angriff nimmt. Lille ist eine der großen französischen Textilzentren. Der Kapitalismus hat hier neben dem Manne auch die Frau in seinen Dienst gezwungen. Tausende von Proletarierinnen sind in den Fabriken thätig. Mit der steigenden Verwendung weiblicher Arbeitskräfte traten alle jene traurigen Begleiterscheinungen auf, welche Hand in Hand mit der kapitalistisch ausgebeuteten Frauenarbeit gehen. Die von der Noth in die Fabrik gepeitschten Frauen wurden außer Stand gesetzt, daheim die Wirthschaft ordentlich zu besorgen, die Kinder zu pflegen und zu betreuen. zahlreich waren die Wöchnerinnen, die im ärmlichen Heim auch die dürftigste Schonung und Abwartung entbehren mußten. Viele Kleine konnten nicht an der Mutterbrust ernährt werden, theils weil der durch Ueberarbeit und Unterernährung herabgekommene Organismus die Milch versagte, theils weil die Noth die Wöchnerin nach der Entbindung zu frühzeitiger Wiederaufnahme der Erwerbsarbeit zwang. Nur in den seltensten Fällen erlaubte das Einkommen der Familien die Beschaffung guter Milch. Neben falscher und ungenügender Ernährung übte der Mangel an Pflege seine kindermordende Wirkung. Die Kindersterblichkeit im Liller Proletariat wies erschreckend hohe Ziffern auf. Hunderte und Aberhunderte von schulpflichtigen Kleinen konnten daheim keine ordentliche Mittagsmahlzeit erhalten, weil die Mutter dem Verdienst nachgehen mußte. Hunderte auch tamen hungrig zur Schule. Die Zahl der Schulversäumnisse war. eine große, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit und Eifer der Schüler wurden herabgemindert. Nach allen Richtungen hin bereitete die Noth den Boden vor für das körperliche Verkommen und die geistigsittliche Verwilderung des proletarischen Nachwuchses. Angesichts dieser Erscheinungen und von der sozialistischen Aktion gedrängt sah sich bereits der opportunistische Gemeinderath von Lille zur sozialen Fürsorge für Kinder und Mütter durch Maßregeln veranlaßt, welche bei uns als Anfang der sozialistischen Zukunftsgreuel erscheinen würden. Aber freilich kam er nicht über die bescheidenen Ansätze der nöthigen kommunalen Reformarbeit hinaus. In weit energischerer und umfassenderer Weise ist dieselbe seither von dem sozialistischen Gemeinderath in Angriff genommen und fortgeführt worden. Der letzte opportunistische Gemeinderath verausgabte 1896 zum Zwecke der Fürsorge für Kinder und Mütter im Ganzen 77000 Frcs., 70000 Fres. davon wurden für die Schulkantinen und für Beschaffung von Kleidung und Schuhen für bedürftige Schüler verwendet; 6000 Fres. für Pflege und Unterstützung von Wöchnerinnen, die in ihrer Wohnung niedertamen und 1000 Frcs. für Beschaffung von unverfälschte Milch für Neugeborene. Das Budget des sozialistischen Gemeinderaths beziffert sich für die gleichen Zwecke im Jahre 1898 auf 246988,75 Fres, also um 169988,75 Fres. mehr. Die Ausgaben vertheilen sich wie folgt: Reine Milch für Neugeborene
=
1000,- Fres.
Hauspflege von Wöchnerinnen
9000,-
Subvention des Vereins zur Unterstützung von Wöchnerinnen
1000,-
=
Sanatorium von St.- Pol( Nordseeküste) für skrophulöse und blutarme Kinder
10000,-
Schultantinen, Kleidung und Schuhwerk für bedürftige Kinder Städtische Krippe
.
.
217000,- 12988,75
•
=
V
Die Vertheilung der Milch für Neugeborene und der Unterstützungsgelder für die Hauspflege von Wöchnerinnen geschieht durch die städtische Armenpflege, welche seitens der Kommunalverwaltung die Weisung erhalten hat, in keinem Falle zu knausern. In den Schultantinen werden täglich fünftausend Kinder gespeist, der größte Theil davon unentgeltlich. Die städtische Krippe wurde im Stadttheil Moulins- Lille im April dieses Jahres eröffnet. Sie steht unter Aufsicht eines bewährten Arztes, wird von einer Frau geleitet und beschäftigt ausschließlich weibliches Personal. Es ist bezeichnend für die Arbeits- und Eristenzbedingungen der Liller Proletarierinnen, daß der Dienst in der Krippe von früh 5 Uhr bis Abends 8 Uhr dauert. Vom 4. April, wo die Krippe mit acht Kindern eröffnet wurde, bis zum 2. Juli wurden in dieser Anstalt 2066 Kleine tagsüber verpflegt.