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liche Arbeiter zu einer bestimmten Zeit durch beamtete Aerzte einzeln| auf ihren Gesundheitszustand untersucht würden, und diese Unter­suchung nach Jahresfrist in gleicher Weise stattfände, nachdem man die tägliche Arbeitszeit sämmtlicher Arbeiter um zwei Stunden bei den bisherigen Löhnen verkürzt hätte.... Eine Schädigung der Ge­sundheit hat bisher thatsächlich nicht festgestellt werden können, wenn­gleich das Aussehen der Arbeiter in denjenigen Fabriken, in denen elfstündige Arbeitszeit üblich ist und die Einrichtungen zur Staub­beseitigung und Luftverbesserung schwer durchführbar oder unzuläng­lich sind, darauf schließen läßt, daß ihnen die zu leistende Arbeit nicht zuträglich ist." Hier ist wenigstens der gute Wille da, Uebel­stände klar kennen zu lernen und zu beseitigen. Was soll man aber dazu sagen, wenn in einem Bericht über die auffallend hohe Ziffer von Blutarmen und Lungenkranken bei den Lackirern, Metallschleifern und Glasbläsern, über Haut-, Augen- und Athmungskrankheiten bei den Lumpenfortirern geklagt und daran die unzulängliche Forderung geknüpft wird auf Einführung eines Marimalarbeitstages von elf beziehungsweise zehn Stunden?

,, Uebermäßig lange Arbeitszeiten, wenigstens nach land­läufigen Begriffen, sind im Regierungsbezirk Magdeburg   nicht üblich", so wird behauptet. In seltsamem Widerspruch zu dieser Behauptung steht die relativ hohe Erkrankungsziffer weiblicher kauf­männischer Angestellter in Folge überlanger Arbeitszeit. Auch betragen in dem Bezirk die Erkrankungsziffern in Bleiweiß  - und Bleizuckerfabriken 105,6 Prozent, in chemischen und Baugeschäften 75 Prozent. Zu der ersten dieser traurigen Ziffer fügt der Bericht hinzu: Dabei muß bemerkt werden, daß hier die Zahlen der Stati­stik die Verhältnisse günstiger darstellen, als sie in Wirklichkeit sind. Denn in der Statistik kommt der starke Arbeiterwechsel, der z. B. in einer der Bleiweißfabriken stattgefunden hat, nicht zum Ausdruck. " Hier wurden im ganzen Jahr nacheinander 98, im Durchschnitt, das heißt gleichzeitig aber nur 17 Arbeiter beschäftigt, so daß das gesammte Personal etwa sechsmal im Jahre erneuert wurde. Der häufige Wechsel hat darin seinen Grund, daß jeder eingestellte Arbeiter nach einer acht bis neunwöchentlichen Thätigkeit frant fortgeht oder entlassen wird." Und die betreffenden Arbeiter sind doch sozusagen auch Menschen! Mitmenschen würden die Frommen sagen.

Eine sehr hohe Erkrankungsziffer von Arbeiterinnen weist die sorgfältig geführte Statistik von Hildesheim   Lüneburg   auf. Die Prozentzahlen der Erkrankungen wie auch der Krankheitstage übertreffen relativ und absolut die der Männer. Soll man aus diesen und ähnlichen Feststellungen schließen, daß die Frauen weniger widerstandsfähig als die Männer gegen manche Einflüsse der Berufs­thätigkeit sind? Oder darf man vielmehr annehmen, daß von keiner Statistik erfaßte Umstände anderer Art den Gesundheitszustand der Frau ungünstig beeinflussen? So z. B. die stete Ueberanstrengung in Folge der Hausarbeit neben der Berufsthätigkeit, schlechtere Ernährung u. s. w. Es wären das jedenfalls Fragen, von deren Beantwortung die fünftige Berufstüchtigkeit und Thätigkeit der Frau wesentlich abhängig sein dürfte.* Daß auch die von uns angeführten Umstände auf die Ge­sundheit der Arbeiterinnen einwirken, dafür spricht z. B. die Beob­achtung des Fabrikinspektors zu Aachen  . Einen besonders nach theiligen Einfluß auf den Gesundheitszustand der Arbeiterinnen übt die mangelhafte Ernährung aus. Die Krankenkassenärzte der Ortskrankenkasse Aachen I, der nur die Betriebe der Textilindustrie angehören, äußerten, daß Blutarmuth besonders viel unter den aus­wärtigen Arbeiterinnen vorkomme, welche auch zum Mittagessen meistens nur Butterbrot und Kaffee genießen."

Von üblem Einfluß auf den Gesundheitszustand der Arbeiterinnen sind bekanntlich auch langes Stehen und Nähmaschinenarbeit. Eine sich über mehrere Jahre erstreckende ärztliche Statistik stellt fest, daß Unterleibserkrankungen mannigfachster Art, gesteigerte Schwanger­schaftsbeschwerden u. s. w. die Folgen übermäßiger Maschinenarbeit sind". Daraus ergeben sich die Forderungen, daß das berufsmäßige

*) Aus den Feststellungen des verdienten Schweizer   Fabrikinspektors Dr. Schuler, sowie aus anderen wissenschaftlichen Arbeiten, ganz besonders aus Forschungen von Aerzten und Hygienikern ergiebt sich unserer Meinung nach unzweideutig, daß sowohl die eine wie die andere Frage zu bejahen ist. Trotzdem kann man daraus unseres Erachtens keine Schlußfolgerungen ziehen auf die künftige Beschränkung der Berufsthätigkeit der Frau im Allgemeinen. Die meisten der gesundheitsschädlichen Einflüsse der Berufsarbeit sind eben der Berufsarbeit nicht an und für sich eigenthümlich. Sie sind lediglich Sie Begleiterscheinungen der kapitalistisch ausgebeuteten Berufsarbeit. verschwinden mit der kapitalistischen   Ausbeutung, so daß es in einer sozia­ listischen   Gesellschaft auch der körperlich widerstandsunfähigeren Frau mög­lich ist, ohne Schaden für ihre Gesundheit berufsthätig zu sein.

Anmerkung der Redaktion.

Nähen für noch nicht reife junge Mädchen ganz zu verbieten, für Arbeiterinnen unter 20 Jahren wie auch für Schwangere zeitlich zu beschränken ist.

Geradezu grauenhafte Gesundheitsverhältnisse herrschen, wie wir bereits gesehen, in den Bleiweiß- und Phosphorfabriken. Eine Packerin einer Zündholzfabrik mußte sofort die Arbeit niederlegen, da Kiefereiterung eingetreten war. In derselben Fabrik wurden in die Phosphorabtheilung Arbeiter eingestellt, die der untersuchende Arzt als untauglich für diese Art Arbeit bezeichnet hatte. Erst durch Strafverfolgung wurde hier eine Aenderung erreicht. Sehr mit Recht bemerkt der Bericht zu diesen und ähnlichen Fällen: Wenn strenge Maßnahmen das Verschwinden dieser Zündholzfabriken zur Folge haben sollten, so könnte das nur mit Freuden begrüßt werden, da in den schwedischen Hölzchen ein vollkommener Ersatz für die stark giftigen Phosphorzündhölzchen vorhanden ist." Zu dem nämlichen Schluß muß man unseres Erachtens auch für eine Reihe anderer Betriebe gelangen. Drängt sich dasselbe nicht auch auf, wenn der Kreisphysikus zu Altenau   von den Nadelschleifern sagt: Die Nadel­schleifer gehen durchschnittlich nach 15- bis 25jährigem Betriebe ihres Gewerbes, oder, da sie dasselbe gewöhnlich im Alter von 13 bis 15 Jahren beginnen, zwischen dem 30. und 40. Jahre an Lungenschwind­sucht zu Grunde"? Wenn es von einer chemischen Fabrik heißt, die Chromate und Säuren zur Wachsbleiche aus äßenden und giftigen Stoffen herstellt: Das Krankenbuch ergiebt, daß von 25 gesund( in einem neuen Betrieb) eingestellten Arbeitern innerhalb vier Monaten 14 Arbeiter trotz aller angewandten Vorsichtsmaßregeln erkrankten"? Ist in gewissen Industrien durch keinerlei Maßnahmen eine Sanirung zu erzielen, so sollte man entweder andere Produktionsmethoden auf­finden( wie das in der Spiegelbelageindustrie bereits geschehen ist), oder man sollte auf Produkte verzichten, die nur durch Opfer an Leben und Gesundheit zu erlangen sind. Unter allen Umständen aber müßte jede Beschäftigung mit bleihaltigen und anderen sehr giftigen Stoffen den Müttern der kommenden Generation verboten werden.

Sehr viel zu wünschen lassen auch die gesundheitlichen Zustände der in der Tabakbranche des Kreises Minden beschäftigten Arbeite­rinnen. Während für das Reich auf je 100 weibliche Mitglieder der Krankenkassen für das Jahr 1895 31,2 Erkrankungen entfallen, steigt die Zahl für das Königreich Preußen auf 32,9 und beträgt im Regierungsbezirk Minden   35,1. Die Mindener   Kasse weist 42,4 Pro­zent erkrankte Frauen gegen 23,5 Prozent erkrankte Männer auf. Auch hier ist es die Proletarierkrankheit, welche die schlimmsten Ver­wüstungen anrichtet. Der Bericht bemerkt dazu: Die verheerendste Krankheit der Arbeiter ist die Lungenschwindsucht. Ein in Arbeiter­freisen sehr stark beschäftigter Arzt in Bünde   behauptet, daß rund 90 Prozent aller Todesfälle von Zigarrenarbeitern auf Tuberkulose zurückzuführen seien. Diese Aussagen fanden ihre Bestätigung beim Durchsehen der Krankenjournale, welche neben häufig auftretenden Frauenkrankheiten, die auf die sitzende Thätigkeit zurück­zuführen sind, namentlich Katarrhe der Lungen, des Kehlkopfs, des Magens und Darmes anführten. Letztere Erkrankungen sollen bei diesen Arbeitern zumeist ebenfalls ihren Ursprung in tuberkulösen Erscheinungen haben." Eine bezeichnende Antwort auf die Frage nach den Ursachen, auf welche neben erblicher Belastung die Lungen­schwindsucht zurückzuführen ist, findet sich einige Zeilen weiter in der Schilderung eines Heimes" der Zigarrenhausindustrie: In einem Raume von 2 Meter Höhe und 2 x 3,5 Meter Grundfläche, also von 14 Rubikmeter Inhalt, befanden sich drei erwachsene Personen und drei Kinder, so daß auf den Kopf 23 Kubikmeter Luftraum kommen. An einer anderen Stelle arbeiteten Mutter und Sohn in einer kleinen Küche, wo gleichzeitig gekocht wurde, während die Ein­lage in der Stube über dem Ofen getrocknet wurde."

Faßt man die Ergebnisse der Berichte bezüglich der sanitären Zustände in der preußischen Fabrikindustrie als ein Ganzes zusammen, so gewinnt man den Eindruck, daß in den meisten Fällen die Erfolge der sanitären Anordnungen und Schuhvorrichtungen weit hinter dem Mindestmaß dessen zurückbleiben, was im Interesse der Arbeiterschaft verlangt werden muß. Das liegt vor allen Dingen daran, daß die betreffenden Maßnahmen selbst nicht weitgehend und umfassend genug sind. Das ist zum Theil auch begründet in dem stillen und offenen Widerstand der Unternehmer, der kleinen mehr noch wie der großen; zum Theil in den falschen Begriffen über die Grenzen menschlichen Ertragens und menschlicher Leistungsfähigkeit auf Seiten der Gewerbe­beamten.

Aber die Berichte sind noch nach einer anderen Richtung für uns bedeutsam. Sie sind Zeugnisse von Leuten, die selbst unsere schlimmsten Gegner als einwandsfrei gelten lassen müssen. Denn die Gewerbeaufsichtsbeamten treten im besten Falle mit unbefangener Sachlichkeit an die Prüfung der Verhältnisse heran, meist sind sie aber