fehrt, wo 49101 geschiedene Frauen 71895 geschiedenen Männern gegenüberstehen.

Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.

168

Sozialistische Agitatorin und Pastorsgattin. Eines der thätigsten Mitglieder der Independent Labour Party"( Unabhängigen Arbeiterpartei) in England ist Miß Enid Stacey oder richtiger Frau Enid Widdrington. Enid Stacey, die einer bürgerlichen Familie ent­stammt, schloß sich schon als sehr junges Mädchen der sozialistischen  Bewegung an. Sie hat höhere Studienkurse an der Universität ab­solvirt und den Titel als Bachelor of Arts  ", Magister der Künste, erworben. Ihre reichen Kenntnisse, sowie ihr starkes Talent stellt sie seit Jahren rückhaltslos in den Dienst der sozialistischen   Idee und zählt zu den rührigsten und erfolgreichsten agitatorischen Kräften der ,, Unabhängigen Arbeiterpartei". Kürzlich verheirathete sich Enid Stacey mit Herrn Widdrington, einem Pastor der Nordenglischen Kirche. Sie führt in der Oeffentlichkeit ihren Mädchennamen weiter und ist als Pastorsgattin die gleich energische, allzeit kampfbereite sozialistische Agitatorin, wie vor ihrer Verheirathung. So mußte sie erst in letzter Zeit vor dem Tribunal eines Ortes der Kohlendistrikte unter der Anklage erscheinen, durch ihre Agitation den öffentlichen Straßenverkehr gehindert zu haben. Sie hatte nämlich von einem sozialistischen Van"( Propagandawagen) herab eine feurige Agi­tationsrede gehalten und ein zahlreiches Publikum um sich versammelt. Unsere Genossin vertheidigte sich selbst vor den Richtern und wurde. freigesprochen. Wir Deutsche   sind gewöhnt, daß von ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen bürgerliche Damen ihre Sympathien für den Sozialismus höchstens hinter gut geschlossenen Thüren vertrauten Freunden ins Ohr flüstern, in der Deffentlichkeit aber ihre Ueber­zeugungen vorsichtig mit dem Schweig' stille, mein Herz" im Zaume halten. Ganz besonders gilt dies von den bürgerlichen Damen, die ,, Rücksicht nehmen müssen" auf die Stellung ihres Mannes oder sonstiger Familienangehörigen. Wir Deutsche   sind es gewöhnt, in der Deffentlichkeit nicht ein Wort zu sprechen, ohne daß wir im Zeichen der heiligen Pickelhaube nach Anmeldeschein, Polizeibewilli­gung, Name, Thema 2c. gefragt werden. Muthet es uns nicht wie eine wundersame Mär an, daß in einem anderen Lande eine Pastors­gattin in den vordersten Reihen einer sozialistischen   Partei kämpft, daß eine Pastorsgattin vom Wagen herab Agitationsreden an die Menge hält?

--

Frauenbewegung.

-

* Ueber den internationalen Frauenkongreß, der nächstes Jahr in London   stattfinden wird, schreibt Mrs. May Wright Sewell in dem Bostoner   ,, Women's Journal" einen längeren Artikel, der für die Ueberhebung und Beschränkheit der bürgerlichen Frauenbewegung selbst dort, wo sie, wie in Amerika  , aufgeklärt und verhältnißmäßig vorgeschritten ist, wieder einmal Zeugniß ablegt. Der Kongreß wird vom 27. Juni an acht Tage dauern und seine Arbeiten in folgende Gruppen eintheilen: Erziehung, höhere Berufe, die Frauen in der Industrie, Zivilrecht, politische Rechte, soziale Stellung. In jeder dieser sechs Gruppen", heißt es dann weiter, soll das Größte gezeigt werden, was Frauen darin erreicht, und das Beste, was sie darin angestrebt haben." Nun wird aber an anderer Stelle ausdrücklich erklärt, daß nur Delegirte der Nationalen Frauenverbände zu Refe­raten und Verhandlungen zugelassen werden. Aus alledem folgt, daß die Schreiberin die Ansicht hat, nur diese Verbände wären allein die Berufenen, um das Größte" und Beste", das in ihren Vater­ländern erreicht und erstrebt worden ist, dem Kongreß vorzuführen. Was sagen die deutschen   Arbeiterinnen dazu, die mit den größten Opfern um das größte Ziel ringen, die unentwegt im härtesten poli­tischen und sozialen Kampfe stehen? Brechen sie nicht in helles Ge­lächter aus, wenn sie daran denken, daß der Bund deutscher Frauen­ vereine   auf jenem Kongreß ganz Deutschland   vertreten wird?

Für die Mitwirkung der Frauen bei der Armenpflege in Dortmund   hat sich die Stadtverwaltung fürzlich ausgesprochen. Die Anregung zu der Neuerung ist nom Magistrat ausgegangen, der dieselbe eingehend begründet hatte. Seine Vorlage wurde nach leb­hafter Debatte mit 27 gegen 18 Stimmen angenommen. Unter welcher Form und innerhalb welcher Grenzen die Frauen bei der Armenpflege mitwirken sollen, darüber liegen uns keine Angaben vor.

Zahl der Studentinnen au Schweizer   Universitäten. Im letzten Halbjahr studirten an den Schweizer   Universitäten 843 Damen. Zürich   zählte 216 Studentinnen, Genf   und Bern   je 135, Lausanne  95, Freiburg   43 und Basel   13. 1897 studirten in der Schweiz  nur 728 Frauen.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Alara Zetkin( Eißner) in Stuttgart  .

* Die in Privas( Frankreich  ) streikenden Walkerinnen sind von sämmtlichen französischen   Frauenvereinen durch Geldzuwen­dungen in ihrem Kampfe unterstützt worden. Die Zeitungen der Frauenrechtlerinnen sammelten für die Streikenden. Wohl ein be­schämendes Beispiel für die deutsche bürgerliche Frauenbewegung. In Deutschland   sind bisher nur einzelne Gruppen der Frauen­bewegung in ganz seltenen Ausnahmefällen für kämpfende Arbeite­rinnen eingetreten. Die Walferinnen von Privas traten in den Aus­stand, um eine Erhöhung ihres Lohnes zu erzielen, der 90 Centimes ( 72 Pfg) pro Tag beträgt.

* Auswüchse des patriotischen Siegesjubels findet man jetzt vielfach bei den Amerikanerinnen. Die Töchter der Dollarfönige lassen sich genau nach dem Modell der Uniformen amerikanischer Regimenter Anzüge machen, deren größte Kostbarkeit in" echten" Uniformknöpfen besteht. Diese Knöpfe müssen von Uniformen solcher Soldaten stammen, die mitten im Kampfe standen und womöglich verwundet wurden; jeder solcher Knopf wird mit Gold aufgewogen! * Die chinesische Regierung steht dem Londoner   Frauen­kongreß sympathisch gegenüber. Sie ernannte zwei Chinesinnen als Delegirte für denselben. Die Kaiserin von China   soll sich per­sönlich für die Frauenbewegung interessiren, der sie von Kindheit an schon dadurch Vorschub leistete, als sie das äußere Kennzeichen der Versklavung chinesischer Frauen, die künstlich verkrüppelten Füße, niemals aufzwang.

114 Lehrerinnen gegenüber 1316 Lehrern und ferner 347 Arbeitslehrerinnen zählt der Kanton Zürich  . Von den letzteren haben 10 eine 38 jährige Dienstzeit hinter sich. dz.

Gegen die Zulassung der Frauen zum Apothekerberufe erklärte sich die Generalversammlung des deutschen   Apo­thefervereins, die in letzter Zeit in Köln   tagte. Allerdings nicht unbedingt, sondern gnädiglich nur für solange, als die Frauen in Deutschland   nicht zu den anderen gelehrten Berufen zugelassen werden. Die Herren Pillendreher erklärten damit, wir schneiden unseren Zopf nicht eher ab, als andere spießbürgerliche Gelehrte den ihrigen ab­schneiden. Auch ein Standpunkt.

Weiblicher Doktor der Philosophie. An der Züricher  Universität hat das Fräulein Mary Alien Willery von Wellesley( Nordamerika  ) auf Grund der eingereichten Dissertation und vorschriftsmäßig abgelegter Prüfungen die Würde eines Doktors der Philosophie erworben. dz.

Den Aerztinnen   Frau Dr. Gisela Kuhn in Remscheid  und dem Fräulein Dr. Mosta in Barmen ist das Praktiziren an den dortigen Krankenhäusern verboten worden. Vielleicht männlicher Ronkurrenzneid? Frau Dr. Kuhn hat ihre Studien an der Universität Zürich   gemacht.

dz.

* Einen weiblichen Steuereinnehmer hat St. Stowts, eine fleine englische Stadt, erhalten.

*

Zum Standesbeamten in Manchester   ist Mrs. Pankhurst ernannt worden. Sie hat freilich in ihrem Amte in England nicht die Trauungen zu vollziehen, sondern nur die Geburten und Todes­fälle zu registriren.

* Die amerikanische   Armee hat eine Frau in ihren Ver­band aufgenommen. Miß Anita Newcomb McGee   ist zum Armeehilfswundarzt ernannt worden und hat damit zu gleicher Zeit einen militärischen Rang erhalten.

* Einen weiblichen Sanitätsinspektor hat Los Angelos  in Kalifornien   erhalten. Miß Emilie Lutz, die Sanitätsinspektorin, ist eine Krankenpflegerin deutscher   Herkunft.

Lehrerinnen in Nordamerika  . In den Vereinigten Staaten  sind zwei Drittel des Lehrpersonals Frauen. Nach der Volkszählung von 1890 standen nämlich 252830 Lehrerinnen 121 630 Lehrer gegen­über. In den Staaten Massachusetts   und New Hampshire  machen die Lehrerinnen neun Zehntel, in New York   und New Yersey fünf Sechstel der gesammten Lehrerschaft aus. dz.

Weiblicher Doktor der Medizin. Die medizinische Fakultät der Universität Zürich   hat Frau Stiber Zaborowska aus Kließ ( Russisch- Polen) auf Grund ihrer Dissertation und nach erfolgreich bestandenen Prüfungen die Würde eines Doktors der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe verliehen.

dz.

Eine männliche Hebamme ist wohl ein recht unglaubliches Kuriosum und doch verrichtet in der kleinen Berggemeinde Jllgau im Kanton Schwyz   ein Mann die Funktionen als Hebamme. Vor ihm bekleidete sein Vater das Amt. Der gegenwärtige Inhaber der Hebammenstelle wird von den Frauen in Jllgau sehr gerühmt; es soll ihm noch keine Frau, der er seine Hilfe angediehen ließ, gestorben sein. Nächstens soll nun seine Tochter die Stelle übernehmen. dz.

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart  .