schwerer Frohn um das tägliche Brot ringt und kräftiger Koſt bedarf, mit Rücksicht auf die Kinder, die nur bei guter Ernährung sich gesund, widerstandsfähig entwickeln können.
Die Regierung hat sich bis jetzt sehr fühl gegen all die Eingaben verhalten, welche die Aufhebung der Grenzsperre bezwecken. Sie hat eine„ Erhebung" angeordnet, und die Proletarierinnen wissen, welche Reformmäuslein noch stets der kreißende Berg solcher Erhebungen geboren hat. Agrarisch ist obendrein Trumpf! Um so dringlicher ist, daß die Arbeiterklasse ihre Stimme erhebt zum Protest, zum Fordern, und bei diesem Protest, bei diesem Fordern muß die Stimme der proletarischen Frau laut und nachdrücklichst miterschallen. Macht gegen Macht. Das klassenbewußte Proletariat im Kampfe für sein Lebensinteresse gegen den kleinen Junkers Ilüngel, dessen Losung ist:" Gott schüße die deutsche Schweinewirthschaft", und wenn darüber die Volksgesundheit zum Teufel geht.
Proletarier und Proletarierinnen fönnen sich übrigens nicht damit begnügen, lediglich gegen die Grenzsperre zu protestiren. Sie müssen der Thatsache eingedenk sein, daß die schädliche Maßregel nur ein Zweiglein ist am Baume jener Steuer- und Zollpolitik, welche den Armen nimmt, um die Reichen verschonen oder gar ihnen geben zu können. Sie ist insbesondere ein Sproß jener Politik der Liebesgaben, welche der frohndenden Masse die unentbehrlichsten Lebensmittel durch Zölle und Steuern vertheuert, damit der schreienden Agrarier Profit sich mehre. Ihrer Forderung: Fort mit der Grenzsperre! fügt deshalb die deutsche Proletarierin jene andere hinzu, welche erst fürzlich wieder vom sozialdemofratischen Parteitag mit aller Schärfe formulirt worden ist: Fort mit allen indirekten Steuern und Abgaben, fort mit allen Steuern und Zöllen auf Lebensmittel!
Die hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner Blusen-, Unterrock-, Schürzenund Trikotkonfektion.
II.
Wir haben uns darauf beschränkt, nur Thatsachen anzuführen, Angaben einer gewiß auch vom Unternehmerstandpunkt aus einwandfreien Berichterstatterin zu wiederholen und uns fast jeden Kommentars enthalten. Wo die Zustände in solcher Weise zum Himmel schreien, sind Kommentare überflüssig und die Folgen unausweichlich. Und diese Folgen? Der Hunger und die Prostitution! Wir haben den ersten bereits kennen gelernt; wir durften die Letztere vermuthen, wird doch mit einer zynischen Selbstverständlichkeit, die bezeichnend ist für unsere durch Thron und Altar sanktionirte Wirthschaftsordnung, die körperliche Hingabe nicht rechtens, wohl aber in Wirklichkeit als ein zuzügliches Subsistenzmittel der gesammten weiblichen Arbeiterschaft angesehen.* Hören wir, was unsere Berichterstatterin dazu zu sagen hat, und greifen wir aus der Fülle des Materials einige bezeichnende Einzelfälle heraus.
,, Wo der Verdienst der Betreffenden das einzige Subsistenzmittel bildete, stießen wir fast durchgängig auf Noth und Elend oder doch auf eine Lebenshaltung, bei der der physische und geistige Mensch allmälig zu Grunde geht... auf chronische Nothstände, gegen die man selbst durch Wohlthätigkeitsspenden nicht anfämpfen konnte."
Wohlthätigkeit und immer wieder Wohlthätigkeit Leuten gegenüber, die einen unantastbaren Anspruch darauf haben, nicht Wohlthaten, sondern Recht zu verlangen, für eine ehrliche Arbeit einen ehrlichen Lohn. In Wirklichkeit aber ist es so, daß die alleinstehenden Personen, die ganz auf den eigenen Arbeitsverdienst angewiesen sind, zuweilen zu einem unsittlichen Nebenverdienst greifen müssen, um das bloße Leben zu fristen".
11
Eine Zwischenmeisterin sagte aus, daß von ihren drei Languettirerinnen, die bei zwölfstündiger Arbeitszeit 8 Mt. wöchentlich ver
"
"
* Sehr bezeichnend dafür ist die Angabe der Kommission für Arbeitsstatistik, die besondere sittliche Mißstände in der Konfektion nicht bemerkt haben will", wozu G. D. in einer Fußnote bemerkt:„ Es sei denn, daß der Nachdruck auf dem Worte, besondere liegen soll und man überzeugt ist, daß auch anderwärts ein Zusammenhang zwischen dem Kaufpreis der Arbeit und der Käuflichkeit der Arbeiterinnen besteht".
179
dienen, zwei bei ihren Eltern leben, die dritte bei einem jungen Manne; anders ginge es nicht."
-
„ Eine andere, Witwe mit zwei Knaben, erkläre von sich selbst: Ich habe mir ein Verhältniß anschaffen müssen, sonst wäre ich mit den Kindern zu Grunde gegangen. Der Mann sorgt gut für sie und mich." Und angesichts solcher Thatsachen kommen die Vieledlen und Tugendhaften, und im sicheren Frieden ihres Hauses und aus der Fülle ihres Besitzes heraus entseyen sie sich vor der Sittenlosigkeit des Volkes, vor der Schamlosigkeit einer Mutter, die nicht einmal die Scheu vor ihren Kindern von ihrem unsittlichen Lebenswandel zurückhält. Nicht Gertrud Dyhrenfurth redet so. Die kennt die traurige Wirklichkeit, das trostlose Muß dieser Verhältnisse. Wer aber hat sie nicht schon so reden hören, die Damen und Herren, die mit frommem Augenaufschlag ausziehen, der verderbten Welt das Heil zu predigen? Und die Konfektionsarbeiterinnen, die sich kein Verhältniß" anschaffen, wie leben die?„ Man tritt Frauen gegenüber, die den Eindruck von hilflosen abgehetzten Thieren machen, die viel zu ſtumpf sind, um überhaupt nur zu einer Kritik ihrer Verhältnisse zu kommen." Wie soll das anders sein können, wenn eine Frau acht Tage nach ihrer Niederkunft mit geschwollenen Füßen und getrübtem Augenlicht die Arbeit an der Maschine wieder aufnehmen muß und bei allem Fleiß und fünfzehnstündiger Tagesarbeit einen durchschnittlichen Nettoverdienst von 5,19 Mt. pro Woche erarbeiten kann? Ein anderes Ehepaar hatte in 17 Tagen einen Bruttoverdienst von 25 Mt., das ist nach Abzug der Auslagen 1,29 Mt. für den Tag.
Ein vierzehnjähriges Mädchen wünscht in der Werkstatt arbeiten zu können, denn bei uns zu Haus ist das Elend so groß, da vergeht einem der Muth!" und auch die Mutter einer vielköpfigen Kinderschaar sehnt sich aus der Enge, Unruhe und Unordnung ihres Haushalts in die ruhige und gleichmäßige Thätigkeit in der Fabrik, die ihr eine wahre Erholung" gewesen.
An diese Bekundungen reiht Gertrud Dyhrenfurth eine beweg-. liche, von uns bereits herangezogene Schilderung dieses häuslichen Chaos und dieser unbarmherzigen und unaufhörlichen Arbeitshezze, die sich Heimarbeit nennt, um dann unglaublich aber wahr! damit zu schließen, daß ja gewiß, der familienzersezende Einfluß noch größer wäre, wenn die Arbeit der Frau hin
-
aus in die Fabrik oder Werkstatt verlegt würde".
Ja, verdient denn dieses grauenhafte Durcheinander von Arbeit und Noth, von Schmutz und Verwahrlosung noch den Namen eines Heims? Und ist es denkbar, daß das schlimmer würde, wenn die Frau täglich für acht genau begrenzte Stunden zur Arbeit hinaus müßte und während der übrigen Zeit sich ihrer Familie widmen fönnte? Jetzt, wo sie daheim" ist, arbeitet sie in fieberhafter Erregung die doppelte Zahl von Stunden und hat nicht einmal Zeit, ihr zu Boden gefallenes Kind aufzuheben!
Die Krankheitszustände innerhalb unserer Arbeiterinnenschicht entsprechen durchaus dem Gesammtzuschnitt ihrer Lebenslage. Die Krankheitsfälle sind mit genau der Hälfte, das heißt mit 45 von 90, Erkrankungen des Blut- und Nervensystems. Sie charakterisiren sich demnach nicht so sehr als Berufskrankheit, denn als die Folge von Ueberarbeit bei unzureichender Ernährung. Was kann man z. B. erwarten, wenn eine Witwe mit einem jährlichen Nettoverdienst von 430 bez. 366 Mt. sich und ihren elfjährigen Knaben ernähren muß? Wir können uns nicht versagen, das Budget einer Winterwoche anzuführen, das beredter ist als die wortreichste Auseinandersetzung. Es zeigt uns das folgende Bild:
•
1 Pfd. Fett( Butter sehr selten) 10 Liter Kartoffeln.
Gemüse und Gegräupe
•
.
0,80 Mt. 0,10 0,55
V
P
0,60=
1-2 Mal wöchentlich Knochen zum Auskochen. 0,15 Sonntags/ Pfd. Fleisch
11
11
11
=
°
0,70
0,60 0,30
=
0,70
=
0,30
0,10
.
0,15
=
0,60
0,35
Summa 6,- Mt.
Kaffee
Milch 0,5 Liter pro Tag.
=
=
=
Die Wohnungsmiethe wird anderweit gedeckt. Kleider werden hier und da von einer wohlthätigen Dame geliefert. Kommen aber andere Extraausgaben, so muß noch mehr an Nahrungsmitteln gespart ,,, und das blutlose, durchsichtige Gesicht der Frau spricht von dauernder Ueberanstrengung und Entbehrungen jeglicher Art".