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Flensburg  , Harrisle, Gravenstein  , Borby  , Solsrüh, Get­ torf  , Kiel  , Oldesloe  , Barmstedt   und Blankenese  . Die Ver­sammlungen waren durchgehends gut, zum Theil sogar glänzend besucht, der Geist der Versammelten war überall ein guter. Es wurden 255 neue Mitglieder aufgenommen, darunter ca. 50 Frauen, und 4 neue Zahlstellen gegründet, in Kiel  , Schleswig  , Gettorf   und Barmstedt  . Man sieht, die geplante Zuchthausvorlage hat dazu bei­getragen, wieder einer Anzahl Proletarier die Augen zu öffnen, sie war nämlich das Thema, welches die Rednerin in den Versamm­lungen behandelte. L. Z.

Zwei große Protestversammlungen der Berliner   Ge­nossinnen gegen die Grenzsperre und die Lebensmittelzölle fanden am 26. Oktober in den Lokalen Sanssouci   und Swinemünder  Gesellschaftshaus statt. Die Genossinnen Ihrer und Baader refe­rirten über: Die Fleischvertheuerung und die Ernährung des arbei­tenden Volkes". Die Rednerinnen gaben einen sehr gründlichen und scharf umrissenen Ueberblick über die Politik der Lebensmittelver­theuerung, insbesondere der Vertheuerung von Fleischwaaren, welche die Regierung den Herren Ochsengrafen zu Liebe seit Jahren verfolgt. Durch reiches statistisches Material bewiesen sie, daß gerade das Fleisch, der Speck 2c. der armen Leute durch das bestehende Zoll- und Steuer­system am meisten vertheuert werden. Eingehend begründeten sie, wie schwer die Ernährung des arbeitenden Volkes unter diesem Stande der Dinge leiden muß. Ein Defizit an Volksgesundheit und Volts­traft ist die Folge der junkerlichen Raubpolitik. Die betreffs der Volksernährung vorliegenden Mißstände, so führten die Referentinnen weiter aus, sind durch die Grenzsperre gegen die Einfuhr von Vieh und frischem Fleisch noch bedeutend verschlimmert worden. So muß sich der größte Theil der Arbeiterbevölkerung mit einer Ernährung begnügen, die nicht geeignet ist, sie auf die Dauer leistungsfähig zu halten. Dazu kommt noch, daß die schlecht genährten Proletarier widerstandsunfähig gegen Krankheiten werden, daß in der Folge die Gefahr der Verbreitung von Epidemien wächst. Mit Rücksicht auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der arbeitenden Masse liegt eine gute Ernährung im Interesse der Gesammtheit. Die Frauen, die unter der Sachlage schwer leiden, müssen deshalb Protest erheben gegen die Vertheuerung der Lebensmittel durch Grenzsperre und Zölle, sie müssen mit den Männern zusammen dafür wirken, daß ein Umschwung unserer politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse sich vollzieht, und daß schließlich an Stelle der kapitalistischen   die sozia­listische Gesellschaft tritt. Von beiden Versammlungen wurden die

In den lyrischen Erzeugnissen der Straßen- und Bänkelsänger der Revolution stoßen wir schon auf Strophen, in denen auch der Haß und Groll des nach menschlicheren Eristenzbedingungen verlan­genden Weibes aus dem Volte seinen Ausdruck findet. Aber diese ersten Klagen und Weckrufe verhallen in dem Getöse des Kampfes, in dem Königthum, Aristokratie und Kirche sich der mächtig auf­strebenden Bourgeoisie zu erwehren suchen. Und nach der Revo­lution kommt die Periode der napoleonischen Herrschaft, die zu­gleich eine Periode der Knechtung des Geistes darstellt. Le silence fut une des institutions de l'empire,* sagt treffend E. Rambert in seiner Literature française  ", und dieses Schweigen beherrschte ebenso sehr das Gebiet der schöngeistigen als der wissenschaftlichen Literatur. Erst mit dem Beginn der Restauration wird das geistige Leben wieder reger und kräftiger. Die philosophische, geschichtliche und literarische Kritik sezt von Neuem ein, und es erwächst das große Gedankenbild des vormärzlichen utopistischen Sozialismus. Damit wird auch die Frage der Frauenbefreiung mit in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion gerückt. Die sozialistische Kritik bemächtigt sich des Gegenstandes.

Saint- Simon  , Enfantin   und Genossen verlangen die durch die Beseitigung der wirthschaftlichen Ungleichheit ermöglichte Unab­hängigkeit der Frauen. Beranger, etwas später Lachambaudie, Dupont   und eine ganze Reihe weniger bekannt gewordener Poeten, wie Hégésippe Moreau, Leroy, Leonard, Bravard u. s. w. geben in beredten Versen alle dem Ausdruck, was an Hoffnungen und Enttäuschungen das Herz des sich entwickelnden Proletariats und somit auch das Herz der proletarischen Frau bewegt. Die eigent­lichen Größen der Romantik, Lamartine   und Victor Hugo  , stehen in Bezug auf die Schärfe der Kritik gegenüber den sozialen, fami­lialen und ehelichen Zuständen nicht zurück. Der Letztere in seinem flammenden Appell an die Reichen" sucht das Augenmerk der pri­

* Das Schweigen war eine der Einrichtungen des Kaiserreichs.

Ausführungen der Referentinnen mit stürmischem Beifall aufgenommen. Ohne jede Debatte gelangte einstimmig die folgende Resolution zur Annahme: Da die Vieheinfuhrverbote und Grenzsperren nachweislich zu einer enormen Steigerung der Fleischpreise geführt haben, welche verursachen, daß die arbeitende Bevölkerung- welche in erster Linie einer gesunden und kräftigen Ernährung bedarf nun kaum noch in der Lage ist, Fleischkost genießen zu können oder sich mit zweifel­hafter Waare begnügen muß, beschließen die Versammelten, die Reichs­tagsabgeordneten der sozialdemokratischen Partei aufzufordern, gleich nach Zusammentritt des Reichstags eine Interpellation an die Regie­rung zu richten und die Aufhebung der Grenzsperren und Vieh­einfuhrverbote, wie auch der zu hohen Lebensmittelzölle zu verlangen. Denn die deutsche Landwirthschaft kann den Gesammtbedarf nicht decken oder will ihn nicht decken, die genannten Maßnahmen aber belasten in ungerechtester Weise die nichtbesitzende Klasse und bringen. einzig den Großgrundbesitzern Gewinn auf Kosten einer nicht aus­reichenden Ernährung der übrigen Volksschichten, was eine Schädi­gung der Volksgesundheit zur Folge haben muß."

Notizentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

Der Kursus für die Ausbildung von Fabrikinspektorinnen in Stuttgart  , dessen Organisation Frau Rümelin- Desterlen in die Wege geleitet hat, wird erst eröffnet werden, nachdem die Württem­bergische Kammer die Frage der Anstellung von Fabrikinspektorinnen abermals erörtert hat. Es dürfte dies aller Wahrscheinlichkeit nach im Februar 1899 der Fall sein. Der Kursus wird nicht blos Vor­träge über die einschlägigen Themata umfassen, sondern mit semina­ristischen und praktischen Uebungen verbunden sein.

Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.

Die italienische Genossin Paola Lombroso  , eine Tochter des berühmten Gelehrten, wurde Ende Oktober in Turin   zu 3/2 Monaten Gefängniß und 100 Mt. Geldstrafe verurtheilt. Ihr Verbrechen" besteht in einem Artikel, den sie im Organ der Turiner   Sozialisten,

vilegirten Kaste, die sorglos der famosen Marime Louis Philipps: Enrichissez- vous( bereichert Euch) nachlebte, auf die Hütten hinzu­lenken, in denen:

Die Kinder hungern und das blasse Weib, Wo hingestreckt auf Stroh die alte Großmutter, die der Winter, ach! der kalte, Längst für die Gruft erkältete den Leib."

Er steigt hinunter bis in den Schlamm der Gesellschaft; aus den dunkelsten Schlupfwinkeln der Städte starren ihm die weib­lichen Opfer des werdenden Industrialismus, die Schaaren der Prostituirten entgegen und er hat die Kühnheit, das Recht auf Eristenz dieser Pflasterkourtisanen gegenüber den Moralaposteln der guten Gesellschaft zu vertheidigen. Zu dem Kapitel der honetten bürgerlichen Ehe liefert er manchen Beitrag, die noch heute durch= aus lebenswahr wirken.

Andere Zeiten kommen. Die Hoffnungen der arbeitenden Klasse und ihrer geistigen Leiter werden von dem Blute der Juni­schlacht hinweggeschwemmt. Das Endziel der gesammten fort­schrittlichen Bewegung der ersten Hälfte des Jahrhunderts scheint in weite Ferne gerückt. Wer möchte in Frankreich   noch das Banner der Freiheit und Gerechtigkeit der Masse vorantragen, wo diese selbst niedergeworfen, entmuthigt und stark gelichtet erscheint? Dafür greift aber die Arbeiterbewegung in allen benachbarten Staaten um sich, und Deutschland   vor Allem ist es beschieden, zunächst dem eigenen, dann dem internationalen Proletariat neue Waffen für seinen Emanzipationskampf zu liefern. Die Zahl der Dichter um nur von diesen zu reden die diesseits des Rheins seit Ende der Vierziger Jahre bis zur Kommune" und über dieselbe hinaus sozialistisch- demokratischen Ideenströmungen sich anschließen und diese in ihren Versen wiederklingen lassen, ist sehr bedeutend. Die Poeten des revolutionären Jung- Deutsch­ lands  ", die Freiligrath  , Heine, Fallersleben  , Herwegh  , Sallet ent­

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