dem ,, Crido del Popolo"( Voltsschrei), veröffentlicht hatte. Der Ver­urtheilten gehen aus den verschiedensten Kreisen Sympathiekund gebungen zu.

Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Be­freiung des weiblichen Geschlechts und des arbeitenden Volkes ist kürzlich in Paris  , im Eril, gestorben: Marina Nikonorowna Polonsky. Mit ihr ist eins der letzten noch lebenden Mitglieder des berühmten Exekutivkomites der Partei des Narodnaia Wolia" ( Volkswillen) ins Grab gesunken, jenes Erekutivkomites, das Jahre hindurch die zaristische Schergengewalt im Schach hielt und ihr die empfindlichsten Niederlagen zufügte. Marina Nikonorowna verzichtete als junges Mädchen auf alle Annehmlichkeiten, welche heutzutage Geburt, Besitz und Bildung verleihen können, um sich mit glühender Seele ganz der Sache des Volkes zu widmen. Jahre lang war sie als eifrige, von der Polizei gehetzte Propagandistin thätig, und wiederum Jahre lang wirkte sie inmitten der terroristischen Partei: jetzt Monate hindurch in einer geheimen Druckerei gleichsam lebendig begraben, dann als Abgesandte des Komites unter den schwersten Gefahren und härtesten Strapazen von Gruppe zu Gruppe eilend, nun wieder eine Aktion berathend, bis ins Einzelne vorbereitend; immer Spione und Häscher auf den Fersen, nie ruhend, rastend und doch glücklich in dem Bewußtsein, einer großen Sache zu dienen. Vor ungefähr 16 Jahren mußte sie, von den Gesinnungsgenossen gedrängt, sehr gegen das eigene Wünschen, ins Eril gehen, weil ihre Lage in der Heimath absolut unhaltbar geworden war. Der aufreibende Kampf hatte ihre Gesundheit vollständig gebrochen, ihren starken Geist, ihren unbeugsamen Willen aber nicht zu beugen vermocht. Eine kranke Frau, aber trotzdem eine kühne, leidenschaftliche Kämpferin kam sie ins Ausland. Hier lebte sie zurückgezogen in bescheidenen Verhält­nissen, ihren Unterhalt erwarb sie durch Uebersetzungen und andere literarische Tagelöhnerarbeiten. Das Beste und Stärkste ihrer reichen Persönlichkeit gehörte nach wie vor dem Wirken für ihre Ueber­zeugung, dem nur der Tod ein Ziel setzte. Ehre der verblichenen Kämpferin.

Publikationen zur Frauenfrage.

* Ein Jahrbuch für die deutsche Frauenwelt nennt sich die neueste Erscheinung der periodischen Literatur der bürgerlichen Frauenbewegung. Das Jahrbuch präsentirt sich in elegantem Ein­band, bringt die Porträts von Führerinnen und enthält neben

locken ihrer Leyer jene Töne heiligen Zornes, jene Klänge des Schmerzes und wiederum der herrlichen Siegeshoffnung, die im zäsaristischen Gallien   für immer verstummt scheinen. Nur scheinen, denn die Kommune" beweist, welch gewaltiger Anstrengungen der angeblich zu Tode getroffene Riese des französischen   Proletariats von Neuem fähig ist.

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Die Niederlage der Kommune bewirkte speziell auf dem Gebiet der Proletarierdichtung in Frankreich   einen ähnlichen Rückschlag, wie einst die napoleonische Glanzzeit auf dem Gebiet des gesammten geistigen Lebens. Nur daß in Folge der mächtig arbeitenden me­chanischen Kräfte der Gesellschaft, des schnellen Schrittes der tech­nischen und wirthschaftlichen Umgestaltungen, die Reaktion auf geistigem Gebiet nicht von so langer Dauer sein konnte.

Im Drama und namentlich im Roman war der geistigen Reaktion von der gesunden und schon starken Gegenströmung des Naturalismus schon wirksam entgegengearbeitet worden. In seinem gewaltigen Romancyflus: La Comédie Humaine( Die menschliche Komödie) hatte Balzac   die Rechte des Individuums und die Sache der Menschheit über die kleinliche Frage der Rasse und Geburt gestellt. Gustave Flaubert  , nicht viel weniger fruchtbar und viel­seitig, wetteiferte mit ihm in der kritischen Zerfaserung der Ehe. Ihnen schließen sich an, nachdem Eugène Sue   und die beiden Dumas der Feuilletondichtung den Stempel des literarischen In­dustrialismus aufgedrückt, die großen Romanschriftsteller und No­vellisten Zola  , Goncourt, Daudet   und Maupassant  , von denen der Erstere in seiner packenden Massenpsychologie auch die Züge des Proletarierweibes in das moderne Bewußtsein eingegraben hat.

Daß nach dem Kriege zunächst die spärlich hervortretenden Sänger des sozialen Fortschritts und der Arbeiterbefreiung Pre­diger in der Wüste blieben, kann nicht Wunder nehmen. Ihre Weckrufe wurden übertönt von dem Gelärm derer, die nach Art der Deroulède und Konsorten( siehe: Les chants du soldat", ,, Lieder des Soldaten") in das große Revanchehorn bliesen und

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Novellen, Gedichten und Sprüchen einige belehrende Aufsätze, die möglichst schmackhaft zubereitet sind, damit sie den Leserinnen auch munden. Die Herausgeberinnen, Elly Saul und Hildegard Obrist­Jenicke, verfolgen nämlich den vernünftigen Zweck, durch Ausstattung und Inhalt des Jahrbuchs Kreise für die Frauenfrage zu interessiren, die ihr bisher fremd oder feindlich gegenüberstehen. Für uns ist das Buch daher nicht bestimmt, und wir würden keinen Anlaß dazu haben, uns mit ihm zu beschäftigen, wenn nicht einige bemerkenswerthe Säze darin unsere Aufmerksamkeit erregt hätten. Der eine befindet sich in dem ersten Artikel über Die Frauenbewegung und ihre Ziele" von Helene Lange   und lautet: Die Frauenbewegung ist die Be­wegung der Unbeschäftigten, Unausgenußten, ungenutzten! Wenn wir die Arbeiterinnenbewegung nicht als ein Stück Frauenbewegung, sondern als das, was sie ja im Grunde auch ist und sein will, als Theil einer Klassenbewegung ansehen, so ist diese Definition richtig." Fräulein Lange, die trotz ihrer einseitigen Richtung einer der klarsten Köpfe unter den Frauenrechtlerinnen ist, spricht damit ehrlich aus, was auch unsere Ueberzeugung ist. Schade nur, daß ihre Ehrlichkeit ihr zum Schlusse leid thut, und daß sie sich auch das soziale Män­telchen umhängt, in das ihre Gesinnungsgenossinnen sich so gerne ein­hüllen. Nachdem sie die unüberbrückbare Trennung der bürgerlichen Frauenbewegung von der Arbeiterinnenbewegung gekennzeichnet hat, erklärt sie nämlich später, daß die bürgerlichen Frauen zwar vor­läufig mit den Arbeiterinnen keine Verbindung haben, redliches Wollen" aber diese Verbindung bald herbeiführen wird!

Charakteristisch ist auch eine Bemerkung von Frau Natalie Rümelin in ihrem Artikel über Die Thätigkeit der Frau in der Gemeinde". Sie spricht über die verschiedenen parteipolitischen Auf­fassungen der Frauenfrage und erklärt, daß die sozialistische Partei einerseits die Frau unter keiner Bedingung zur Konkurrentin des Mannes in den wirthschaftlichen Kämpfen der Gegenwart gemacht wissen will. Sie sei es aber auch, die andererseits aus parteitaktischen Gründen es ablehnt, mit offenem Visier zu kämpfen, um die Masse der sozialistischen   Parteigängerinnen auf ihrer Seite festzuhalten. Diese Behauptung steht in schroffstem Widerspruch zu der Thatsache, daß die Sozialdemokratie die einzige Partei in Deutschland   ist, die stets dafür eintritt, dem weiblichen Geschlecht alle Berufe zu eröffnen, daß sie also die Frauen, wie es unter den gegenwärtigen Wirth­schaftsverhältnissen nicht anders möglich ist, thatsächlich überall zu Konkurrentinnen der Männer machen will. Wogegen die Sozial­demokratie ankämpft, ist, daß die kapitalistisch ausgebeutete Frauen­

den Haß gegen das siegreiche Deutschland   als Maßstab der poli­tischen Reife hinstellten. Aber schon erhebt Eugène Pottier   seine Stimme, um in martigen Strophen, entgegen dem allgemeinen Chauvinistenwauwau, die Kommune gegen ihre Verleumder in Schutz zu nehmen und der Fremdenhaz ein Halt zuzurufen. Ein philosophischer Dichter, ein Meister der Form, Sully Prudhomme  , verherrlicht in seiner Justice"( Gerechtigkeit) das Frankreich   der Kommunarden:

,, Wie aus steinigen Landen keimten die Saaten hervor, Wie aus dem Kampf der Arten stieg siegend der Mensch empor, So in deinem Blut formt sich der vollendete Staat."

Der vollendete Staat ist die sozialistische Gesellschaft, in der die Harmonie der Interessen einen Zustand sozialer Vollkommenheit verbürgt, dem gegenüber unsere heutige Gesellschaftsordnung die Barbarei bedeutet. Wenn auch Prudhomme   in seinen späteren Werken

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wie im tausendversigen ,, Bonheur  "( Glück)- das sozialistische Ideal theilweise verleugnet, so hat er doch in der Vollkraft seines Schaffens ihm seinen Tribut gezollt. Das Loos des proletarischen Weibes begeistert ihn zu Versen, die es verdienen, allen Frohnenden und allen Herrschenden zugänglich gemacht zu werden.

,, Les Venus" betitelt sich eines seiner letzten satirischen Gedichte. Der Dichter kommt aus dem Louvre", dem großartigen Museum. In den Säulengängen hat er die Standbilder der an­tiken Nymphen und Göttinnen betrachtet. Ein Gefühl von Stolz und stiller Bewunderung ob dem Geschauten zittert ihm durch die Seele, als er heimwärts schreitet:

Wie weise, so dacht ich zufrieden, Daß euch, ihr Musen der Alten, Ihr marmornen Prachtgestalten, Solch föniglich Heim beschieden."

Da taucht das Bild eines jungen Weibes vor ihm auf. Ob­dachlos den fragenden Blick auf ihn gerichtet, schreitet es langsam vorüber: