mäßige tägliche Arbeitszeit der Arbeiterinnen, wenigstens in der Textil­industrie und der Zigarrenfabrikation, auf weniger als 11 Stunden, etwa für 10 Stunden zuzulassen. Daß das Gleiche auch für andere Industriezweige zutrifft, ist mindestens wahrscheinlich."

Der zweite Abschnitt verzeichnet bezüglich der Arbeiterinnen zu­nächst die Klagen der Aerzte über die Verhältnisse in den Konfektions- und Wäschegeschäften. Die Arbeitszeit ist hier häufig weit über Gebühr ausgedehnt. Arbeitszeiten von Morgens 7 bis Nachts 11 Uhr mit nur einstündiger Mittagspause und einem ungenügenden Abendessen sind in solchen Betrieben nicht selten. Daß dies auf den Gesundheitszustand der häufig im Entwicklungsalter stehenden Arbeiterinnen ungünstig einwirkt, bedarf nach dem Berichte wohl keiner weiteren Ausführung. Die betreffenden Mädchen leiden auch, wie erwähnt wird, fast alle an Bleichsucht, mit theils geringeren, theils auch so erheblichen Beschwerden, daß zeitweise Arbeitsunfähig­keit eintritt. Bekanntlich zieht Bleichsucht häufig schwere Erkrankungen nach sich, namentlich auch Lungentuberkulose. Schwere Fälle von Neurasthenie, ja völlige nervöse Erschöpfung, sind bei Angestellten in solchen Geschäften, namentlich bei Verkäuferinnen, von den be­treffenden Aerzten mehrfach beobachtet worden.

Auf die übermäßig langen Arbeitszeiten in Wäscherei und Bügeleibetrieben wird besonders von einem Arzte aufmerksam gemacht. Er hebt hervor, daß häufig bis in die Nacht hinein ge­arbeitet wird, daß die Arbeitenden beim Schaffen stehen und bei grellem Lichte thätig sind. Der Arzt hat bei den betheiligten Per­sonen auffallend viele Fälle von Venenerweiterung und Unterschenkel­geschwüren beobachtet, eben so viele Bindehautentzündungen des Auges. Die Büglerinnen sähen vielfach erschöpft und anämisch aus, Tuberkulose   sei bei ihnen keine Seltenheit.

Von mehreren Seiten wird auf die Ueberanstrengung der weib­lichen Angestellten in Bazaren und Ladengeschäften und auf die daraus folgenden Gesundheitsschädigungen hingewiesen. In manchen Geschäften wurden die Mädchen zeitweise bis 11 und 12 Uhr Nachts zurückgehalten, um den Laden wieder in Ordnung zu bringen. Die ohnedies in diesem Lebensalter zur Bleichsucht neigenden Mädchen erkrankten dann um so leichter an diesem Uebel. Sie hätten auch öfters wegen des Stehens den ganzen Tag über geschwollene schmerz­hafte Füße. Eine Ortskrankenkasse theilt mit, daß in den in dieser Beziehung hinlänglich bekannten Kurzwaaren- und in Damenkleider­geschäften die Mädchen Abends nach Schluß des Ladens noch bis 10, 11 Uhr und theils noch über Mitternacht zum Arbeiten angehalten wurden. Dagegen seien die jungen Mädchen so gering be= zahlt, daß sie ihr Leben absolut nicht zu fristen vermöchten.

Die Proletarierfrau

in der neueren französischen   Lyrik. Don H. Thurow. ( Schluß.)

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Die Jungen"( les Jeunes) von vor zwanzig und dreißig Jahren verdienen in moralischer Beziehung diesen Titel nur noch in sehr vereinzelten Fällen. Ein anderes Geschlecht beginnt sie abzulösen. Das Holz der Prudhomme und Genossen beginnt dürr zu werden, und ob auch die Bäume der jüngsten unter den " Jungen" nicht in den Himmel wachsen, so treiben sie doch kräftige Blätter und Blüthen. Der Boden, aus dem sie emporstreben, ist gedüngt mit so viel sozialem Unrecht, und die Sonne der mensch= heitlichen Gerechtigkeit, die über ihre Kronen emporsteigt, strahlt in so verheißungsvollem Glanze, daß sie in jeder Zone gedeihen müssen.

Seit Mitte der Achtziger Jahre, wo jenseits der Vogesen der Sozialismus zuerst wieder einigen Einfluß auf die Maffe gewinnt, begeistert er auch eine größere Zahl junger dichterischer Talente. Nicht nur ist es die sich meist auf Negation( Verneinung) des Bestehenden beschränkende kritische Idee, die in ihren Versen zum Durchbruch gelangt, sendern auch der Klassenkampfsgedanke findet talentvolle Vertheidiger." Die Ereignisse von 1871", schreibt J. B. Clément in der Vorrede zu seinen 1885 erschienenen- Chansons"( Lieder), der heroische Kampf der Kommunekämpfer gegen die Armee von Versailles  , die großen Prinzipien, die in Frage gestellt waren, die Massenopfer der blutigen Woche", die unerbittliche Rache der Sieger alles das trug in weit höherem Grade als die Lektüre politischer und sozialwissenschaftlicher Ab­handlungen dazu bei, mich in der Idee zu bestärken, daß es

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Die Zahl der an Anämie und Chlorose   leidenden Mädchen sei eine ungewöhnlich hohe. Der Kasse waren z. B. im Monat Juni des Jahres 1897 für 18 bei einer einzelnen Firma beschäftigte Personen aus nur einer Apotheke( in den anderen wurde es noch nicht fest­gestellt) 44 Rezepte, darunter 19 Flaschen Eisenwein gegen Blut­armuth und Bleichsucht angerechnet worden. Auch einige Bezirksärzte weisen auf die Ueberanstrengung der Angestellten in Ladengeschäften hin, ohne indessen Gesundheitsschädigungen ausdrücklich zu konstatiren.

Zum Schlusse wird in dem badischen Fabrikinspektorenberichte noch auf die schweren Schädigungen hingewiesen, welche die Arbeite­rinnen in Folge des groben Unfugs trifft, Arbeit nach Feierabend in der Fabrik mit nach Hause zu geben. Besonders in der Zigarren­industrie, in der Bürstenfabrikation und in der Strohhutindustrie wird die Arbeitszeit der Arbeiterinnen dadurch verlängert. Es wird mit Recht ein allgemeines Verbot dieser Unfitte verlangt.*

Aus den Darstellungen der bayerischen Fabrikinspektoren sind zunächst die Aeußerungen einer Anzahl Aerzte im unterfränkischen ( Würzburger  ) Aufsichtsbezirke erwähnenswerth. Drei Aerzte schlagen den Achtstundentag für die Steinhauer vor, sieben Aerzte halten eine Regelung der Arbeitszeit für Schneider, Näherinnen und Puhmacherinnen erwünscht. Es werden die Erkrankungen der Arbeiterinnen in Folge Ueberanstrengung angeführt und erklärt: Dem weiblichen Körper wird entschieden gerade in der Zeit bis zum zwanzigsten Lebensjahre zu viel zugemuthet...." Und dann heißt es weiter: Einer ganz besonderen Beschränkung wäre die Beschäftigung weiblicher Personen zu unterwerfen. Eine 8stündige Arbeitszeit müßte bis zum zwanzigsten Lebensjahre als Marimum zu betrachten sein." Mehrere Aerzte fordern eine 2stündige Mittags­ruhe. Zwei derselben schlagen 9 bis 10 stündige tägliche Arbeitszeit für männliche Arbeiter vor.

Der oberbayerische( Münchner  ) Aufsichtsbeamte schildert ebenso wie der badische, der unterfränkische u. A. die in Folge der Ueber­anstrengung entstehenden Erkrankungen der Arbeiterinnen, besonders in der Bekleidungs- und Reinigungsindustrie. Er befürwortet eine höchstens 9 stündige tägliche Arbeitszeit, die auch für die Hausindustrie vorzuschreiben wäre, und eine 1/2 stündige Mittagspause für alle Ar­beiterinnen. Den gleichen Standpunkt vertritt der pfälzische( Speyerer  ) Inspektor.

Die drei württembergischen Aufsichtsbeamten, in deren Be­richten sich theilweise eine recht manchesterliche Auffassung des gesetz­

Verbot.

* Das Züricher Arbeiterinnenschutzgesetz enthält bereits ein solches

feine Möglichkeit einer Versöhnung zwischen den Siegern und Besiegten mehr gebe, und daß man mit allen Mitteln der Propaganda: Zeitungen, Büchern, Reden und Liedern, das Volk zwingen müsse, seines Elends bewußt zu werden."

So wie es Clément erging, erging es den meisten seiner Ge­nossen. Die Kommune rüttelte sie auf, und der befruchtende Ge­danke des Sozialismus bemächtigte sich ihrer. Viele Namen drängen sich unter die Feder. Von denjenigen, die zum Theil schon damals, zum Theil später mit sozialistischen Versen hervor traten, nennen wir: Clovis Hugues  , der bekannte sozialistische Deputirte, der, nebenbei gesagt, stets ein besserer Poet als Politiker war; Olivier Souêtre und Jean Lombard, beides früh gestorbene talentvolle Dichter; Legouis, Jean Baslin und Gabriel de la Salle, die erst neuerdings durch ihre soziale Lyrik bekannt geworden sind. Endlich nennen wir Desrousseaur, einen Liller Dichter, den im Jahre 1892 die ganze arbeitende Bevölkerung dieser Stadt zu seiner legten Ruhestätte geleitete.

Desrousseaur ist von den Genannten der älteste, und seine ersten packenden Volkslieder er schrieb deren mehr als ein halbes Dußend Bände reichen ziemlich weit zurück. Im nordfran­zösischen Dialekt besingt er in ihnen das Leben der Schichte, der er selbst entsprossen, das heißt das Leben der hart frohnenden Fabrikbevölkerung. Wenn auch vielleicht gerade er niemals ganz zur wissenschaftlichen Erkenntniß des Sozialismus vorgedrungen ist, so steht er doch durchaus unter dem Banne des sozialistischen  Gedankens. Er vertrat durchaus die Ueberzeugung, daß die Be­freiung der Arbeiterklasse und somit auch das des Weibes niemals das Werk der Bevorrechteten sein wird.

Desrousseaur versucht sich in neuen Variationen des alten Liedes von dem moralischen und materiellen Elend des von dem reichen Geliebten verlassenen Voltsmädchens( Marie- Claire), oder