,, Petroleumlampen seien keine Nothlampen, in solchen müsse Solaröl brennen". So ist Sagan wieder einmal durch weise Polizeifürsorge gerettet worden, aber die arme ausgemergelte Bevölkerung der Stadt ist aufs Aeußerste über diese Fürsorge" erbittert. Die Kosten für Versammlungen aufzubringen ist ein großes Opfer für die armen Weberinnen, die trotz der theuren Lebensmittelpreise nur 7-8 Mt. die Woche verdienen und noch weniger, ja die manche Woche über­haupt gar keinen Erwerb haben, wenn der Stuhl neu eingerichtet wird. Der Wirth hat versprochen, sich nicht einschüchtern zu lassen, trotzdem ihm schon die Tanzkonzession vorenthalten worden und das Militärverbot über sein Lofal verhängt ist. Möge die Saganer Arbeiterschaft im Kampfe nicht ermüden, sondern ihn muthig fort­führen, er muß siegreich enden.

Am 6. November fand in Stendal   eine öffentliche Frauen­versammlung statt, die gut besucht war. Genossin Baader- Berlin sprach über: Das Leben der proletarischen Frauen und die Organisation." In den zwei Fabriken von geringem Umfange, welche in Stendal   vorhanden sind, werden die Frauen aufs Aergste ausgebeutet. Nicht besser ergeht es ihnen in den großen Gärtnereien des Ortes. Hier dauert die Arbeit von früh 6 bis Abends 9 Uhr und nicht selten kommt es vor, daß die Frauen die ganze Zeit bis auf die Haut durchnäßt auf dem nassen Boden kniend arbeiten müssen. Und das für einen Tagelohn von 1,20 Mt. ab. Davon wird ihnen obendrein nur 1 Mt. ausgezahlt, die übrigen 20 Pf. werden vom Gärtner bis Ende der Saison einbehalten. Geht eine Arbeiterin früher ab, so behält der Herr" das angesammelte Geld als Entschädigung.

Was Wunder da, daß die Arbeiterinnen von Stendal   das Un­würdige und Verbesserungsbedürftige ihrer Lage einzusehen beginnen, daß sie mehr und mehr die Nothwendigkeit erkennen, im Kampfe gegen die Bedrückung allein das Heil zu suchen.

Notizentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

0. B.

Die Thätigkeit der Assistentin der Fabrikinspektion für Oberbayern   betreffend, wird uns von geschäßter Seite geschrieben: ,, Die neu ernannte Assistentin des Gewerbe- und Fabrikinspektors für Oberbayern  , Fräulein Karoline Bernat, ist seit dem 1. Oktober in

Noch aber hat die Gerechtigkeit ihr Haupt verhüllt, noch ist das Proletariat ausgebeutet, unterjocht und mißachtet, und seine Ideale der Menschenwürde sind verfehmt. Unfrei ist das Prole­tarierweib, wie es sein männlicher Klassen- und Kampfesgenosse ist. Gemeinsam mit diesem muß es seine wirthschaftlichen Fesseln sprengen, wenn es auf gesellschaftliche Gleichberechtigung Anspruch erhebt.

Der schon genannte, sehr volksthümlich gewordene Chan­sonnier( Liederdichter) J. B. Clément zeigt uns das kämpfende, klassenbewußte proletarische Weib.

Von den vielen Gedichten, in denen dieser Chansonnier die muthige, aufopfernde Gefährtin des Lohnsklaven feiert, sei besonders eines hervorgehoben.

Es ist betitelt: Ne me fais plus d'enfants"( 3eug' feine Kinder mehr) und behandelt die Sorgen einer Mutter, die nicht mehr weiß, wie sie alle hungerigen Kleinen in ihren vier Wänden sättigen soll. Der Storch bringt alle Jahre neuen Zuwachs; der Mann ist brav und nüchtern, aber die vier Fränklein, die er verdient, reichen nicht weit.... Da predigt sie ihrem Manne den Malthusianismus:

,, nicht so heißen Kuß, mein Alter! Es sind genug der Göhren   schon."

Doch ob das im Grunde die richtige Lösung ist? Bücher hat die Arme nie gelesen, aber wenn sie über die Frage nachdenkt, steigt in ihr ein dunkles Ahnen auf, daß es noch größerer und würdigerer Mittel geben muß, um das Familienelend zu beseitigen:

,, Wir können lang' uns müh'n und plagen, Das Unglück folgt uns auf dem Fuß! Wer weiß, ob man mit blankem Schwerte  Nicht noch sein Recht erkämpfen muß!

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ihrem Amte thätig. Die weibliche Fabrikarbeiterschaft, deren lang gehegter Wunsch durch diese Anstellung endlich erfüllt ist, sollte nun auch den Sprechstunden des Fräulein Bernat ihre Aufmerkſam­feit zuwenden, in welchen jeder Arbeiterin Gelegenheit geboten wird, sich über etwaige Mißstände und Beschwerden in ungezwungener und vertraulicher Weise auszusprechen.

Diese Sprechstunden finden in München   am ersten und dritten Samstag jeden Monats, Abends von 6-7 Uhr, und am darauffolgenden Sonntag von 11-12 Uhr statt, und ein zahlreicher Besuch wäre schon deshalb dringend zu wünschen, weil nur dadurch jenes so oft be­hauptete Bedürfniß nach weiblicher Aufsicht auch wirklich als vor­handen erwiesen würde. Bedauerlicher Weise ist versucht worden, Mißtrauen gegen die neue, vor eine schwierige Aufgabe gestellte Beamtin zu säen. Es steht zu hoffen, daß hierdurch das gute Ein­vernehmen zwischen den Arbeiterinnen und ihrer Inspizientin, diese Grundlage eines gedeihlichen Wirkens, nicht im Reime erstickt wird.

Fräulein Bernat hält in Augsburg   jeden zweiten Sonntag im Monat Sprechstunden, und am vierten Sonntag abwechselnd in Landshut   und in Regensburg  .

Wie wir von anderer Seite erfahren, und wie auch aus der ,, Münchener Post" hervorgeht, ist in den Kreisen der Arbeiterinnen und Arbeiter lebhafte Unzufriedenheit über die Anstellung des Fräu­lein Bernat vorhanden. Man ist der Ansicht, daß der Dame die Qualifikation für die verantwortungsreichen Amtspflichten fehle. Ob diese Ansicht sich auf stichhaltige Gründe stützt, wissen wir nicht. Ebenso wenig sind uns allerdings die Gründe bekannt, welche die Regierung davon überzeugt haben müssen, daß Fräulein Bernat sich ganz besonders für das Amt der Assistentin eignet. Unseres Er­achtens ist es sicherlich ein schwerer Fehler der Regierung, bei der Ernennung der Gewerbebeamtin nicht genaue Fühlung mit den Ar­beiterinnen gesucht und ihre Wünsche berücksichtigt zu haben. Ein weiterer schwerer Fehler wäre es, wenn die Regierung ihre Wahl getroffen hätte, ohne bestimmte Anhaltspunkte dafür zu besitzen, daß die Assistentin ihrem Amte gewachsen ist. Dieser Fehler würde um so größer sein, als es sich bei der Thätigkeit der Beamtin um eine vielumstrittene, lebhaft angefeindete Neuerung handelt, die durch eine ungeeignete Persönlichkeit und durch unbefriedigende Resultate von vornherein schwer kompromittirt werden kann. Aber nachdem die Arbeiterinnen sich für die nächste Zeit mit der Amtsthätigkeit des Fräulein Bernat abfinden müssen, liegt es in ihrem eigenen Inter­esse, daß sie der Dame die weiteste und gründlichste Gelegenheit geben, ihre persönliche Fähigkeit oder Unfähigkeit zu beweisen. Nur dadurch beugen sie der Möglichkeit vor, daß aus unbefriedigenden Ergebnissen

An jenem Tag' folg' ich den Tapfern Und führ' all unsre Kinder her Still, nicht so heißen Kuß, mein Alter! Wir wollen keine Sklaven mehr."

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So regt es sich in den Kreisen der neueren französischen volksthümlichen Lyrifer, wie es sich regt, wie es gährt und treibt in der Tiefe des Proletariats aller Länder. Immer mehr stellen sich die Dichter in den Dienst der großen Sache der gesellschaftlichen Erneue­rung. Sie fühlen oder erkennen es, daß in der Richtung der Aufrütt­lung des Proletariats aus Stumpfsinn und Knechtschaft das wahre Heil der Gesellschaft liegt. Um die volksthümliche Poesie zu einer agitatorisch wirksamen zu machen, erklärt Clément, genügte es, den Bienenstock der Armen zu öffnen; man sah dann, daß keine Nah­rung darin war. Man brauchte nur dem Arbeiter in sein Al­tagsleben und in sein Alltagselend zu folgen, um das rechte Wort zu finden, die wahre soziale Note herauszugreifen. Es genügte, und genügt noch heute, um den Feind sicher zu treffen, zu über­legen, was man schreibt; in seine Lieder seine Leidenschaft, seine Ueberzeugung und sagen wir es etwas von seinem Leben hineinzulegen. Denn man schreibt diese Verse nicht ohne ein wenig Fieber, ohne Herzbeklemmung; man empfindet zu viel Zorn gegen die Großen und zu viel Mitleid mit den Schwachen."

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In Summa darf man behaupten, daß ein Theil der modernen Poesie der Franzosen   stark sozialistisch gefärbt ist. Zwar fehlt es nicht an Lobrednern des Bestehenden und unter ihnen sind Dichter mit Namen, die fortfahren, das Eiapopeia des Elends La vieille Chanson de la misère humaine( Jaurès  ) als die wichtigste Nummer ihres Repertoirs zu betrachten. Am Volke selbst liegt es, dafür zu sorgen, daß dieses Repertoir seine Zug­kraft verliert.

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