die jeder politischen Strömung fernsteht um zu fordern, daß in Erwartung einer baldigen Amnestie... den politisch Verurtheilten gestattet wird, ihre Strafe unter Bedingungen zu verbüßen, welche der Achtung vor dem Gedanken und der Kultur entsprechen." Aus Turin erhielt das Komite eine Zustimmungsadresse, welche u. a. folgende Sätze enthält:„ Wenn das Herz auch nur einer Bürgerin angesichts der Behandlung schweigt, welche man über die politischen Häftlinge in Alessandria , Finalborgo und Pallanza verhängt hat, so müßte man an den italienischen Frauen als Mütter und Gattinnen verzweifeln, denn Mütter und Gattinnen beweinen gegenwärtig ihre Theuren, die wie die gemeinsten Verbrecher behandelt werden. Betheiligen wir uns mit ganzer Seele an dieser Manifestation, die eine heilige Pflicht ist." Bekanntlich sind die politisch Verurtheilten Kleritale, Republikaner und vor Allem Sozialisten, das Vorgehen der italienischen Bourgeoisdamen beweist deshalb umsomehr Vorurtheilslosigkeit, Gerechtigkeitssinn und Muth. Wer hat je davon gehört, daß deutsche Bourgeoisdamen unter dem Ausnahmegesez für die politisch Verfolgten, Geächteten und Verurtheilten eingetreten wären?
Die englische Union arbeitender Frauen( die nicht etwa eine Organisation von Proletarierinnen ist), hat sich, entgegen unserer früheren Meldung, nun doch dem nationalen Bund englischer Frauenvereine angeschlossen. In ihrer Generalversammlung, die vom 25. Oktober ab in Norwich stattfand, kam es aus Anlaß des nächstjährigen Frauenkongresses zu einer Verhandlung, die auf die englische Frauenbewegung ein eigenthümliches Licht wirft. Es ist in England allgemein üblich, daß Frauenfongresse mit einer religiösen Feier beginnen, die in einem von allen Theilnehmern gesprochenen Gebet ihren Mittelpunkt hat. Bei der Vorbesprechung für den Kongreß haben die deutschen, französischen und schweizerischen Delegirten die Theilnahme ihrer Landesvereine davon abhängig gemacht, daß die religiöse Feier von der Tagesordnung abgesetzt wird. Man beschloß ihrem Wunsche gemäß. Diese Entscheidung wurde in abfälligster Weise von der„ Union arbeitender Frauen" besprochen. Lady Knightly, die Präsidentin, beantragte, dem vorbereitenden Komite des Kongresses im Namen der„ Union " einen förmlichen Protest einzusenden. Eine Delegirte wagte es, zu erwähnen, daß man doch Unrecht thun würde, den fremden Gästen die eigene Ueberzeugung aufzuzwingen, worauf Mrs. Kingsley entgegnete, daß Alle, die an Gott glauben, den Unglauben auf jede Weise bekämpfen müßten, einerlei wer der Ungläubige sei. Am intereſſanteſten war es, daß die Vizepräsidentin Mrs. Alfred Booth, die selbst ausdrücklich erklärte, keiner Kirche anzugehören, trotzdem ihr lebhaftes Bedauern über den Wegfall des öffentlichen Gebets aussprach. Der Antrag der Präsidentin wurde schließlich mit großer Majorität angenommen. Zur Beruhigung der Gemüther berichtete Mrs. Booth, daß der Kongreß einen sehr gemäßigten Charakter haben werde.
Die geschäftlichen Verhandlungen der Generalversammlung der ,, Union " wurden durch eine Predigt des Dekans von Norwich eröffnet. Er hob darin mit besonderer Befriedigung hervor, daß die„ Union " so kirchlich und aristokratisch sei; von den zwanzig Vizepräsidenten wären zehn Mitglieder der hohen Aristokratie, eine die Witwe eines Erzbischofs, drei die Witwen von Bischöfen. Diese Predigt im Verein mit der Stellungnahme gegenüber dem Kongreß fennzeichnet den reaktionären Charakter der„ Union " und straft wieder einmal die verbreitete Meinung Lügen von der radikalen" englischen Frauenbewegung. Die Berichte der Delegirten über ihre praktische Thätigkeit enthielten viel des Interessanten. Zunächst wurde über die Nothwendigkeit der Einführung des Handfertigkeitsunterrichts in Mädchenschulen gesprochen und über die Errichtung von Fortbil: dungsschulen, in denen die Mädchen für den häuslichen Beruf vorbereitet werden. Sodann hielten zwei Frauen, von denen eine Schülerin des Londoner Instituts für Nationalökonomie iſt, Vorträge über die Unterstüßungsvereine( Friendly Societies) und die Frauen. Sie befürwortete lebhaft den Eintritt der Frauen in diese großen Organisationen. In der Diskussion wendete sich eine Rednerin gegen den Standpunkt der Referentinnen und forderte die Gründung und Unterstützung von Unterstüßungsvereinen mit ausschließlich weiblicher Mitgliedschaft. Auf einen Beschluß über diese Frage verzichtete die Generalversammlung.
Die Erziehung und Pflege epileptischer, taubstummer und blödsinniger Mädchen beschäftigte die Delegirten am zweiten Tage der Generalversammlung. Ihr schloß sich eine Besprechung über die Behandlung der unverheiratheten Mütter und ihrer in den Armenhäusern geborenen Kinder an, die von einem ausgezeichneten Referat der Armenpflegerin von Liverpool , Mrs. Healey, eingeleitet wurde. Sie erzählte von ihren persönlichen Erfahrungen und hob hervor, daß sich selbst die verstocktesten und schlecht beleumundeten Mädchen, die sich jeder persönlichen Einwirkung zu verschließen schienen, unter dem Einfluß ihrer Kinder merkwürdig ver
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wandelten. Daraus zog sie den Schluß, daß man die unverheiratheten Mütter so lange wie möglich diesem Einfluß aussetzen, d. h. ihre Kinder so spät wie möglich von ihnen trennen müsse. Eine ganze Reihe ihrem Schute anvertrauter Mädchen, die faul und leichtsinnig gewesen waren, seien durch die Macht der Mutterliebe und im Gefühl ihrer Verantwortlichkeit für ihr Kind, fleißige und anständige Arbeite rinnen geworden. Natürlich müsse ihnen auch die äußere Möglichkeit dazu gegeben werden, indem die Armenpfleger ihnen gute Arbeitsgelegenheiten verschafften, wo sie anständig und nicht als„ Gefallene" behandelt würden. Sehr große Zweifel hegte die Rednerin in Bezug auf die Vortheile der nachträglichen Heirath zwischen den Eltern unehelicher Kinder, eine Ansicht, die im Munde einer prüden, die alten Begriffe von Sittlichkeit besonders hochhaltenden Engländerin erstaunlich klingt. Mrs. Healey begründete sie damit, daß, wenn der Mann seine Geliebte angesichts ihrer größten Noth und ihrer schwersten Stunde verlassen habe, seine Liebe nicht der Art mehr sein könne, um ein für Mutter und Kind glückliches häusliches Leben zu verbürgen. Solche Ehen gestalteten sich meist zu einem wahren Märtyrerthum für sie. In der Diskussion traten natürlich auch sehr rückständige Ansichten zu Tage. Ansichten zu Tage. Unter Anderem flagte eine Armenpflegerin lebhaft darüber, daß Frauen und Kinder das Armenhaus wie ein Hotel ansähen, in dem sie während des Winters umsonst warme Wohnung und ausreichende Nahrung fänden!
Einen besonders lebhaften Verlauf nahmen die Verhandlungen über die Frage der Heimarbeit der Frauen. Die beiden Richtungen, die einerseits für, andererseits gegen die gesetzliche Be schränkung der Heimarbeit kämpfen, geriethen dabei heftig aneinander. Die Referentinnen, Miß Irwin und Mrs. Hogg, traten für die Beschränkung ein, indem sie hinzufügten, daß die verlangte Maßregel das völlige Verbot der Heimarbeit nur einleiten solle. In diesem Sinn plädirten sie für die Unterstützung eines Gesetzentwurfs, der dem Unterhaus in der nächsten Session zugehen soll, und dessen Wortlaut wir bereits in Nummer 21 dieser Zeitschrift veröffentlichten. Miß Irwin stellte in eindrucksvoller Weise die Gründe für und gegen solch ein Gesetz zusammen. Zu Gunsten der Beschränkung spricht, so führte sie aus: 1. daß die Heimarbeit gewöhnlich unter in hohem Grade gesundheitsschädlichen Bedingungen vor sich geht und die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten zur Folge hat; 2. daß die Heimarbeit lange und unregelmäßige Arbeitszeiten, die Beschäf= tigung und Ausbeutung der Kinder und im Anschluß daran das Sinken der Löhne zur Folge hat; 3. daß die Heimarbeiterinnen der Ausbreitung der Arbeiterorganisationen das größte Hinderniß bereiten. Sie sind schwer zu erreichen, leben isolirt, haben kein Solidaritätsgefühl, sind nicht orientirt über die allgemeinen Verhältnisse in ihrem Gewerbe und stehen nicht, wie die Fabrik- und Werkstattarbeiterinnen, unter dem wachsamen Auge ihrer Arbeitsgenossen. 4. Ihre Reihen rekrutiren sich vielfach aus gelegentlichen Arbeiterinnen und aus solchen, die nur einen Nebenverdienst suchen. Erstere, durch die harte Nothwendigkeit getrieben, unterwerfen sich jeder Arbeitsbedingung; lettere, die von ihrer Arbeit nicht zu leben brauchen, sind der Höhe der Löhne gegenüber gleichgiltig. Beide Kategorien von Arbeiterinnen hindern die Entwicklung der Gewerkschaften und die Erreichung eines feststehenden Minimallohnsazes. Andererseits dürfen aber auch die schädlichen Folgen, welche die Unterdrückung der Heimarbeit für die Arbeiterinnen haben würde, nicht gering geschätzt werden. Sie würden in folgenden Fällen zu Tage treten: 1. wenn Alter oder körperliche Gebrechen eine Beschäftigung außer dem Hause unmöglich machen; 2. wenn kränkliche Familienmitglieder dauernder Wartung bedürfen; 3. wenn kleine oder zarte Kinder der Beaufsichtigung bedürfen und man die Meinung festhält, daß ihre Versorgung in Kinderkrippen oder Gärten einen Verlust für Mutter und Kind bedeutet; 4. wenn halberwachsene Mädchen und Knaben den Schutz des Hauses benöthigen. Aus diesen Thatsachen zieht Miß Irwin den Schluß, daß ein sofortiges Verbot der Heimarbeit nicht befürwortet werden könne, da es mit einer Gesetzgebung Hand in Hand gehen müsse, die die Frauen, soweit sie an das Haus gefesselt sind, vor den schädlichen Folgen schüßt.
Fast alle Diskussionsrednerinnen traten mit mehr oder weniger großer Entschiedenheit gegen die Beschränkung der Heimarbeit auf, weil sie dem berechtigten Streben des weiblichen Geschlechts nach Selbständigkeit hindernd in den Weg treten würde. Sie hielten also an dem flacht frauenrechtlerischen Standpunkte fest, welcher die Lage der proletarischen Frauen und ihre Interessen verkennt und der deshalb zu ganz irrigen Schlußfolgerungen führt. Was von den Frauenrechtlerinnen thatsächlich geschützt wird, das ist nicht die Selbständigkeit des weiblichen Geschlechts, das ist vielmehr die unbeschränkte Ausbeutungsfreiheit der Kapitalisten. Ein Beschluß wurde auch nach dieser Richtung nicht gefaßt. Die Frage selbst dürfte weiterhin die Frauenvereine lebhaft beschäftigen.
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner ) in Stuttgart. - Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. s.) in Stuttgart .