Nr. 2.
Die Gleichheit.
9. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 18. Januar 1899.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Inhalts- Verzeichniß.
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Die Schutz gegen die kapitalistische Ausbeutung, nicht Verbot der Arbeit. Thätigkeit der Berliner Mittelspersonen zwischen Arbeiterinnen und Fabrikinspektion. Die Frauenfrage im Alterthum. Von Lily Braun Aus der Bewegung. in Berlin . II. Feuilleton: Das Lied der Mascha. Hunde. Das Lied der Wölfe. Zwei Gedichte von A. Petöfi. Gedicht in Prosa von Turgenjew . Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Soziale Gesetzgebung.- Frauenstimmrecht. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenbewegung. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Ausbeutungspraktiken in der welschen Schweiz . Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.- Frauenbewegung.
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Schuk gegen die kapitalistische Ausbeutung, nicht Verbot der Arbeit.
Die Reichsregierung hat bekanntlich die Fabrikinspektoren angewiesen, in ihrer nächsten Berichterstattung besonders zu behandeln: den Umfang und die Folgen der Fabrikarbeit verheiratheter Frauen, sowie die Mittel, die zu ihrer Beschränkung geeignet erscheinen. Sie ist damit einem vom Zentrum beantragten Beschlusse des Reichstags nachgekommen, einem Beschlusse, der zur Art der sozialreform lerischen Mäuschen gehört, welche der freißende Berg der Arbeiterfreundlichkeit der bürgerlichen Parteien von Zeit zu Zeit gebiert.
Allerdings zeigt sich die Reichsregierung für gewöhnlich nicht als eine flinte Schöne, die beim ersten schwachen, ach gar so schwachen Pfeifen des Reichstags zum Tanze antritt. Daß sie in dem vorliegenden Falle dem Beschluß verhältnißmäßig mit einem winzigen Anflug des Eifers nachkam, der ihr sonst nur gegenüber den Anforderungen des schreienden Junkerthums und der Stümmlinge zu Gebote zu stehen pflegt, hat seinen guten Grund. Es ist die Rücksicht auf das Zentrum.
Das Zentrum muß für seine Bewilligungsfreudigkeit als Regierungspartei doch wenigstens den Schein„ positiver Thaten" im Interesse der frohndenden Masse einschachern. Und diesen Schein erkauft es sich in der Regel äußerst billig durch Interpellationen und Anträge, bei denen im Wesentlichen nichts heraustommt, als Erhebungen und Berichterstattungen, die nicht einmal immer eine größere wissenschaftliche Bedeutung beanspruchen dürfen, die aber bis jetzt stets ohne einschneidende praktische Folgen ge= blieben sind. An einer Erhebung aber über die Fabrikarbeit verHeiratheter Frauen hat das Zentrum ein besonders lebhaftes Interesse. Sie bringt der Partei nicht bloß den politischen Vortheil, die Massen durch arbeiterfreundliche Reden zu täuschen über ihre in Wirklichkeit arbeiterfeindliche Haltung, die Haltung einer strammen Schußtruppe des ausbeutenden und herrschenden Kapitals. Sie verschafft ihr außerdem das moralische Vergnügen, vor ihrem reaktionären Ideal in der Frauenfrage huldigend zu kniren.
Die Zentrumshelden sind bekanntlich grundsäßliche Gegner der sozialen Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts; in starrem Fanatismus halten sie an dem Gebot des Magdthums fest:„ Die Frau diene, gehorche und sei stille." Der Mann der Herr der Frau, Beschränkung des weiblichen Seins und Thuns auf das Haus, das sind die Ziele, zu denen sie die Entwicklung zurücklenken möchten. In der Theorie fordern sie deshalb das Verbot der Berufsarbeit der Frau. Freilich muß in der Praxis
Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner ), Stuttgart , RothebühlStraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
die Schwärmerei für das reaktionäre Ideal die Segel streichen vor der Verständnißinnigkeit für die kapitalistischen Interessen. Um so angenehmer aber empfindet in der Folge das firchlich mittelalterliche Gewissen" der Zentrümler die platonische Huldigung, die Demonstration für den„ allzeit hochgehaltenen" Grundsatz. Die Erhebung wird denn auch in Zentrumskreisen, wie seitens fonservativer sozialpolitischer Schwärmer, mit vollen Backen ge= priesen als Anfang des Anfangs zum Zurückdrängen der Frau aus der Welt in das Haus, als erster entscheidender Schritt für das Einlenken in die Bahnen einer rückläufigen Entwicklung, welche die alte soziale Rechtlosigkeit und Unfreiheit des weiblichen Ge= schlechts aufrecht erhalten soll.
Liegt aber das angestrebte Verbot der Fabritarbeit verHeiratheter Frauen im Interesse der proletarischen Frauenwelt, im Interesse des gesammten Proletariats? Wir sagen nein.
Gewiß ist, daß gerade die Berufsarbeit der verheiratheten Frauen heutigentags mit himmelschreienden Schäden verknüpft ist. Bei ihr werden schwere Mißstände auf die Spize getrieben, die als Begleiterscheinungen der kapitalistischen Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft überhaupt auftreten. Als Lohndrückerin und Schmutzkonkurrentin des Mannes ist die verheirathete Proletarierin im Allgemeinen noch mehr zu fürchten, wie die ledige Arbeiterin. Sie ist geneigt, sich mit dem niedrigsten Verdienst zu begnügen, weil sie an der Familie einen wenn auch noch so schwachen Rückhalt zu finden hofft. Des Weiteren trägt die Liebe zu den Kindern dazu bei, daß die Familienmutter sich an die Erwerbsarbeit auch unter den ungünstigsten Bedingungen flammert, daß sie nicht blos die billigste Arbeitskraft ist, sondern obendrein noch die willigste, die fügsamste, die selten wider den Stachel der kapitalistischen Ausbeutung und Knechtung zu löken wagt, und die noch seltener durch den Streit für ihr Menschenrecht kämpft. Marr führt im ,, Kapital" an, wie ehrsame englische Fabrikanten nach ihren eigenen Aussagen auf das Gefühl der Mutterliebe spekuliren, es als käufliche Marktwaare betrachten, die zu glänzendem Mehrwerth umgemünzt werden kann, und wie sie aus den angeführten Gründen Familienmütter als Arbeiterinnen vorziehen.
Was die gesundheitsschädigenden Einflüsse anbelangt von langer Arbeitszeit, unhygienischen Arbeitsbedingungen, ungesunden oder für den weiblichen Organismus ungeeigneten Beschäftigungsarten 2c. so werden sie der verheiratheten Arbeiterin doppelt verhängnißvoll. Im Allgemeinen ist ihr Körper solchen Einflüssen gegenüber nicht gleich widerstandsfähig, wie derjenige des jungen Mädchens. Durch die Mutterschaft fallen ihr physische Leistungen zu, welche an der Kraft zehren, dazu kommt, daß die proletarische Hausmutter mit Lasten überbürdet ist, wie Niemand sonst. Der Feierabend in der Fabrik bringt ihr nicht die Ruhe, wohl aber den Beginn eines zweiten Arbeitstags, der sich bis tief in die Nacht hinein erstreckt, und der am Morgen anhebt, lange ehe die gellende Dampfpfeife zur Erwerbsfrohn ruft. Da begreift es sich denn, daß der über Gebühr angestrengte, um nicht zu sagen miẞhandelte Körper ungemein empfänglich wird für alle gesundheitsschädlichen Einwirkungen, welche heute der Industriearbeit anhaften. Das eine oder andere Leiden, vor Allem aber vorzeitiges Welken und Altern ist in der Folge besonders häufig das Loos der verheiratheten Arbeiterinnen.
Aber die Einbuße an Gesundheit und Lebenskraft trifft nicht die Mutter allein, sie wird zur Ursache von Schwäche und