allgemein wurde über Nichtbeachtung des§ 120 a und b seitens der Unternehmer geklagt. Dieser Paragraph enthält bekanntlich Vorschriften betreffend die sanitäre Beschaffenheit der Arbeitsräume, Sicherheitsvorrichtungen und die Wahrung von Reinlichkeit, Sitte und Anstand bezüglich der Wasch- und Ankleideräume, sowie der Bedürfnißanstalten. Sehr häufig sind die Bedürfnißanstalten in zu geringer Anzahl vorhanden, sind sie schlecht und unsauber. Ebenso wurde Beschwerde geführt, daß es an Wascheinrichtungen und Anfleideräumen fehlt. Es kommt öfter vor, daß bis 50 Personen beider Geschlechter sich mit einem einzigen Abort behelfen müssen.
Daß Beschwerden dieser Art sehr oft erhoben werden, zeigt, daß das Unternehmerthum zu den einfachsten, selbstverständlichsten Einrichtungen für die Arbeiter gezwungen werden muß. Es ist aber auch ein Beweis dafür, daß der Sinn für Reinlichkeit und gute Sitte bei den Arbeiterinnen durchaus vorhanden ist. Es sei dies ausdrücklich hervorgehoben, weil es bekanntlich nicht an Leuten fehlt, welche die schmutzigen, jeder Sitte Hohn sprechenden Zustände in manchen Betrieben mit der Redensart entschuldigen wollen:„ Die Arbeiterinnen wissen und wollen es nicht besser."
Die zuständigen Gewerbeinspektoren haben sich bereit erklärt, über jede von den Mittelspersonen ihnen übergebene Beschwerde Untersuchungen anzustellen und, soviel in ihren Kräften steht, die beregten Uebelstände beseitigen zu helfen. Dagegen lehnen sie es ab, der Uebermittlerin der Beschwerde Auskunft über die stattgehabte Revision zu geben, da eine solche Mittheilung über ihre Befugnisse hinaus gehe. Die Mittelspersonen müssen sich also der Mühe unterziehen, Erkundigungen einzuholen, inwieweit Abhilfe gegen die aufgezeigten Uebelstände geschaffen worden ist. Unseres Erachtens würde es im Interesse einer gesunden Entwicklung der Gewerbeaufsicht liegen, daß die Fabrikinspektoren sich in weniger starrem Bureaukratismus an den Buchstaben ihrer Befugnisse klammerten und engere Fühlung mit den Vertrauenspersonen der Arbeiterinnen hielten.
Wie nützlich und nothwendig die Thätigkeit der Mittelspersonen ist, das zeigt wiederum folgender Fall. In der Lampenfabrik von Hirschhorn in Berlin , Köpnickerstr. 149, sind etwa 25 Arbeiterinnen beschäftigt, darunter auch einige mit Packen. Letztere müssen Sonnabends oft bis 7 Uhr arbeiten. Eine Beschwerde darüber seitens der Arbeiterinnen beim zuständigen Polizeirevier hatte zur Folge, daß der recherchirende Leutnant bei seinem Eintritt in die Fabrik zuerst frug, wer denn die Unzufriedene sei. Des Weiteren gab er dem Chef des Betriebs den Rath, die übrigen Arbeiterinnen Sonnabends nach 5/2 Uhr ebenfalls mit Packen zu beschäftigen. Das gehöre zum taufmännischen Betrieb, für den die Schutzgesetze nicht in Anwendung kommen. Die Angelegenheit ist einer Mittelsperson übergeben worden und wird zum Austrag gebracht werden. Der Fall ist nach zwei Seiten hin charakteristisch. Er läßt erkennen, warum die Arbeiterinnen vielfach lieber Mißstände ertragen, als daß sie den ihnen vom Gesetz zugebilligten Schuh suchen: sie wollen sich nicht als„ Unzufriedene" Maßregelungen aussetzen. Er spricht aber auch sinnenfällig dafür, wie manche Polizeibehörden ihre Aufgaben bei der Gewerbeaufsicht auffassen und durchführen. Sind die gemachten Angaben richtig, so ist an Stelle des Arbeiterinnenschutzes der Unternehmerschutz getreten, so hat der betreffende Beamte seine Pflicht nicht darin erkannt, einer Gesetzesübertretung entgegen zu wirken, vielmehr darin, dem Betriebsinhaber ein Hinterthürchen zu zeigen, durch das er sich um die gesetzliche Vorschrift herumbrücken fann.
Aus dem Umstand, daß die meisten Beschwerden über mangelnde Reinlichkeit, in einzelnen Fällen auch über ungesetzliche Ausdehnung der Arbeitszeit erhoben werden, ist keineswegs zu folgern, daß alle anderen gesetzlichen Bestimmungen gewissenhaft innegehalten werden. Aus der Durchsicht der Fragebogen, die bei Aufnahme der Beschwerde ausgefüllt werden, ergiebt sich, daß z. B. in Druckereien die Bremsen an den Maschinen vielfach fehlen, Mäntel für die Schwungräder auf dem Boden Platz gefunden haben 2c. Jedoch laufen direkte Beschwerden über derartige Mißstände fast nicht ein. Die große Masse der Arbeiterinnen weiß noch nichts von ihren so winzigen Rechten und erkennt noch nicht genügend klar die Gefahren, die Leben und Gesundheit in Folge mangelnder und unvollständiger Schuheinrichtungen drohen.
Das Ergebniß der halbjährigen Thätigkeit der Mittelspersonen ist scheinbar ein geringes. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Einrichtung zu einer Zeit ins Leben trat, die nach verschiedenen Richtungen als ungünstig bezeichnet werden muß. Die Agitation für die Reichstagswahl nahm Zeit und Denken der Massen so in Anspruch, daß das Interesse für die Neuerung in den Hintergrund trat und nicht in genügendem Maße erweckt werden konnte. Die Massen der Arbeiterinnen sind noch nicht genügend mit dem geringen Schutz bekannt, den das Gesetz ihnen gewährt. Es gilt sie hierüber aufzuklären, es gilt sie in geduldiger Erziehung daran zu
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gewöhnen, beschwerdeführend ihr Recht zu suchen und zu wahren. Wieder und wieder müssen sie auf die in ihrem Interesse liegende Thätigkeit der Vertrauenspersonen aufmerksam gemacht werden. Ein treues und gewissenhaftes Wirken derselben wird im Laufe der Zeit das Vertrauen der Arbeiterinnen gewinnen, und Aufklärung und Vertrauen werden Erfolge der Einrichtung zeitigen. Im neuen Jahre wird versucht werden, die Gewerkschaften zu regerer und kräftigerer Unterstützung der Neuerung zu veranlassen. Bisher haben sie ihr leider noch wenig Interesse entgegen gebracht, obgleich doch seinerzeit die Generalkommission der Gewerkschaften die Einrichtung warm empfohlen hat.
Ein von den Mittelspersonen verfaßtes neues Flugblatt wird unter den Arbeiterinnen in den Fabriken zur Verbreitung gelangen und soll in bestimmten Zwischenräumen in den Gewerkschaftsblättern abgedruckt werden. Ich lasse es hier folgen:
Arbeiterinnen Berlins , wahret Eure Rechte!
Die Unterzeichneten treten zur Wahrung des Schutzes der Arbeiterinnen mit folgender Bekanntmachung an Euch heran:
Die Bestimmungen der Gewerbeordnung, die zum Schutze der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter erlassen sind, werden vielfach seitens der Unternehmer nicht beachtet und die Rechte der Arbeiterinnen gekürzt.
Durch Gesetz ist Folgendes erlassen:
,, Dauer der Arbeitszeit für Arbeiterinnen über 16 Jahre höchstens 11 Stunden täglich, mit einstündiger Mittagspause; an Vorabenden von Sonn- und Festtagen 10 Stunden, die Arbeitsstätte muß bis spätesten 51/2 Uhr verlassen sein.
Jugendliche Arbeiter von 14 bis 16 Jahre dürfen nur täglich 10 Stunden mit einstündiger Mittagspause, sowie je 2 stündiger Frühstücks- und Vesperpause beschäftigt werden.
Kündigung und Entlassungen. Gründe für sofortiges Verlassen der Arbeit sind z. B.: Unsittliche Angriffe der Arbeitgeber oder deren Vertreter, sowie Thätlichkeiten, grobe Beleidigungen, unregelmäßige Lohnzahlung, bei Affordarbeit nicht ausreichende Beschäftigung 2c.- Die Kündigungsfrist ist für Arbeitgeber wie Arbeiterinnen eine 14 tägige; jedoch kann durch gegenseitige Vereinbarung dieselbe ausgeschlossen werden. Wenn Kündigungsfristen bestehen, müssen dieselben für beide Theile gleich sein.
Ausstellung von Zeugnissen. Die Arbeiterin hat das Recht, ein Zeugniß über Art und Dauer ihrer Beschäftigung zu verlangen; besondere Merkmale, die Schädigung der Arbeiterin zur Folge haben können, sind ungesetzlich und sind zurückzuweisen.
Strafgelder. Bestimmungen über Lohnabzüge in Form von Strafgeldern müssen in der Fabrikordnung, die sichtlich aushängen muß, bekannt gegeben sein. Jede Verhängung von Strafgeldern muß der Arbeiterin ohne Verzug mitgetheilt werden.
Hygienische und Schutzmaßregeln; Ungesunde Arbeitsräume; Ankleideräume, Waschvorrichtungen und getrennte Aborte. Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Geräthschaften sind vom Arbeitgeber so einzurichten und zu unterhalten, daß die Arbeiterinnen gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind. Es ist für genügend Licht, reine gute Luft, Beseitigung von Staub und Abfällen zu sorgen; ebenso sind Schußvorrichtungen an Maschinen anzubringen. In Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiterinnen sich umkleiden und nach der Arbeit reinigen, müssen ausreichende, für beide Geschlechter getrennte Ankleide- und Waschräume vorhanden sein. Die Bedürfnißanstalten müssen in genügender Zahl vorhanden und so eingerichtet sein, daß Sitte und Anstand nicht verletzt werden."
Arbeiterinnen, achtet darauf, daß vorstehende, zu Eurem Schutze erlassenen gesetzlichen Bestimmungen von Euren Arbeitgebern durchgeführt und inne gehalten werden. Eure Abhängigkeit, Furcht vor Entlassung, sowie Schamgefühl halten Euch oft davon zurück, längst erkannte Mißstände den zuständigen Behörden, den Fabrikinspektoren zu unterbreiten.
Um es den Arbeiterinnen zu ermöglichen, ohne Nachtheile für ihre Existenz die Mißstände in den Arbeitsstätten zu beseitigen, sind nachstehende Personen bereit, wahrheitsgetreue Beschwerden entgegen zu nehmen und für schleunigste Abhilfe Sorge zu tragen. Die Namen der Beschwerdeführer werden streng geheim gehalten! Frl. Baader, Fr. Bauschke, Frl. Haase, Fr. Jung, Fr. Luz, Fr. Mesch, Fr. Tiez, Fr. Schneider, Fr. Sprung. ( Folgt Wohnungsangabe.)
Sprechzeit: Jeden Mittwoch Abend 7-9 Uhr. Rud. Millarg, Gewerkschaftsbureau, Annenstr. 16, I. Sprechzeit: Alle Wochentage von 9-1 und 6-8 Uhr.