der Liebe und Treue einer wahren Mutter erzog. Nachdem die Verstorbene schon Jahre lang ein lebhaftes Interesse an der sozialisti schen Bewegung genommen und sich ihr mit Begeisterung angeschlossen hatte, trat sie 1894 dem Arbeiterinnenbildungsverein bei. Sie war ein treues und eifriges Mitglied. Unermüdlich erwies sie sich in der mündlichen Agitation für die sozialistischen Ziele; unter Freunden und Bekannten, in den Kreisen, mit denen das Leben sie in Berührung brachte, suchte sie Kämpferinnen und Kämpfer zu werben für die Befreiung des Proletariats. Nie fehlte sie, wenn es sich um die Verbreitung von Flugblättern und andere praktische Arbeiten handelte. Aemter und größere Aufgaben in der Dresdener proletarischen Frauenbewegung wies sie bescheiden mit der Begründung ab, daß sie noch lernen müsse, um mehr leisten zu können. Den Dresdener Genossinnen, insbesondere den Mitgliedern des Arbeite rinnenbildungsvereins war sie eine liebe und geachtete Mitfämpferin. Sie werden der Verblichenen allzeit ein ehrenvolles Andenken bewahren, denn in überzeugungsvoller, selbstloser Hingabe hat Genossin Luther stets ihr Bestes eingesetzt für die Befreiung der Arbeit aus dem Joche des Kapitals.
Soziale Gesetzgebung.
Zuwiderhandlungen gegen die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung wurden 1897 laut den Jahresberichten der Gewerbeinspektoren in 949 Fällen gerichtlich bestraft, gegen 985 in 1896 und 837 in 1895. Die Gewerbeaufsichtsbeamten klagen vielfach über die meist außerordentliche Geringfügigkeit der verhängten Strafen. Das niedrige Strafmaß steht in der Regel in gar keinem Verhältniß zu der Schwere der Gesetzesübertretung und dem Profit, der durch die gesetzeswidrige Ausbeutung von Frauen- und Kinderarbeit erzielt wird. Man stelle der Milde der Gerichte in den betreffenden Fällen die äußerste Strenge gegenüber, mit der unter Anrufung der deutungsreichsten Paragraphen wider„ Streifterroristen", ,, Majestätsbeleidiger" und ähnliche Sünder erkannt wird! Den Einen die Milde, den Anderen die Strenge, denn was Kunz recht ist, ist Hinz noch lange nicht billig- so will es das Wesen der Klassenjustiz, und zwar von Rechts wegen".
Der Gesetzentwurf gegen die Uebelstände in der Konfektions- Industrie, den die Thronrede ankündigte, wird nach dem ,, Konfektionär" im Wesentlichen die nämlichen Bestimmungen enthalten, wie der Gesetzentwurf vom 18. Mai 1897. Dieser Entwurf wurde am 24. Mai in erster Lesung berathen und einer Kommission überwiesen, ist aber vor Schluß der Session nicht mehr zur Behandlung gelangt. Wir haben uns seiner Zeit wiederholt mit dem Entwurf beschäftigt und nachgewiesen, daß er hinter den berechtigten Reformforderungen der Konfektionsarbeiterschaft bedeutend zurückbleibt. Und wie lange braucht es, ehe die beabsichtigten Reförmchen vom Flecke kommen! Die gefeßgebenden Gewalten, die mit höchster Eile reisen, wenn es sich um Forderungen des begehrlichen Junkerthums handelt, fahren mit der Schneckenpost, wenn es Reformen zum Schuße der Arbeiterklasse gilt.
Frauenstimmrecht.
Die 30. Jahresversammlung des New Yorker Vereins für das Frauenstimmrecht war sehr zahlreich besucht und nahm unter Anderem folgende Resolutionen an: 1)„ Wir protestiren ernstlich gegen die Ungerechtigkeit, den Frauen der Republik jede Mitbestimmung in der Entscheidung über Krieg und Frieden vorzuenthalten." 2)" Wir sind Gegner des Militarismus, der durch die letzten Kämpfe dieses Landes sich entwickelt hat, und wir stimmen von ganzem Herzen den Vorschlägen des Zaren bei, den allgemeinen Frieden betreffend." 3) Wir verlangen, daß bei allen, unter staatlicher Kontrolle stehenden Anstalten, in denen Frauen oder Mädchen in Haft gehalten werden oder angestellt sind, zu deren Behandlung weibliche Aerzte verwendet werden."
An der Wahl zu den Schulbehörden in Boston können sich dieses Jahr 8723 Frauen betheiligen, welche sich in die Wählerlisten einzeichnen ließen.
Gewerkschaftliche Arbeiterinnenbewegung.
Die Gewerkschaft der Blumen- und Federnarbeiterinnen in Paris zählt nur 75 Mitglieder, obwohl dort nicht weniger als 22 000 Frauen und Mädchen in diesen Industrien beschäftigt sind.
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Zur Stärkung der Gewerkschaft und Heranziehung der Arbeiterinnen werden jetzt populäre Vorträge veranstaltet, in denen soziale Fragen erörtert werden. Der bekannte Feminist und Sozialist, Leopold Lacour , leitete sie mit einem Referat über die Solidarität der Arbeiter beider Geschlechter ein, der jubelnden Beifall fand.
Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
Niedriger Lohn, vielseitige Ausnutzung und grobe Behandlung der Arbeiterinnen scheinen zu den unerläßlichen Bedingungen zu gehören, mittels deren der Inhaber eines Wäschegeschäfts in Köln a. Rh. den sonnigen Höhen kapitalistischen Lebens zustrebt, wo dank Fleiß, Intelligenz und Sparsamkeit" die Kommerzienräthe gedeihen. In dem betreffenden Betrieb bleibt der Verdienst der Arbeiterinnen noch unter den üblichen niedrigen Löhnen der Wäschenäherinnen zurück. So wird z. B. für die Anfertigung eines Dutzend Passe- Hemden nicht 3 Mt. gezahlt, wie in den meisten übrigen Kölner Wäschefabriken, vielmehr nur 2 Mt. 50 Pf. Es versteht sich am Rande, daß die Arbeiterinnen, die daheim schaffen, von diesen Hungerpfennigen noch die üblichen Auslagen für Faden, Nadeln, Beleuchtung, Beheizung, Abnutzung der Nähmaschine 2c. bestreiten müssen. Dazu kommt noch der Ausfall an Verdienst in Folge des Zeitverlustes beim Abholen und Liefern der Arbeit. Der Geschäftsinhaber läßt sich angelegen sein, den Arbeiterinnen die Wartezeit beim Holen und Liefern angenehm dadurch zu verkürzen, daß er sie eventuell als Hausknecht oder Laufbursche ausnutt, ihnen Gänge besorgen und schwere Packete tragen läßt. Natürlich nicht für schnöden Mammon, den die Motten und der Rost fressen könnten, vielmehr nur um die den leeren Magen wunderbar stärkende Ehre, dem Herrn Chef gefällig sein zu dürfen. Aus dem Geschäft ,, fliegen" solche Arbeiterinnen, die sich den vielseitigen Ausnutzungspraktiken des sparsamen" Unternehmers nicht fügen wollen. So wurde erst kürzlich eine Frau plößlich entlassen, weil sie sich geweigert hatte, schwere Packete in ein anderes Geschäft zu schleppen und dem Prinzipal den alten Kinderwagen zur Verfügung zu stellen, dessen sie sich beim Abholen und Abliefern ihrer Arbeit bediente. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen, ich schmeiße Sie aus meinem Hause", lautete die Antwort des„ gebildeten" Unternehmers auf die Weigerung. Und der Herr schickte sich an, seine Worte in die That umzusetzen, so daß sich die Arbeiterin nur durch schleunige Entfernung vor Schlägen schützen konnte. Welch reizendes Idyll aus dem ArbeiterinnenM. J. leben in dieser besten aller Welten"!
Die elenden Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen in einem Zentrumsparadiese erhellen aus den folgenden Angaben, die wir einem Artikel der„ Schwäbischen Tagwacht" entnehmen, der sich mit dem„ Arbeiterelend in Oberschwaben " befaßt. In der einer Aktiengesellschaft gehörigen Spinnerei und Weberei für Leinen im Laurathal bei Ravensburg wurde neulich der Lohn der Arbeiterschaft um 10 Prozent gekürzt, die Arbeitszeit blieb gleich lang. Die Arbeiterinnen verdienen pro 11stündigen Arbeitstag 80 Pf. bis 1 Mt. 20 Pf. Als die Lohnkürzung eingeführt wurde, machten die Arbeiterinnen der Spinnerei Miene, sich zu beschweren. Sie fanden nämlich, daß der den Oberen und Vorgesetzten geschuldete Gehorsam und das Dulden irdischer Trübsal gewiß schöne Dinge seien, daß aber das Sattessen auch nicht zu verachten wäre. Ihre Beschwerde konnten sie jedoch nicht einmal anbringen. Der Aufseher der Vorspinnerei vertrat ihnen den Weg, sperrte die Thüren und setzte den Vorstand des Betriebs in Kenntniß von dem„ aufsässigen" Vorhaben der Arbeiterinnen. Dieser fertigte darauf ein Schriftstück aus, das die Arbeiterinnen unterschreiben mußten, ohne es gelesen zu haben. Wie die Arbeiterinnen sich zuraunen, soll der Herr gelegentlich auch den ,, Liebenswürdigen" herauskehren. Nämlich dann, wenn eine Lohnfflavin allein in sein Arbeitszimmer kommt oder wenn sie, vom Hunger getrieben, Sonntags Kellnerinnendienste verrichtet. Aeußerst niedrig ist auch der Verdienst junger Mädchen von 14 bis 17 und 18 Jahren in der Rothschen Pinselfabrik in Ravensburg . Er beträgt 50-70 Pf. täglich, nur wenige Arbeiterinnen bringen es auf 1 Mk. 10 Pf. Es fehlt zwar nicht an Superflugen, welche, den Weisheitsfinger an die Nase gelegt, versichern, daß junge Mädchen mit solchen Bettelpfennigen ein Uebriges entlohnt sind. Aber diese „ Einsichtigen" für Kapitaliſteninteressen übersehen, daß gerade junge, in der Entwicklung begriffene Mädchen einer besonders reichlichen und kräftigen Ernährung bedürfen, die mit einem Verdienst von 50 und 70 Pf. pro Tag nicht zu beschaffen ist. Des Weiteren, daß für die jungen, lebensfrohen, unerfahrenen Arbeiterinnen die Versuchung naheliegt, durch einen lockeren Lebenswandel nicht blos die Nothdurft zu bestreiten, sondern auch einen Schimmer von der lockenden Welt des Genusses und Vergnügens zu erhaschen. In der Gardinenstickerei von A. Schwarz in Ravens