Leontion, nahmen dem griechischen Hetärenthum das Odium eines ehrlosen Gewerbes und erhoben die Hetäre in den Augen der her­vorragendsten Männer über die Hausfrau, deren Geistes- und Gefühlsleben künstlich verkümmert wurde.

Notizentheil.

( Von Tily Braun und Klara Betkin.)

Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens.

Im deutschen Post, Telegraphen- und Telephondienst sind nach einer Erklärung des Staatssekretärs des Innern 4600 Frauen thätig. In den Reichstagsdebatten über den Postetat wurde die Frage der Verwendung weiblicher Arbeitskräfte wiederholt berührt. Der Antisemit Werner ist ein Gegner der weiblichen Post-, Tele­graphen- und Telephonbeamten. Der christlich- soziale Stöcker dagegen möchte solche in möglichst großer Zahl angestellt sehen. Die Ver­wendung der Frauen im Post, Telegraphen- und Telephondienst begrüßte auch der Nationalliberale Bassermann. Der Egoismus des Mannes müsse den berechtigten Ansprüchen der Frau auf Erwerbs­thätigkeit weichen, äußerte er. Es traten noch für die Verwendung der Frauen ein: der Freisinnige Müller, der Prinz Schönaich Carolath und der Nationalliberale Möller. Ganz besonders wurde die Beschäftigung der Frauen im Fernsprechdienst befürwortet und zwar mit Rücksicht auf die höhere Stimme, die größere Aufmerksam keit und Freundlichkeit im Dienst. Mit Recht jedoch forderte Müller die Besoldung der weiblichen Hilfskräfte im Telephondienst, sowie Beseitigung des Mißverhältnisses zwischen der Zahl der zur Aus­bildung berufenen und der fest angestellten Telephonistinnen. Ebenso treffend mißbilligte es der Antisemit Vielhaben, daß die Frauen nur als billigere Arbeitskräfte verwendet würden, um männliche Beamte überflüssig zu machen. Der Unterstaatssekretär erklärte es als noth­wendige Maßregel, daß die Gehilfinnen im Fernsprechdienst während ihrer Ausbildungszeit kein Gehalt erhielten. Nach Podbielski hängt die Anstellung der ausgebildeten Damen von den eintretenden Va­tanzen ab. Die Debatten warfen Streiflichter[ auf die Thatsache, daß der Kapitalistenstaat wie der private Unternehmer] die Frauen vorzüglich als billige und anspruchslose Arbeitskräfte beschäftigt.

Soziale Gesetzgebung.

Zur Frage des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen zu den Gewerbegerichten führte Genosse Zubeil in seiner trefflichen Begründung des sozialdemokratischen Antrags das Folgende aus: Wir verlangen, wie es nicht anders zu erwarten ist, daß die Arbeiterinnen, die nun einmal unter den heutigen Verhältnissen ge­zwungen sind, in hervorragendem Maße in der Industrie thätig zu sein, das aktive wie das passive Wahlrecht zu den Gewerbegerichten erhalten. Sie müssen mit die Gewerberichter wählen können, sie müssen als Beisigerinnen mit über ihr eigenes Schicksal zu urtheilen haben. Am Berliner Gewerbegericht sind von Schneiderinnen und Näherinnen im Jahre 1897 2683 Klagen anhängig gemacht worden, von den Arbeiterinnen der Textil, Leder- und Puzindustrie 1002, von denen der Nahrungs- und Erquickungsindustrie 2466. Das Ge­werbegericht hatte also insgesammt 6951 Klagen zu entscheiden, an denen Arbeiterinnen interessirt waren. Es ist eine Ungerechtigkeit, daß die Arbeiterinnen in Streitfällen nicht mit entscheiden können, die ihr eigenes Wohl und Wehe berühren. Wenn eine Näherin mit ihrem Arbeitgeber in Lohnstreitigkeiten geräth, weil ihre Arbeit schlecht sein soll, so müssen Sachverständige zur Beurtheilung des Falles ge­laden werden. In Sachen der Frauenarbeit sind aber die Arbeite­rinnen sicher sehr oft bessere Sachverständige als Männer. Die Zu­erkennung des Wahlrechts an die Frauen ist um so nöthiger, als die Gewerbeinspektionsberichte von einer steigenden Zunahme der weiblichen Arbeitskräfte melden. Wenn man sich nicht genirt, die weiblichen Arbeitskräfte auszunuzen und auszubeuten, so wird man sich wohl oder übel auch dazu verstehen müssen, ihnen eine entschei dende Stimme zu gewähren, wo es sich um ihr Wohl und Wehe handelt. Ich glaube, daß ein Theil der Herren hier sich zu der An­sicht aufschwingt, es müsse Wandel geschaffen werden. Die Frauen der arbeitenden wie die der besitzenden Klasse streben nach mehr Selbständigkeit, sie wollen der Vormundschaft der Männer entrückt werden. Unsere Forderung giebt Gelegenheit, die Rechte des weib lichen Geschlechts zu erweitern. Der Zentrümler Trimborn lehnte

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es im Namen seiner Partei ab, sich in die schwierige Prinzipien­frage" des Frauenwahlrechts zu vertiefen. Er meinte in unschulds­voller Unkenntniß der Thatsachen, daß für das Wahlrecht der Frauen auf dem Gebiete der Gewerbegerichte sich vor der Hand kein Bedürf­niß und keine Neigung gezeigt habe". Grund zu dieser Schlußfolge­rung: Herr Trimborn hat niemals Klagen der Arbeiterinnen gehört, daß die Gewerbegerichte ihnen nicht ihr Recht zu Theil werden ließen. König Stumm wies als patentirter Träger des deutschen Rechts­bewußtseins" die Idee zurück, eine Köchin zum Richter zu machen". Gegen das Wahlrecht der Frauen erklärte sich auch der Antisemit Jakobskötter. Die Frauen müssen soviel Vertrauen zu den Män­nern haben, daß sie ihre Interessen bei ihnen in guter Hut wissen, so meinte er. Dagegen traten die Freisinnigen Schrader und Fischbeck wenigstens für das aktive Wahlrecht der Frauen ein. Die Wählbarkeit wollte ihnen Letzterer unter allen Umständen vorenthalten wissen, Ersterer nicht allgemein zugestehen, sondern nur dort, wo die Frauenarbeit eine große Rolle spielt. Genosse Zubeil fertigte Stumms Standpunkt schlagend ab. Weshalb verächtlich von den Köchinnen sprechen, erklärte er, die gesammte besitzende Klasse wird ohne die Köchinnen nicht fertig, und Herr von Stumm wird kaum in der Lage sein, ein sachverständiges Urtheil über die Herstellung von Braten und Kartoffeln abgeben zu können. Genosse Singer. befürwortete im Schlußwort warm und nachdrücklich das Frauen­wahlrecht. In den Fabriken dürfen die Frauen arbeiten", sagte er, ,, aber man verweigert ihnen das Recht, an der Entscheidung über die aus ihrem Arbeitsverhältniß entstehenden Streitigkeiten mitzu­wirken. Die Frauen werden wie Wesen einer niederen Klasse be= handelt, hier wie überall in der Gesetzgebung." Der Reichstag nahm zur Reform der Gewerbegerichte den Antrag der Nationalliberalen an. Der sozialdemokratische Antrag wurde zusammen mit dem Reste des Antrags Hize an eine Kommission von 14 Mitgliedern verwiesen. Die Verhandlungen haben wieder einmal klärlich erwiesen, daß die entschiedensten Vorfämpfer für Frauenrechte, die entschiedensten Ver­theidiger der Arbeiterinneninteressen nur im Lager der Sozialdemo fratie zu finden sind.

Eine Bundesrathsverordnung zum Schutze der Arbeiter­schaft der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borstenzurichtereien, der Bürsten- und Pinselindustrie ist endlich am 28. Januar er­lassen worden. Die Verordnung tritt am 1. Juli 1899 in Kraft und findet Anwendung auf alle Anlagen, wo Pferde- oder Rinderhaare, Schweinsborsten und Schweinswolle zugerichtet oder zu Krollhaaren versponnen werden und wo unter Verwendung solcher Materialien Bürsten, Besen und Pinsel hergestellt werden. Die aus dem Aus­land stammenden Haare und Borsten dürfen erst in Bearbeitung ge­nommen werden, nachdem sie desinfizirt sind. Die Desinfektion muß auf Grund besonderer bundesräthlicher Vorschriften geschehen. Für größere Betriebe sind eine Reihe von Bestimmungen festgelegt wor den, die sich auf die Reinlichkeit und hygienische Beschaffenheit der Arbeitsräume beziehen; auf das Vorhandensein und die Desinfektion der Arbeitskleider; auf die Beschaffenheit und Einrichtung der Wasch­Ankleide und Speiseräume; auf die hygienische Führung der Ar­beiter 2c. Die Verordnung ist in erster Linie der kräftigen Agitation zu verdanken, welche die Pinsel- und Bürstenarbeiter und Arbeite­rinnen zur Beseitigung der Gefahren entfaltet haben, die ihnen durch Verseuchung mit Milzbrandbazillen drohen. Der Bundesrath hat sehr lange gezögert, ehe er sich zu der Verordnung entschlossen hat. Die an Millionen und Einfluß reichen Pinsel- und Bürstenfabrikanten haben sich zähe gegen jeden Eingriff in ihre Ausbeutungsfreiheit ge­wehrt. Ob die erlassene Verordnung den berechtigten Forderungen der gefährdeten Arbeiterschaft entspricht, wird die Zukunft zeigen.

Schul- und Erziehungswesen.

Fortbildungsschulen für Mädchen und Frauen in der Schweiz . In der demokratischen Republik wird auf das Bildungswesen großer Werth gelegt, weil man längst erkannt hat, daß in dem großen wirthschaftlichen Kampfe ums Dasein nicht die größten und meisten Kasernen und auch nicht die schneidigsten Unteroffiziere entscheidend sind, sondern die größere Intelligenz und Bildung des arbeitenden Volkes. Bezeichnend dafür, wie sehr sich in dieser Beziehung die Schweiz von anderen Ländern unterscheidet, ist der Ausspruch, den vor Jahrzehnten der bekannte freisinnige Theologe Friedrich David Strauß that, als er auf dem aussichtsreichen Zürichberg stand, wo das eidgenössische Polytechnikum steht. Er meinte nämlich: Norden würde an einer solchen Stelle eine Kaserne oder ein Fürsten­schloß stehen. Die Schweizer aber haben ihre schönsten Plätze nur für ihre Schulen verwendet." Der Ausbildung des weiblichen Ge­schlechts hat man in der Schweiz seit Langem schon ernste Auf­

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