44Die Frauenfrage im Alterthum/Von Lily Braun in Verlin.IV.Die Geschichte weiß von keiner einzigen Griechin zu berichten,die sich gegen Sittengesetze empört hätte, welche als Lohn auf dieweibliche Tugend— die dauernde Gefangenschaft, und als Strafeauf das Laster— die Freiheit setzten. Aus der Seele der griechischen Frauen spricht Goethe, wenn er seine Iphigenie sagenlaßt:„Der Frauen Schicksal ist beklagenswerth", aber in Wirklichkeit besaß das weibliche Geschlecht in dem sonnigen, ruhmgekrönten Hellas keine Priesterin, die seinem stummen Leid Worteverlieh. Nur den größten Denkern der Nation, Plato und Aristoteles, scheint es zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß dieStellung der griechischen Frau eine unwürdige war. Wer PlatosAussprüche, wie z. B. die:„So haben also Mann und Weib dieselbe Natur, vermöge deren sie geschickt sind zur Staatshut", und„die Aemter—(im Staat)— sind Frauen und Männern gemeinsam",� aus dem Zusammenhang herausreißt, der mag sogarzu der Ueberzeugung kommen, er sei im modernsten Sinne einVorkämpfer der Gleichberechtigung der Geschlechter gewesen. DerSachverhalt ist aber thatsächlich folgender: Er theilt die Bevölkerungseines Jdealstaats in drei Klassen, von denen die oberste, die derHüter und Wächter, die geistig und körperlich vollendetste sein soll,weswegen die dafür Berufenen eine ganz ungewöhnlich trefflicheErziehung genießen müssen. Aber sie sollen nicht nur für ihrehohe verantwortliche Stellung als StaatSleiter erzogen, sie sollenschon dafür geboren werden. Und deshalb müssen ihre Mütterin gleicher Weise zu geistig und körperlich über der Masse stehenden Wesen herangebildet werden, wie ihre Väter. Plato erklärt— und das kann bei der hohen geistigen Bildung vieler Hetären' Aus dem„Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik"(13. Band,l. und 2. Heft) mit Bewilligung der Verfasserin.� Platos Staat, übersetzt von Schleiermacher. Berlin 1828, S. 274und 281.seiner Zeit nicht Wunder nehmen—, daß Männer und Frauengleiche Fähigkeiten besitzen, und da der Staat das höchste Interessedaran habe, daß begabte und kräftige Kinder geboren werden, somüsse er die besten männlichen und weiblichen Exemplare derobersten Klasse zwangsweise miteinander vermählen. Genau wieder Thierzüchter nach seinem Belieben Hengst und Stute zusammenführt, so sollen die Oberen bestimmen, nicht nur welche Männerund Frauen sich vermählen, sondern auch wie oft sie Kinder zeugendürfen/ damit„der Staat weder größer werde noch kleiner".Ein Kind aber, das ohne den Willen der Oberen erzeugt würde,dessen Eltern sich also freiwillig, aus Liebe umarmten, sollte demStaate für unecht und unheilig gelten/ und demselben Schicksalverfallen wie die Verkrüppelten und Schwachen. Der Staat alleinsollte das Recht haben, die geeignete Frau dem geeigneten Mannezu geben, und zwar nicht ein für allemal, sondern so oft er esfür nützlich hielt auch einem anderen. Der Kinderernährung undPflege sollten diese Frauen enthoben sein? ihre Kinder sollten ihnensofort entrissen und gemeinsam von Ammen und Wärterinnen aufgezogen werden. Die Frau sollte, erklärt Plato ausdrücklich, vomzwanzigsten bis zum vierzigsten Jahre„dem Staate gebären"/ Ervertritt den echt griechischen Standpunkt von der Omnipotenz desStaates und führt in logischer Weise nur weiter aus, was dasgriechische Recht und die Sitte von den Frauen forderte. Sie warenverpflichtet, dem Staate die Bürger zu schenken, Plato wünschte,daß es auch tüchtige Bürger seien, darum verlangte er, daß dieFrauen in„Musik und Gymnastik" unterrichtet würden. Aber,wohlgemerkt, nur die Frauen der obersten Klasse. Aus diesemUmstand und daraus, daß er Weibergemeinschaft, gewaltsame Trennung von den Kindern und eine lediglich grobsinnliche, zwangsweise Geschlechtsverbindung als das Wünschenswerthe pries, läßt sichersehen, wie fern es ihm lag, die Frauen, um ihrer selbst willen,aus einer unwürdigen Stellung zu befreien und sie insgesammtden Männern gleichzustellen. So gewiß es ist, daß große Geister,' Plato, a. a. O., S. 281.- Plato, a. a. O.. S. 283.-«IPlato, a. a. O., S. 282.Eine Dichterin der Freiheit.Von Klara Zetkin.Ein stolzes Wort hat Klara Müller ihrer Gedichtsammlung„Mit rothen Kressen"* vorangestellt:„Der Freiheit zueigen." Sie durfte es mit Recht gebrauchen. Die Verse sindvoll glühenden Freiheitsehnens, wie voll süßen, starken Weines.Und eine kraftvolle Persönlichkeit ist es, die nach der Freiheit ruft,nicht mit kühlem Verstand, sondern mit leidenschaftlich klopfendenPulsen. Die große Sehnsucht unserer Zeit, die bewußt oderunbewußt in Millionen Herzen brennt, die Sehnsucht nach demfreien Ausleben der Persönlichkeit blickt uns mit heißen Augen vonallen Seiten des Buches entgegen. Mit zwiefacher Gewalt mußtesie Besitz von der Verfasserin Seele ergreifen: als Weib und als mitdem Hirn pflügende Proletarierin hat Klara Müllers kraftvolleEigenart im Leben die Schwere lastender Ketten empfunden. DieserUmstand hat ihre Verse geprägt, und so sind dieselben durchauspersönlich, spiegeln aber doch über das Einzelschicksal hinaus einStück modernes Menschheitsschicksal wieder. Der Sehnsuchtsschreider Verfasserin nach Freiheit ist der Sehnsuchtsschrei zweier Klassen:des weiblichen Geschlechts und des Proletariats.Obgleich— dem Himmel sei Dank— die Gedichte nichtsweniger als grobe Tendenzreimereien sind— wirken sie deshalbdoch tendenziös. Sie sind durchfluthet von der Woge der Empfindungen, Gedanken, Hoffnungen, welche heute die Welt der Arbeitdurchbraust. Sie predigen nicht müdes Entsagen, sondern trotzigenKampf, aus getragenem Leide senkt nicht düstere Verzweiflungempor, wohl aber lichtvolle Siegeszuversicht. Nicht wohlmeinendeAbsicht hat ein bedeutsames Stück des Empfindnngs- und Ge-*„Mit rothen Kressen." Ein Gedichtbuch von Klara Müller,Verlag von Baumert St Ronge, Großenhain 18S9, brosch. 2 Mk.dankenlebens unserer Zeit zu Versen zusammengestümpert. Künstlerisches Empfindungs- und Schaffensvermögen drängte vielmehrnach Ausdruck und Gestaltung. Klara Müller ist nicht blos eineDenkende und Kämpfende, sie ist in gleichem Maße eine Künstlerin,eine Dichterin, die singt,„was ihr ein Gott gegeben". Ihre Begabung und ihr Können reichen weit über den Durchschnitt hinaus.Ihre Muse giebt der reichen, vielseitigen, individuell gefärbtenEmpfindungs- und Gedankenwelt einen kraftvollen und fast immerschönen, formvollendeten Ausdruck, kühne Gedanken stürmen inkühnen Bildern vorüber; glühendes Suchen und Begehren maltin satter, leuchtender Farbenpracht; eine üppig rankende Phantasiezaubert Märchenwelten empor; feines Empfinden hat die Seele derNatur erspürt und bannt ihren innerlichsten Reiz in stimmungsvolle Worte. Die schlichte Innerlichkeit und Poesie des Volksliedssteht der Dichterin ebenso zu Gebote, wie das erhabene Pathos undder feurige Schwung. Der Sprache eignet der Reiz des Persönlichen; sie ist weder schwatzschweifig, noch süßlich, wie dies leiderso sehr oft dichtender Frauen Art, sondern markig, gedrungen, biegsam und scharf wie guter Stahl, der Funken schlägt; nur seltensind Ausdrücke und Formen gesucht, gequält oder holprig. Soist die Lektüre der Gedichtsammlung ein Fest für Den, der künstlerisch genießen will, wie für Jenen, der den Lebensinhalt unsererTage in der Kunst sucht.Es ist ein Stück Frauenschicksal und ein Stück Proletarierschicksal, das Klara Müllers Gedichtsammlung aufrollt. Ein innerlich unbegrenztes, reiches Leben, das in seinem Reichthum undseiner herausfordernden Kühnheit im schroffen Gegensatz steht zudem engen Rahmen der äußeren Verhältnisse, die es einschließen.Die Verse klingen denn auch von dem Klirren der Ketten, andenen zehrende Sehnsucht wieder und wieder rüttelt, nicht in hoffnungsloser Verzweiflung, um durch das Klirren und Klingen denSchrei der gemarterten Persönlichkeit zu übertönen, vielmehr imhochbäumenden Trotz unbezähmbaren Lebensdranges. Tiefe, roth-