Mit dem Nachweis, daß die kapitalistische Ordnung der Nähr­boden ist, auf dem die Unfittlichkeit üppig in die Halme schießt, hatte Bebel seine Rede begonnen. Er endete sie mit der Anklage, daß die herrschenden Gewalten die Sittlichkeitsverbrecher sehr ver­schieden beurtheilen, je nachdem sie den unteren oder oberen Ge­sellschaftsklassen angehören. Dem Volke soll die Sittlichkeit ein­gebüttelt werden, die oberen Zehntausende aber fönnen unter der wohlwollenden Duldung der Behörden der schlimmsten Unsittlichkeit fröhnen. Dem Berliner   Polizeipräsidium sollen z. B. nach Bebels Behauptung bestialische alte Wüstlinge bekannt sein, die Kinder geschlechtlich mißbrauchen. Die Kinder werden polizeilich untersucht, die vornehmen alten Schurken bleiben im Lande der vollendetsten Rechtsgarantien" unbehelligt. Mehr als einem angesehenen" Eitt lichkeite ver brecher wurde durch allerhöchste Entscheidung auf dem Gnadenwege die Strafe gemildert. Die Bourgeois gesellschaft hat auch in Sachen der Sittlichkeit zweierlei Maß und Gewicht. Eine Kommission von 21 Mitgliedern soll zur Hebung der Sitt­lichkeit an dem reaktionär- oberflächlichen Machwerk der Regierung herumquacksalbern.

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Die Frage der weiblichen Fabrikinspektoren vor dem preußischen Landtag. Von Paul Hirsch  .

Es geschehen Zeichen und Wunder in Preußen. Das Abge­ordnetenhaus hat fast eine Stunde seiner kostbaren Zeit auf die Er­örterung einer wichtigen sozialpolitischen Frage verwendet: der Frage der Fabrikinspektorinnen. Wie viel besser hätte nicht das Junker­parlament diese Stunde ausnutzen können, um von Neuem das hohe Lied anzustimmen von der Noth der Landwirthschaft oder um ge= müthlich zu plaudern über die Macht der Kirche im Mittelalter oder andere nicht minder zeitgemäße Themata! Wenn es trotzdem Ge­legenheit genommen hat, sich mit der Frage der weiblichen Fabrik­inspektoren zu befassen, so zeigt das eben, wie Unrecht diejenigen haben, die fort und fort von der Arbeiterfeindlichkeit der Landraths­kammer reden, lediglich aus Neid darüber, daß die Arbeiter in diesem Hause nicht vertreten sind.

Anlaß zu der Debatte gab ein zur zweiten Lesung des Handels­etats von dem bekannten freisinnigen Abgeordneten Dr. May Hirsch gestellter Antrag, worin die Regierung ersucht wird,

,, nach dem Vorgang anderer deutscher   Bundesstaaten auch in Preußen einen Versuch mit der Anstellung weiblicher Gewerbe­aufsichtsbeamten in solchen Bezirken, wo eine große Zahl von Ar­beiterinnen beschäftigt ist, zu machen."

Man wird nicht behaupten können, daß dieser Antrag durch ein Uebermaß der Ansprüche sündigt, und daß er vollständig die Forde­rungen erfüllt, welche die in der Industrie thätigen Frauen an die Ge­setzgebung zu stellen berechtigt sind. Es handelt sich in ihm lediglich um einen Versuch" der Neuerung, und noch dazu um einen sehr schwächlichen Versuch, da nur in solchen Bezirken, wo eine große Zahl von Arbeiterinnen beschäftigt ist, weibliche Gewerbeaufsichtsbeamte angestellt werden sollen. Wie aus den eigenen Worten des Antrag­stellers hervorgeht, sollen die anzustellenden Frauen nicht etwa selb ständig thätige Beamte sein ein so weitgehendes Recht wird man doch in Preußen keiner Frau einräumen, nein, sie sollen lediglich als Hilfsbeamte, gewissermaßen als Vertrauenspersonen der Arbeite­rinnen, den männlichen Beamten an die Seite gestellt werden.

Andere Länder, sowohl außerdeutsche als auch deutsche Staaten, sind bezüglich der Anstellung weiblicher Gewerbeaufsichtsbeamten dem Königreich Preußen weit voraus, das es sich ja zur Ehre an­rechnet, in allen Kulturfragen an letzter Stelle zu marschiren. Es sei nur hingewiesen auf Nordamerika  , auf Australien  , auf Frankreich  , wo seit 1892 in sechs Departements, welche hauptsächlich Textil­industrie betreiben, 15 Inspektorinnen angestellt sind, und auf Eng­land, wo außer einer stetig wachsenden Zahl von lokalen Sanitäts­inspektorinnen 6 weibliche Gewerbeinspektoren thätig sind und sogar eine eigene Abtheilung innerhalb der gesammten Gewerbeaufsicht bilden.

Die im Auslande gemachten Erfahrungen haben die Berufs­tüchtigkeit der weiblichen Beamten erwiesen. In Frankreich   sind Behörden wie Arbeiterinnen mit der Thätigkeit der Inspektorinnen sehr zufrieden; irgend welche Klage oder Beschwerde ist nach der Richtung nicht bekannt geworden. Und in England wird ,, mit seltener Einmüthigkeit die bisherige Wirksamkeit der Inspektorinnen von Mit­gliedern aller Parteien, Sozialökonomen, Führern industrieller, öko­nomischer und politischer Vereine gerühmt. Bei einer Nachfrage in Nord- England   überrascht die Anzahl konservativer, streng firchlicher

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Fabrikanten, welche die Vermehrung der Fabrikinspektorinnen aus religiös philanthropischen Gründen warm befürworten."

In Deutschland   sind in Hessen   und Bayern   je zwei Assistentinnen der Fabrikinspektion, bezw." Funktionärinnen" thätig. In Sachsen­Weimar wurde auf dem Wege einer ministeriellen Verordnung eine Frau zur Gewerbeaufsicht herangezogen; die Art und Weise ihrer Ernennung und der Einführung in ihre Amtspflichten wurde seiner­zeit in Arbeiterkreisen mit Recht bemängelt. Ueber die Thätigkeit der Beamtin hat bis jetzt nichts verlautet; in Hessen   wie in Bayern  haben die Assistentinnen zur allseitigen Zufriedenheit ihres Amtes ge­waltet. Der badische Landtag beschloß im vorigen Jahre die An­stellung von zwei Assistentinnen der Gewerbeaufsicht, und die württem­bergische Regierung hat in den Etat für das laufende Jahr gleich­falls die Heranziehung von Frauen zur Fabrikinspektion vorgesehen. Wenn man bedenkt, daß nach den Berichten der Gewerbe­inspektoren für 1897 allein in den beaufsichtigten Betrieben Preußens 340000 Arbeiterinnen im Alter von über 16 Jahren thätig waren, ganz abgesehen von der beträchtlichen Zahl der jugendlichen Arbeite­rinnen, so wird man sich der Ansicht nicht verschließen können, daß es auch für den preußischen Staat endlich an der Zeit ist, mit dem alten Schlendrian zu brechen und die dringliche Reformforderung zu erfüllen. Was aber thut die preußische Regierung Sie prüft" und ,, erwägt", und sie prüft und erwägt so lange, daß sie vor lauter Prüfungen und Erwägungen zu keinem Resultat gelangen kann. Bereits vor mehreren Jahren hat sie, wie der Minister Brefeld mit­theilte, einen Beamten nach England geschickt, um sich über die ein­schlägigen Verhältnisse informiren zu lassen. Wenn die Regierung trotz der in diesem Lande gemachten günstigen Erfahrungen sich nicht einmal entschließen konnte, versuchsweise Frauen bei der Gewerbe­aufsicht zu verwenden, so ist der Grund dafür hauptsächlich darin zu erblicken, daß sämmtliche preußischen Regierungsgewerberäthe sich in einer Konferenz einstimmig gegen die Neuerung erklärten. Ihrer Ansicht nach können die Gewerbeinspektoren alles leisten, was die weiblichen Gewerbeinspektorinnen bezw. Gehilfinnen der Gewerbe­inspektoren leisten sollen; eine Erleichterung der Amtsthätigkeit der männlichen Beamten würde durch die Arbeit weiblicher Kollegen nicht herbeigeführt werden, und nüßen würde die letztere nichts. Diese durch nichts begründete Ansicht der preußischen Fabrikinspektoren, aus der nur allzudeutlich die Furcht vor der Konkurrenz des weiblichen Geschlechts herausschaut, hat sich die preußische Regierung zu eigen. gemacht. Sie gab ihr einen, wenn auch sehr fadenscheinigen Grund zur Hand, um ihre Unterlassungssünde zu beschönigen. Aber auf die Dauer wird sich selbst die preußische Regierung der wichtigen Forde rung nicht widersetzen können. Das sieht auch der Handelsminister Brefeld ein, der trotz aller Prüfungen, Erwägungen und Bedenken nachstehende Erklärung abgab:

Im Uebrigen bin ich durchaus nicht der Meinung, daß man die Frage einer weiblichen Gewerbeinspektion ganz von der Hand weisen soll. Ich erkenne durchaus an, daß gerade bei der Verwen­dung weiblicher Arbeitskräfte im Gewerbe und sie werden ja sehr zahlreich verwendet es eine große Reihe von Fragen giebt, be­züglich deren die besondere Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts nothwendig ist und nicht in der gleichen Weise stattfinden fann durch männliche Gewerbeinspektoren als durch die Vermittlung weiblicher Personen. Manche Fragen sind so delikater Natur, daß die Frauen Bedenken tragen, sie einem Manne vorzutragen, während sie kein Be­denken haben, sie einer Frau vorzutragen. Gerade in solchen Fragen ist die Einschaltung des weiblichen Elements in die Gewerbeinspektion angezeigt. Vorzugsweise Verwendung würden sie erlangen nicht so­wohl in den Großbetrieben als in den Hausbetrieben und in den Werkstätten. Nun stehen wir ja im Begriff, die Gewerbeinspektion auch auszudehnen auf die Werkstätten, was ja in der Gewerbeordnung vorbehalten ist, und auch auszudehnen auf die Hausindustrie. Bis jetzt kommt da nur das Konfektionsgewerbe in Betracht, und gerade da wird uns von Neuem die Frage nahe gelegt werden, ob es jetzt angemessen ist, das weibliche Element einzuschalten in die Gewerbe­inspektion, und zwar in der Form der Gehilfinnen der Gewerbe­inspektoren, die selbst keine Anordnungen zu treffen haben, die nur die Wünsche und Beschwerden der weiblichen Arbeiter entgegen­zunehmen haben. Und da muß ich gestehen, insoweit stehe ich der Frage sehr günstig gegenüber. Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß wir das ablehnen sollen. Ich habe mich indeß für verpflichtet gehalten, zunächst noch nähere Informationen einzuziehen über die Erfahrungen, die man inzwischen in anderen Ländern gemacht hat. Seit den früher eingeholten Informationen sind mehrere Jahre ver­flossen. Wie sich die Sache weiter entwickelt hat, würde doch eine Frage sein, die nicht ganz unwichtig wäre. In Bayern   und Hessen  hat man neuerdings die weibliche Gewerbeinspektion in der Form solcher Assistentinnen eingeführt, und man ist mit der Einrichtung