einem Gebiet des öffentlichen Lebens mit dem Manne gleichberechtigt, so muß allmälig auch der Widerstand gegen ihre Gleichstellung auf anderen Gebieten weichen.
* Interessante Urtheile über das Frauenstimmrecht. Der Justizminister des Staates Wyoming erklärte kürzlich:„ Wir haben nichts verloren, sondern viel gewonnen während der achtundzwanzig Jahre gleicher politischer Rechte, der beste Lehrer, Erfahrung, hat uns belehrt. Wir haben im Verhältniß zu unserer Bevölkerung weniger Verbrecher, weniger Ehescheidungen und eine geringere Zahl an berufsmäßigen Bettlern, als die Staaten des Männerwahlrechts." Der erste Richter des obersten Gerichtshofs von Wyoming sprach sich ähnlich aus und fügte noch Folgendes hinzu:„ Ich habe noch nie gehört, daß ein Mann sich über die Vernachlässigung häuslicher Pflichten durch seine Frau beklagt hätte, weil diese politische Rechte besitzt und an den Fragen des Staatshaushalts reges Interesse nimmt. So scharf die Opposition gegenüber dem Frauenwahlrecht einst war, ich glaube nicht, daß man heute zwölf Männer finden würde, die noch dabei beharren."
In einer öffentlichen Versammlung in London führte der Unterrichtsminister der englischen Kolonie Südaustralien Mr. Cockburn eine Reihe von Beispielen zu Gunsten des Frauenstimmrechts an und sagte unter Anderem:„ Es kommt mir sehr seltsam vor, aus der Kolonie in das Mutterland zu kommen, wo meine Frau entrechtet ist; und ebenso merkwürdig erscheint es, daß es jemals ernstlich in Frage gezogen werden kann, den Frauen das Wahlrecht zu geben. Ist die Sache erst einmal der Deffentlichkeit vorgelegt, so müßte jedes gerechtdenkende Volf ihr unbedingt zustimmen. Zehn Jahre der Agitation hat es in Südaustralien bedurft, ehe das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Jetzt ist die öffentliche Meinung überzeugt von der Richtigkeit dieser Maßregel, und Niemand möchte sie rückgängig machen."
Dieselbe Ansicht vertrat der Gouverneur von Neuseeland , wenn er sagt:„ Das Frauenwahlrecht ist jetzt aus dem Stadium des Experiments herausgetreten. Der beste Beweis für seinen Erfolg ist die Thatsache, daß Niemand auch nur im Entferntesten daran denkt, es wieder abzuschaffen."
Die Forderung des kommunalen Wahlrechts für die Frauen hat die„ Konferenz der sozialdemokratischen Gemeindevertreter des 12. und 13. sächsischen Reichtags= wahlkreises" in das Agitationsprogramm für die Gemeindewahlen aufgenommen. Der Referent über dieses Programm, Genosse Pollender, begründete die Forderung des Frauenwahlrechts eingehend mit dem Hinweis auf die kommunalen Interessen und Pflichten der Frauen und auf die trefflichen Erfahrungen, die man im Ausland mit dem Frauenwahlrecht gemacht hat.
Das Gemeindewahlrecht für die arbeitenden Frauen Wiens wurde in zwei massenhaft besuchten Versammlungen gefordert, in denen die Genossinnen Glas, Popp und Schlesinger referirten. Bekanntlich hat der Wiener Gemeinderath eine Reform des kommunalen Wahlrechts beschlossen. An Stelle der alten Wahlkörper soll das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht treten, dessen Besitz jedoch an eine ununterbrochene Seßhaftigkeit von fünf Jahren geknüpft ist. Mit gaunerhafter Niedertracht entreißt also die Wahlreform den Arbeitern von links, was sie ihnen von rechts reicht. Von einer Zuerkennung des Wahlrechts an die Frauen war nicht die Rede, sogar nur in einer einzigen von zahlreichen sozialdemokratischen Versammlungen wurde die Forderung erhoben. Die Genossinnen nahmen deshalb Stellung zu der Gemeinderathswahlreform, wie zu den Attentaten der Christlich- Sozialen auf die Schulen. Beide der zu diesem Zweck einberufenen Versammlungen verliefen glänzend und erklärten sich für das kommunale Wahlrecht der Frauen.
Frauenbewegung.
Wider die Zulassung der Frauen zu den klinischen Vorlesungen richtet sich ein Protest der Klinikerschaft zu Halle, der sich an alle Klinizisten Deutschlands wendet. Bereits am 9. Februar d. J. hatten die Hallenser Kliniker der Universität einen Protest gegen die weitere Zulassung der Frauen zu den klinischen Vorlesungen eingereicht. Der Verein Frauenbildung- Frauenstudium" in Berlin nahm durchaus richtig Stellung zu der Kundgebung. Er wendete sich an die Presse, an den Bundesrath und an die Universität Halle und forderte zum öffentlichen Protest gegen das Verlangen der zopfgeschmückten, konkurrenzfürchtigen Kliniker auf. Diese haben das Vorgehen mit der gemeldeten weiteren Rundgebung beantwortet. Ihr Protest stellt so ziemlich das Höchste dar, was zynische Heuchelei und Verlogenheit im Bunde mit philisterhaftem Vorurtheil und egoistischer Konkurrenzfurcht zu leisten vermag. So wird in dem Aufruf davon gesprochen, welche peinlichen und jeder Schamhaftigkeit spottenden
56
Situationen dieser gemeinsame Unterricht hier und da herbeiführen muß, Situationen, welche zu unwürdig sind, als daß man sie, ohne Anstoß zu erregen, hier genauer präzisiren könnte.... In die Stätten ehrlichen Strebens ist mit den Frauen der Zynismus eingezogen.... Hier wird die Emanzipation der Frauen zur Kalamität, hier geräth sie mit der Sittlichkeit in Konflikt und deshalb muß ihr hier ein Riegel vorgeschoben werden.... Der gemeinsame flinische Unterricht der männlichen und weiblichen Zuhörer verträgt sich ebensowenig mit dem Interesse eines gründlichen medizinischen Studiums, als mit den Grundsätzen der Sittlichkeit und Moral." Unter Hinweis darauf, daß man höheren Orts etwas von der definitiven Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium verlauten ließ, werden dann alle deutschen Kliniker aufgefordert, sich dem Protest anzuschließen. In Amerika , der Schweiz , Frankreich 2c. studiren seit Langem die Frauen Medizin und hören klinische Vorlesungen gemeinsam mit den Männern, ohne daß in die Stätten ehrlichen Strebens der Zynismus eingezogen ist". Im Gegentheil, die Erfahrung hat bewiesen, daß das Zusammenarbeiten der Geschlechter die Zote verdrängt hat, die gerade unter den Klinikern vielfach zum guten Ton zu gehören scheint. Sollte das Anstandsgefühl der deutschen Studenten allein so schwach sein, daß es in Folge der Anwesenheit von Frauen sich in das Drachengift des Zynismus verwandelt? Hat das mimosenhafte Sittlichkeitsempfinden der Herren Kliniker je durch die peinlichen, jeder Schamhaftigkeit spottenden Situationen" gelitten, die z. B. durch die Hilfeleistung von Wärterinnen bei der Behandlung syphilitischer Männer geschaffen werden? Haben die Grundsätze der Moral und Sittlichkeit" die Herren Aerzte je davor zurückschrecken lassen, Frauen in den peinlichsten, jeder Schamhaftigkeit spottenden Situationen" zu behandeln? Es ist kennzeichnend, daß die Herren Rückwärtser mit der„ gefährdeten Sittlichkeit" trebsen gehen. Der Hinweis auf die geistige Minderwerthigkeit des weiblichen Geschlechts will nicht mehr recht ziehen, und wir leben in der Zeit der lex- Heinziaden. Auf den letzten Aerztetagen kam es klar zum Ausdruck, daß die Konkurrenzfurcht der Kern des Schamhaftigkeitspudels der studirenden und studirten Herren ist. Der Bourgeois spricht am lautesten von hehren Idealen, wenn er das„ Geschäftemachen", sein Geldsackinteresse wahren will.
"
Der deutsch- evangelische Frauenbund, von dessen beabsichtigter Gründung wir bereits berichteten, soll im Juni d. J. auf einem ,, Allgemeinen deutsch- evangelischen Frauentag" in Kassel endgiltig konstituirt werden. Ein Aufruf, der vornehmlich von dem unter Leitung des evangelischen Sozialpolitikers Pfarrer Lic. WeberM.- Gladbach stehenden Verband der deutschen Sittlichkeitsvereine und dem Gesammtverband der evangelischen Arbeitervereine Deutschlands unterstützt worden ist, zählt schon viele hundert Unterschriften von Frauen und Mädchen aller Stände und aus allen Theilen Deutsch lands . Ueber die Zwecke und Ziele des neuen Verbands heißt es in diesem Aufruf u. A.:„ Es gilt, daß alle Frauen und Frauenvereine, die auf evangelisch- christlichem Boden stehen und an ihrem Theile an der Lösung der Frauenfrage, an der Förderung aller berechtigten Frauenbestrebungen und an der Fruchtbarmachung und Entfaltung der der weiblichen Natur eigenthümlichen Gaben und Kräfte für das Volksleben im Ganzen mithelfen wollen, sich zu einem großen deutschevangelischen Frauenbund zusammenschließen. Es gilt, in diesem ebenso weitherzig wie besonnen im Sinne der religiösen und sittlichen Forderungen des Evangeliums zur Frauenbewegung unserer Tage Stellung zu nehmen und nicht die Behandlung dieser Frage den rein human wirkenden oder gar radikalen und antichristlichen Elementen ausschließlich zu überlassen." Der Hase der evangelischen Frauenrechtelei liegt eingestandenermaßen in der Furcht vor den„ radikalen", lies: sozialistischen Einflüssen begraben. Der zu gründende Frauenbund soll vor Allem eine Kampfesorganisation gegen die Sozialdemofratie sein. Dafür spricht schon die Pathenschaft des Pfarrers Weber, der deutschen Sittlichkeitsvereine und der evangelischen Arbeitervereine. Die Sozialdemokratie kann dem weiblichen Aufgebot der Frommen und Stillen im Lande ruhig entgegensehen. Was Unternehmergewalt, Polizeiallmacht und Juristenweisheit nicht vermocht haben, das wird auch der evangelische Frauenbund nicht vermögen: der Ausbreitung des Sozialismus unter den Frauen des werkthätigen Volkes entgegenzuwirken. E. J.
Quittung.
Für den Agitationsfonds gingen ein: von den Genossinnen in Leipzig 20 Mt., von den Genossinnen in Neu- Isenburg durch Genossen Freitag 20 Mt. Sa. 40 Mt. Dankend quittirt
März 1899.