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Die Versammlung beschloß mit allen gegen drei Stimmen, die Frauen nicht auszuschließen. Darauf erhob sich der Wachtmeister, erklärte die Versammlung für geschlossen und forderte die Anwesenden auf, den Saal zu verlassen. Ein Sturm der Entrüstung antwortete ihm, langsam leerte sich der Saal. Nichts illustrirt deutlicher als diese Versammlungsauflösung die in Preußen herrschende Polizeiallmacht und Polizeiwillkür . Es vergeht kaum eine Woche, wo in Berlin und anderen Orten nicht Hunderte von Frauen, manchmal Tausende, Voltsversammlungen beiwohnen. In nächster Nähe von Berlin , in Köpenick , wird eine Versammlung wegen der Anwesenheit von Frauen aufgelöst. Und das dem Gesetz entgegen, jedenfalls lediglich, weil es den Köpenicker Behörden beliebt, Staatsretter spielen zu wollen. Das gesetzlich gewährleistete Recht einer ganzen Ortsbevölkerung vernichtet, weil überängstliche und übereifrige Beamte das Gesetz nicht kennen oder nicht kennen wollen. Wir leben im Lande der vollendetsten Rechtsgarantien. Ein Minister hat es gesagt, und folglich muß es allen Thatsachen zum Trotz für den beschränkten Unterthanenverstand wahr sein.
Ein Tanzvergnügen gewerkschaftlich organisirter Arbeiter wurde wieder einmal durch behördliche Weisheit zu einer Vereinsversammlung eines politischen Vereins gestempelt, an der Frauen nicht theilnehmen dürfen. Am 4. September 1897 wollte die Verwaltungsstelle Luckenwalde des Metallarbeiterverbandes ein Tanzvergnügen abhalten. Es wurde von der Polizeibehörde mit der Begründung verboten, daß es sich um eine Vereinsversammlung einer politischen Organisation handle, die wegen der vorauszusehenden Anwesenheit von Frauen nicht gestattet werden könne, Der Bevollmächtigte der Verwaltungsstelle führte vergeblich Beschwerde beim Regierungspräsidenten und beim Oberpräsidenten. Die Regierungsvertreter traten der Ansicht der Polizei bei. Der politische Charakter der gewerk schaftlichen Organisation wurde durch Aeußerungen aus Verbandsversammlungen und öffentlichen Versammlungen nachgewiesen". Die Arbeiter klagten beim Oberverwaltungsgericht. Dieses hat nun kürzlich die Klage abgewiesen, ohne Gründe zu veröffentlichen. Auch das Oberverwaltungsgericht scheint demnach pflichtschuldigst den staatsgefährlichen Charakter des Tanzvergnügens, die umstürzlerische Wirfung der Walzer und Galopps entdeckt zu haben! Glücklich der Staat, der so scharfsinnige und findefrohe Behörden hat.
Einen neuen Grund für die Auflösung von Versammlungen hat im Lande Bliemchens ein biederer Ueberwachender gefunden:„ das Auflehnen der Behörden". Genossin Zietz- Hamburg sprach kürzlich in Hartha über„ Moderne Sklaverei". Nach dem Vortrag forderte
Nicht das Ausruhen, nein, die Ruhe!
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Dreimal süßer ist Schlaf, denn Wachen, Aber das Süßeste ist der Tod."
Aber solche müde Stimmungen ziehen nur vorübergehend durch ihre Seele und vermögen die Lebensfrische und Strebensfreude so wenig zu ertödten, wie eine über den Himmel huschende Wolke der Sonne Leuchtkraft auslöscht. Kraftvoll schüttelt die Dichterin„ die bleichen Schemen" ab, die das Blut aus ihren Adern trinken", und so klingen die erlittenen Leiden nicht in wehmüthig greinender Resignation aus, sondern in einem trozigen„ Aufschrei" des Hasses wider das Beugen, des Bedauerns über die dahin vegetirten Jahre, des festen Willens zu leben:
,, Ach, dies Leben tödtet mich: Grau in Grau in weiten Fernen, Essen, Trinken, Schlafenszeit, Beugen lernen, Beugen lernen!
Und ich hab' es ja gelernt,
Nicht gewagt, das Haupt zu heben, Habe Jahre vegetirt.
Herr mein Gott, jetzt will ich leben!
Das Leben, das glühend begehrte menschenwürdige Leben sucht unsere Dichterin nicht gleich so vielen Zeitgenossen in feiger, poetisch verklärter Weltflucht. Die Kunst ist ihr fein Narkotikum, das von den Kämpfen unserer Tage in das Reich einer traum seligen Schönheit entrückt, Klara Müller trägt vielmehr den Kampfes= gehalt der Zeit in ihre Stunst hinein. Troß ihrer starken Eigenart oder richtiger gerade wegen ihrer siarken, aber gesunden Eigenart philosophirt und dichtet sie sich den Herdenthieren" gegenüber nicht in den Verachtungswinkel hinein, in dem so viele derer hocken, welche sich„ llebermenschen" nennen, weil sie Unterfnirpse
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sie alle nichtorganisirten Arbeiter und Arbeiterinnen auf, ihrer Gewerkschaft beizutreten und wollte selbst im Saale herumgehen, um Mitglieder für den Hilfsarbeiterverband einzeichnen zu lassen. Der Vorsitzende wollte im Hinblick darauf die Versammlung um zehn Minuten vertagen. Der Ueberwachende erklärte jedoch, dies nicht gestatten, sondern die Versammlung schließen zu wollen, falls sie nicht weiter verhandle. Ein Genosse äußerte seine Verwunderung über diese Erklärung, da nicht gegen die Tagesordnung verstoßen worden sei, und das Gesetz nicht vorschreibe, daß während einer Versammlung ununterbrochen gesprochen werden müsse. Da erhob sich der Ueberwachende und löste die Versammlung mit der feierlichen Erklärung auf:„ Die Versammlung ist geschlossen wegen Auflehnen der Behörde." Sollte das gemißhandelte Deutsch des gebildeten Ueberwachenden vielleicht doch den wirklichen Grund der Versammlungsauflösung verrathen haben, sollten in Sachsen vielleicht auch noch andere Versammlungen in Folge von„ Auflehnen der Behörden" verboten und aufgelöst worden sein?
Weibliche Fabrikinspektoren.
Ueber die weiblichen Vertrauenspersonen, welche die Gewerkschaften in mehreren Städten Württembergs zur Uebermittlung von Beschwerden der Arbeiterinnen an die Gewerbeinspektion aufgestellt hat, äußert sich der letzte Jahresbericht des Gewerbeaufsichtsbeamten" anerkennend. Es heißt daselbst:„ In Bezug auf die weiblichen Vertrauenspersonen ist hervorzuheben, daß es der organisirten Arbeiterschaft ungeachtet der vielen Schwierigkeiten gelungen ist, der Mehrzahl nach geeignete Persönlichkeiten für den Beruf zu gewinnen. Es wurden ausschließlich Frauen und Mütter zu diesem Amte gewählt, einmal wegen des so nothwendigen Rückhalts, den diese an ihrem Manne finden, dann aber auch von dem Gesichtspunkt aus, daß die Bedürfnisse der Frau als Mutter nur solche Frauen gründlich zu beurtheilen im Stande sind, die selbst Kinder zu pflegen und zu erziehen haben." Nach dieser Aeußerung stehen die württembergischen Gewerbeinspektoren den von Gewerkschaften aufgestellten weiblichen Vertrauenspersonen vorurtheilslos und wohlwollend gegenüber, sie verschanzen sich nicht hinter bureaukratischem Formelwerk, um den Verkehr mit ihnen abzuweisen bezw. sind.„ Geschöpf zu Geschöpfen treibt sie ihr Herz", und nicht in stolzer, unnahbarer Einsamkeit strebt sie hinaus aus der Enge, ,, nach blühenden Weiten"," nach sonnigen Borden"," auf ragende Berge", vielmehr in Gemeinschaft mit der Masse, die gleich ihr sich aus der Knechtschaft zur Freiheit emporringen möchte.
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Hinaus möcht' ich ziehn auf die lärmenden Gassen, Ein Tropfen versinken im Meere der Massen, Der eigenen Pulse Anschwellen und Schwinden Erschauernd als Herzschlag der Menschheit empfinden. Hinaus, nur hinaus!"
Die gleißenden bürgerlichen Flitter ihrer Existenz haben sie nicht blind gemacht für den unter der scheinenden Hülle verborgenen proletarischen Kern. Klara Müller empfindet nicht nur mit dem Proletariat, sie empfindet als Proletarierin, deren stolze Individualität die Härte des Beugenlernens erfahren hat. Ihr persönliches Weh zittert in den Versen nach, in denen sie vom Leid der Arbeiterklasse singt. In jedem Stück Proletarierschicksal, das des Lebens Fluth an ihr vorübertreibt, findet sie ein Stück ihres eigenen Looses wieder. Daher die Wärme und Unmittelbarkeit des Empfindens und der Darstellung, und die tendenziöse Wirkung ohne gesuchte tendenziöse Absichtlichkeit.
Ich ging mit dir durch alles Elends Tiefen, Geknechtet Volk, durch einen Pfuhl der Schmach; Die Stimmen hört' ich, die nach Freiheit riefen, Und meine Seele hallte zitternd nach. Ich schlief mit dir in deiner Armuth Hütten, In die kein Mondlicht mild verklärend scheint, All' deinen Jammer hab' ich durchgelitten, All' deine Thränen hab' ich mitgeweint!"
Nur wer unfrei unter Unfreien fremdem Reichthum gefrohndet hat, kann wie Klara Müller vom„ Fabrikausgang" ein packendes