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lung von der leichtfertigen Kourtisane zur religiösen Schwärmerin| durchgemacht hatte, stimmten die schöngeistigen Frauen der Bourgeoisie in die Jubelhymne ein, die diesen Bund begrüßte. Wie die Fürsten und Regierungen den Schwur verstanden, den sie leisteten, beweist die Geschichte: sie schützten die„ Gerechtigkeit", indem sie ihren Völkern das Versprechen brachen, ihnen eine Verfassung zu geben; sie schützten den Frieden", indem sie mit vereinten Kräften gegen jede freiheitliche Bewegung zu Felde zogen. Und doch waren die Völker damals weit mehr berechtigt als heute, an die Verwirklichung des Friedens zu glauben: die Noth, der Kampf gegen den gemeinsamen Unterdrücker Napoleon hatte sie zusammengeschweißt; allein gegen diesen Feind entflammte sich ihr Chauvinismus. Heute wird der Chauvinismus in der Schule schon in den kleinen ABC- Schüßen groß gezogen, so daß diese Alles für„ Feinde" halten, was jenseits der heimischen Grenzpfähle lebt. Wie lauernde Katzen stehen sich heute die Staaten gegenüber, jeden Augenblick zum Sprunge bereit hat doch noch kürzlich der Kaiser von Deutschland , dessen Reich auch auf jener Konferenz vertreten ist, den Grundstein eines neuen Forts im Elsaß gelegt, das vor dem„ Feinde" schützen soll. Ohne Rücksicht auf das Tönen der russischen Friedensschalmeien werden in ganz Europa immer neue Millionen für Soldaten und Mordwerkzeuge verlangt. Man hatte wohl gehofft, die gläubigen Völker würden über den Schalmeienklang das Säbelrasseln überhören. Aber die Völker sind keine Kinder mehr, sie haben zu sehen und zu hören gelernt in einer langen, langen Leidensschule; Wiegenlieder wirken nicht mehr auf sie. Diejenigen, die heute dem russischen Zaren als dem Erlöser zujubeln, die in Volksversammlungen sich für die Haager Konferenz begeistern, gehören zu der gutmüthigen, aber furzsichtigen Gruppe bürgerlicher Ideologen, die gegenüber grauenhaften Kriegsschilde rungen à la Suttner und Siemirazky in Mitleid zerfließen und noch den frommen Glauben haben, die dort oben der liebe Gott oder die Staaterlenker könnten den Greueln durch ein Machtwort Einhalt gebieten. Daß zahllose Frauen zu ihnen gehören, versteht sich von selbst, da in dem weiblichen Geschlecht, besonders der bürgerlichen Kreise, noch immer das Gefühl auf Kosten des Verstands in Treibhausatmosphäre gezüchtet wird.
Wir aber, die weiblichen Kämpfer in den Reihen des proletarischen Heeres, gehören nicht zu ihnen. Und zwar nicht nur, weil wir die Erfolglosigkeit einer Nichts- als- Friedensbewegung erkannt haben, sondern weil wir selbst schon längst mit Gut und Blut, mit Herz und Geist dem künftigen Völkerfrieden die Wege bereiten.
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Vielleicht ist es Unkenntniß, vielleicht Unüberlegtheit, vielleicht aber auch bewußte Heuchelei, die dem Verfasser des Zirkulars die Worte in die Feder diktirte, daß die Haager Konferenz ein erster Versuch sein soll, das Recht an Stelle der Gewalt zur Grundlage des internationalen Völkerlebens zu machen". Der kindliche Glaube an die Allmacht von oben, der aus dieser Zeile spricht, wäre wahrhaft rührend, wenn er nicht Sünde wider Wahrheit und Gerechtig= keit wäre, und damit aller echten Sittlichkeit- mag sie sich auch in Worten noch so breit machen ins Gesicht schlüge.
Von ihrem ersten Entstehen an ist die Sozialdemokratie die einzige Trägerin des Friedensgedankens gewesen; sie hat dafür gehandelt, statt nur dafür zu schwärmen; sie hat die für Zwecke des Krieges geforderten Millionen nie bewilligt, sondern sie für Zwecke des Friedens verlangt; sie hat durch die Verbrüderung der Arbeiterschaft der ganzen Welt die Schranken zwischen den Völkern niedergerissen und für den endlichen Frieden eine festere Grundlage geschaffen, als sie durch alle Regierungsverträge geschaffen werden tönnte. In Folge dessen ist sie es auch, die den ersten Schritt gethan hat, an Stelle der Gewalt das Recht zu setzen.
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Trotzdem wird sie verfolgt und geächtet; gegenüber den Hurrahpatrioten, den unentwegten Jasagern, wenn es sich um neue Kanonen und neue Kriegsschiffe handelt, den staatserhaltenden" Parteien wird sie als die zerstörende angesehen, und wie einst die Heilige Allianz den Frieden nach außen verkündete, um ihre Waffen desto ungestörter nach innen richten zu können, so würde heute ein Friedensbund der Mächte nichts anderes bedeuten, als ein Bund gegen den inneren Feind. Der Zuchthauskurs, der Schießerlaß, der Prügelerlaß, die Angriffe gegen das allgemeine Wahlrecht sind einige der Beweise dafür.
Kann man von uns Vertrauen, Mitarbeit fordern gegenüber dem grausamen Krieg, der unablässig gegen uns geführt wird, und angesichts dessen keine Friedenskonferenz tagt?
Die Friedensbotschaft, wie sie jetzt verkündet wird, kann dem Proletariat daher nur wie eine Phrase, im besten Falle wie eine findliche Schwärmerei erscheinen. Und auch die Frauen in seinen Reihen, die täglich ihre Kinder auf dem Schlachtfeld der Arbeit opfern müssen, werden sich durch sie nicht täuschen lassen. Sie schließen sich der Friedensbewegung an, die allein das Ziel zu erreichen im Stande ist: der Sozialdemokratie. Lily Braun - Berlin .
Resolutionen des dritten Gewerkschaftskongresses.
Zur Frage der Aufgaben der Generalkommission.
Pflege der internationalen Beziehungen zu den Gewerkschaften anderer Länder, sowie Sammlung und Nutzbarmachung des über Entstehung und Entwicklung dieser Beziehungen der einzelnen Gewerkschaften vorhandenen Materials.
Soweit die der Generalkommission zur Verfügung stehenden Mittel hierzu ausreichen und die Gewinnung geeigneter Personen hierfür möglich:
a) Sammlung und Nußbarmachung des in den amtlichen Publifationen des Reiches, der Einzelstaaten und Gemeinden( als Statistit des Deutschen Reiches, Jahresberichte der Fabrikinspektoren, der stadtistischen Landes- und städtischen Aemter 2c.), ferner in den Berichten der Handels- und Gewerbekammern, der Versicherungsbehörden, Krankenkassen 2c., sowie in Zeitschriften und sonstigen Druckwerken sich immer mehr anhäufenden Agitationsmaterials speziell für die Gewerkschaftsbewegung.
b) Erweiterung des Korrespondenzblattes, so daß dasselbe eine regelmäßige Uebersicht über alle Vorgänge in den deutschen wie auch ausländischen Gewerkschaften, über die Streitbewegung, über die innere Einrichtung und Verwaltung der verschiedenen Organisationen, über wichtigere Diskussionen in den Fachblättern, besondere Eigenthümlichkeiten einzelner Berufe und deren Einwirkung auf die Organisation, Auszüge aus den regelmäßigen Abrechnungen der einzelnen Verbände, Berichte über die Geschäftslage, über die Unternehmerorganisationen, über wichtige Prozesse 2c., sowie auch das nach der Aufgabe unter a) bearbeitete Material enthält.
c) Herausgabe eines Jahresberichtes der Generalfommission, der als Handbuch für alle wichtigeren Vorkommnisse im Gewerk schaftsleben von den Gewerkschaftsbeamten, Redakteuren, Rednern, wie von allen Mitgliedern und sonstigen Interessenten benutzt werden fann. In dem Jahresberichte sind die jährlichen statistischen Ausweise über die Zahl und Stärke der deutschen Gewerkschaften und deren Einnahmen und Ausgaben nebst der Streifstatistik zu veröffentlichen.
d) Die Aufklärung der Arbeiter durch geeignete Publikationen über die Bedeutung der staatlichen Arbeiterversicherung und die Wahl der Arbeitervertreter zu den hier in Betracht kommenden Körperschaften; ferner: Leitung aller diesbezüglichen Wahlen, die die Einwirkung von einer Zentralstelle aus erfordern.
Sofern für die neuen Aufgaben der Generalfommission die vorhandenen Kräfte nicht ausreichen, können auch außerhalb der Kommission stehende Personen herangezogen werden. Den auf diese Weise etwa anzustellenden Beamten steht in den Sizungen der Generalkommission und des Gewerkschaftsausschusses berathende Stimme zu."
Die Zahl der Mitglieder der Generalfommission wurde von 5 auf 7 erhöht. Gewählt wurden: Legien, Röste, Bringmann, Päpelow, Stromberg, Demuth und Sabbath , sämmtliche in Hamburg .
Zur Frage des Koalitionsrechts.
Der Gewerkschaftskongreß erklärt:
„ Da der Arbeitsvertrag heute kein individueller mehr ist, sondern in Folge der Beschäftigung größerer Massen von Arbeitern durch einen Unternehmer ein korporativer sein muß, so ist es ein Erforderniß der natürlichen Gerechtigkeit, daß den Arbeitern die Freiheit der Vereinigung zum Abschluß eines gemeinsam vereinbarten Arbeitsvertrags gegeben wird.
Die Vorenthaltung dieses Rechtes der Vereinigung ist der offenkundige Ausdruck dafür, daß die gesetzgebenden Fattoren eines Staates beabsichtigen, das Unternehmerthum zu bevorzugen und die Arbeiterschaft zu hindern, durch korporativen Abschluß des Arbeitsvertrags die möglichst günstigsten Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erlangen. Es genügt aber nicht, daß das Koalitionsrecht in der Gesetzgebung anerkannt wird, sondern es müssen alle Gesezesbestimmungen, die der Ausnützung dieses gesetzlich anerkannten Rechtes entgegenstehen, beseitigt werden.
In Deutschland ( mit Ausnahme weniger Bundesstaaten) führt die Unterstellung der gewerkschaftlichen Organisationen unter die, eine Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechts bezweckenden Vereinsgesetze dazu, daß die Ausübung des im§ 152 der Gewerbeordnung garantirten Koalitionsrechts von dem guten oder schlechten Willen der Polizeibehörden abhängig ist. Diese handeln aber keineswegs nach einheitlichen gerechten Grundsätzen, sondern lassen es zu, daß die Unternehmerorganisationen ungehindert und ungestraft die vereinsgesetzlichen Bestimmungen übertreten können, während den Arbeiterorganisationen durch fortgesetzte Eingriffe der Behörden die