dem städtischen Arbeitsamt in Verbindung zu bringen, um eine voll­ständige Arbeitsnachweisstatistik zu ermöglichen. Paritätische Arbeits­nachweise sind nicht zu verwerfen, wenn es dadurch den Arbeitern gelingt, zugleich ihre Lohn- und Arbeitsverhältnisse günstiger und stabiler zu gestalten.

In den Arbeitsnachweisen der Innungen fällt den gewerkschaft­lich organisirten Arbeitern ebenfalls die Aufgabe zu, diese, wenn sie einmal geschaffen, nach Möglichkeit im Interesse der Arbeiter aus­zugestalten."

Arme Kinder und Frauen als wissenschaftliche

Versuchsthierchen.

Die Zeitung des Berliner Thierschutzvereins bringt in ihrem Beiblatt vom 28. November vorigen Jahres folgenden Artikel, dessen Lektüre wir unseren Leserinnen dringend anempfehlen. Die Empörung über das, was sie darin finden, dürfte manche zögernde Mutter in die Reihen der Sozialdemokratie führen.

1. Das Schicksal Neugeborener in einer königlichen Frauenklinik.

Professor Schreiber in Königsberg interessirte die Wirkung des Kochschen Tuberkulin an Neugeborenen und zwar zu einer Zeit( im Februar 1891), in der bereits zahlreiche nach Einspritzung des Tuber­fulin auffallend schnell eingetretene Todesfälle überall Anlaß zu leb­haften Protesten gegen dieses mörderische Mittel gegeben hatten- zu einer Zeit, in der Virchow bereits( in den vorangegangenen wahn­finnigen Begeisterungstaumel hinein!) konstatirt hatte, daß in der Charité 27 Todesfälle vorgefallen seien( NB. auch lauter Menschen­Experimente" in Hospitälern!), daß seine Assistenten aber eine noch größere Anzahl in anderen Hospitälern festgestellt hätten- zu einer Zeit, in der von überall her Todesfälle und schrecklichste Folgen ge­meldet waren, und in der Professor Schnißler in Wien äußerte, es sei mit dem Kochschen Mittel nun soweit gekommen, daß man sich fast entschuldigen müsse, wenn man von einem vielleicht guten Erfolg reden wollte. In Schreibers Vortrag vom 19. Februar 1891( Deutsche Med. Wochenschr." Nr. 8, S. 306 ff.) heißt es: Die Frage machte es mir wünschenswerth, ein ausreichendes Material zu finden, und es wurde mir dieses durch die freundlichste Bereitwilligkeit unseres Herrn Vorsitzenden( Professor Dohrn, Direktor der fgl. Universitäts- Frauen­flinik!) sogleich in reichem Maße zu Theil: mit seiner Erlaubniß habe ich die Neugeborenen auf der hiesigen geburtshilflichen Klinik injizirt, bisher bereits 40 an der Zahl."

An der Ecke des Boulevard St. Michel konnte er bis zu zwölf Sous Werth unter dem Preise verkaufen. Darauf zieht er weiter und lenkt in die Rue Bonaparte ein. Es ist Nachmittag, die tristeste Zeit am Tage, wo die Sonne beim Untergehen iſt, aber das Dunkel noch nicht Ruhe bringend über die müden Men­schen gefallen ist, die jetzt nöthig hätten, zu ruhen und zu spielen, ehe sie zu den qualvollen Streckbänken der Träume und Erinnerungen gingen.

Er setzt sich auf eine Treppe und zählt sein Geld. Achtzig Centimes sind zwanzig weniger als der Frank, den er am Stadt­thor ausgab. Wie soll er dem Gärtner sechs Franken bezahlen; wie soll er essen, wie soll er trinken, und wie soll er bis zum Abend nach Suresnes zurückfommen? Er sieht vor sich die end­losen Champs- Elysees, die lange Avenue de la Grand- Armee, die schreckliche Neuilly - Avenue. Nein, das ist zu weit, um zurück zu gehen, zu weit.

Er guckt sich um, wie wenn er etwas suchte, und sein trübes Auge wird von den blauen und rothen Glaskapseln des Apothekers geblendet, die auf der anderen Seite der Straße im Sonnenschein leuchten. Da stehen ganze Regale mit Flaschen und Dosen; Droguen gegen schlechte Verdauung, Pillen für fehlenden Appetit, Pulver für heiße Hirne, die über den Zweck des Daseins gegrübelt haben; da liegen Präservativs gegen Uebervölkerung oder zunehmende Armuth, Migränestifte für die Löser der sozialen Frage, Schmink­dosen für Nachtwachen, Bastillen für Nervenleidende und ökonomisch Unabhängige. Da findet sich alles.

Der Alte richtet sich hastig auf, wie wenn er einen Käufer hätte winken sehen, und geht in die Apotheke hinein.

,, Seien Sie so gut und geben Sie mir für zwölf Sous Laudanum", sagt er, mein Weib liegt in Krämpfen."

Und um seine Rede zu bekräftigen, hebt er seine rechte Hand,

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Mit welch klarem Bewußtsein diese Schandthat begangen wurde, erhellt aus den weiteren Worten: Offen gestanden, die erste Nacht" ( nach der Injektion) habe ich fast schlaflos zugebracht: ich sah im Voraus die armen Kinder schon mit hochrothen Wangen und gewal­tiger Temperatursteigerung vor mir, ich glaubte sie wimmern zu hören" 2c.

Trotzdem wurden den neugeborenen Kindern allmälig bis 5 Zenti­gramm eingesprißt, eine fünfzigmal(!) größere Dosis, als Roch sie für drei bis fünfjährige Kinder vorgeschrieben!!

2. Ein Vergiftungserperiment an einem gesunden Knaben. Wir nehmen nun einen Fall gleich mit, der mit den bisher be­sprochenen Experimenten zusammenhängt. Er gehört streng genommen nicht zu unserem Thema, insofern er sich nicht in einem Krankenhause, überhaupt nicht an einem Kranken abgespielt hat; aber er zeigt recht deutlich, welchen Experimenten die Patienten unter den Händen solcher Aerzte ausgesetzt sind. Die ethische Auffassung ist hier besonders beachtenswerth.

Professor Schreiber, der Experimentator, den wir soeben kennen gelernt haben, interessirt auch die Wirkung des Tuberkulin auf ge­sunde(!) Kinder tuberkulöser Familien.

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Es ist schwer geblieben, solche Kinder zu bekommen, und so konnte ich bisher nur einen solchen Knaben injiziren, beiläufig als Strafe für irgend eine kleine Unthat im Hause!... Anfangs wollten die Eltern die Injektion nicht zulassen, dann aber, wie gesagt, weil der Junge irgend etwas begangen hatte, sagte der Vater: So, jetzt sollst Du auch eingespritzt werden, der wird's schon aushalten, der ist gesund."

Der Knabe reagirte nach einer Injektion von 1 Milligramm also dem fünfzigsten Theil dessen, was den Neugeborenen einge­sprigt war mit heftigem, mehrere Tage andauerndem Fieber, wobei eine Kieferdrüse und eine kleine, kaum erbsengroße Cervical­drüse beträchtlich anschwollen. Welches vielleicht für Lebenszeit, die weiteren Folgen dieses Experiments waren-? darüber schweigen die Annalen. Um dieses Experiment voll zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß der gesunde Knabe für die eventuelle Wirkung des Krankheitsstoffes erblich belastet war. Das Experiment stellte u. a. die Frage: wird es wohl gelingen, bei diesem jetzt gesunden Knaben die erbliche Anlage zur Tuberkulose zur Ent­wicklung zu bringen und ihn schwindsüchtig zu machen?

3. Eiterkulturen in föniglichen Frauenkliniken. Professor Doederlein- Leipzig und Professor Bumm- Basel haben u. a. Eitererreger, d. h. künstlich gezüchtete Bakterien, in die gesunden

um zu zeigen und selbst zu sehen, wo der Ring am zweiten Finger sizt. Aber da ist nur ein weißer Rand mit einer Vertiefung in der braunen Haut zu sehen.

Doch der Apotheker, der vielleicht auch auf seine Käufer ge­wartet hatte, beachtet das nicht, sondern füllt eine kleine Flasche mit der begehrten Flüssigkeit, beleckt eine Etikette, bekaut einen Kort, nimmt das Geld entgegen und setzt sich wieder über seine Pharmakopöe, wie wenn er dächte: Was rührt es mich?

Der Alte geht mit seiner Flasche in der Tasche hinaus, nimmt noch einmal die Karre und zieht sie ein Stück die Straße hinauf. Darauf bleibt er vor einem Buchladen stehen, und wie um ein Glück zu erproben, an das er nicht mehr glaubt, ruft er zum legtenmal:

Quatre liards la botte! Quatre liards la botte!

Und wie wenn er bange wäre, es könnte wer zur Antwort winken, sezt er die Flasche an den Mund und trinkt die dunkel­rothe Drogue, gierig, wie um einen brennenden Durst zu löschen. Die Pupillen schrumpfen zusammen, als hätte er gerade in die Sonne gesehen; eine heftige Nöthe steigt in die Wangen, die Knie biegen sich zusammen, und er fällt auf die Rinnsteinfante. Zuerst wird ein Schnarchen hörbar, wie wenn er in einen tiefen Schlaf gesunken wäre, die Haut schwißt start, und es zuckt in den Waden. Als die Polizei dazu gekommen ist, liegt er ganz still, doch sein Gesicht spricht noch die letzten Gedanken aus: Das Leben war gut zuweilen, böse dann und wann, doch dieses Lezte war das beste. Das Räthsel des Lebens löste ich nach Vermögen, und das war nicht wenig, wenn auch der reiche Jüngling fand, es sei nicht genug. Aber wir verstanden uns nicht. Es ist schade, daß die Menschen sich nicht verstehen sollen."