Nr. 14.
Dir Gleichheit
9. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage etnmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 5. Juli 1899.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Inhalts- Verzeichniß.
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Gerichtet, nicht vernichtet. Die württembergische Gewerbeinspektion im Jahre 1898. Von Wilhelm Keil . II. Aus der Bewegung. Feuilleton: Jad. Von Alphonse Daudet .' Deutsch von Wilhelm Thal. Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens.- Fabrifinspektoren. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.- Frauenstimmrecht. Frauenbewegung.
Gerichtet, nicht vernichtet.
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Der Reichstag hat in vier Sizungen über den Entwurf des Zuchthausgesetzes zu Gericht gesessen, das Wort„ berathen" würde in schroffstem Widerspruch zu dem Charakter der Verhandlungen stehen. Unzweideutig genug lautete sein Urtheil über den reaktionären Wechselbalg auf der Armesünderbank: Gewogen und zu leicht befunden, und zwar in jeder Hinsicht. Was aber diesem Urtheilsspruch seine besondere Bedeutung gibt, das ist der Umstand, daß er nicht blos von den Vertretern des Proletariats gefällt wurde, vielmehr auch von der Majorität der bürgerlichen Parteien. Dadurch wird die Niederlage empfindlich verschärft, welche sich die Regierung, welche sich die Klique der unverantwortlichen Kronräthe, der Stummschen Scharfmacher geholt hat. Diese Niederlage aber trifft über die Personen der jeweilig vom Lucanus noch allergnädigst verschonten„ Kugelfänger" auf den Ministersesseln hinaus die selbstherrliche Regiererei, die so bestimmend für das Zustandekommen und den Charakter des Zuchthausgesetzes gewesen ist. Der enge Zusammenhang, welcher zwischen dem gerichteten Entwurfe und den bekannten Aussprüchen von Bielefeld und Deynhausen eristirt, stempelt den Beschluß des Reichstags zu einem parlamentarischen Pronunciamento gegen die persönliche Politik des Kaisers, wie es unzweideutiger von den Vertretern des feigen deutschen Bürgerthums noch nie gewagt worden ist. Einzelne Züge der Verhandlungen lassen diese Bedeutung scharf hervortreten: so vor allem Rösickes Berufung auf die Kaiserworte und die kühle, fast verächtliche Art und Weise, mit welcher der Reichstagsvorsitzende Ballestrem den Handelsminister Brefeld in die Schranken wies, als dieser gegen das Hineinziehen der Person des Kaisers in die Debatten Einspruch erhob.
Gewiß, daß die Genossen Bebel und Heine durch ihre trefflichen Reden das Ihre zum vorläufigen Schicksal des Zuchthausgeseges beigetragen haben. Und zwar Jeder nach seiner Art: Bebel mit der Wucht und der hinreißenden Leidenschaft des Volfs= tribunen, der dem Proteſt einer ganzen Klasse wider ihre Knebelung und Aechtung machtvollen Ausdruck verlieh. Heine als scharf er= wägender Jurist, der das schon zertrümmerte Gebäude der logischen und fachlichen Trugschlüsse des Entwurfs vollends schleifte. Ueberzeugend wiesen die sozialdemokratischen Redner den gemeingefährlichen, ausnahmegeseßlichen Charakter der Vorlage nach, bis in die letzten Fasern zerfeßten sie ihre arbeitertrußigen, kautschukartigen Bestimmungen, sowie die schleuderhafte und gehässige Möchte gern- Begründung durch die Denkschrift. Das von ihnen angeführte geradezu erdrückende Thatsachenmaterial zeigte, wie be= rechtigt die Forderung war, in der Haußmann's Rede ausklang:
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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner ), Stuttgart , RothebühlStraße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
Wir brauchen nicht mehr Zuchthaus, sondern mehr Freiheit; nicht mehr Urtheile, sondern mehr Urtheil."
Aber nicht minder scharf wie die sozialdemokratischen Worts führer des Proletariats verdammten die Vertreter fast sämmtlicher bürgerlichen Parteien das Attentat auf das Koalitionsrecht der Arbeiter. Was der Nationalliberale Bassermann sagte, was der sozialpolitische Eingänger Röside, der Freisinnige Lenzmann, der Volksparteiler Haußmann, die Redner der Polen und Welfen : das blieb an äßender Schärfe der Kritik nicht hinter den sozialdemokratischen Ausführungen zurück. Und wenn auch das Gelüsten nach den Fleischtöpfen der Regierungsfähigkeit, die Rücksicht auf offen zu haltende Schachergeschäfte die oppositionelle Schneidigkeit der Nede beträchtlich abgeſtumpft hatte, mit welcher der Zentrumsführer Lieber aufwartete, so enthielt doch auch sie eine Reihe kräftiger, scharfer Ausfälle wider das vorgelegte Zuchthausgesetz und vor allem eine überaus zutreffende Bewerthung der Klassenjustiz deutscher Gerichtshöfe in Sachen der Koalitionsfreiheit. Ohne jedes abschwächende Wenn und Aber brandmarkte Herr Lieber die nicht selten haarsträubenden Urtheile, die auf Grund des§ 153 der Gewerbeordnung und der einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuchs über Arbeiter verhängt worden sind"," die geradezu himmelschreiende Parteilichkeit, mit der dasselbe Vergehen auf der einen Seite auf das Härteste, auf der anderen auf das Mildeste geahndet wird."
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Kurz die bürgerlichen Oppositionsredner schienen gut machen zu wollen, was die bürgerliche Oppositionspresse von einzelnen Organen abgesehen Organen abgesehen im Punkte der Bekämpfung der Vorlage an Lauheit und Flauheit gesündigt hatte. Zuchthausgesetz und Zuchthauskurs erfuhren ihrerseits die denkbar schärfste Beurtheilung und Verurtheilung. Und die von ihnen den Vätern und Befürwortern des Zuchthausgesetzes ausgetheilten Peitschenhiebe trafen um so härter, als sich mit dem Schmerz der Züchtigung die Bitterkeit der enttäuschten Hoffnung verband. Die empfehlenden Worte, durch welche der Reichskanzler die zuchthausfröhliche Staatsaktion des Zickzackkurses einleitete, appellirten an die Parteien, deren Bestrebungen nicht auf die republikanische Staatsform und den Kollektivismus abzielen." Enttäuschte Hoffnung preßte dem Handelsminister Brefeld den naiv- erstaunten Schmerzensruf ab:„ Aber meine Herren, es ist doch ganz unmöglich, daß Sie den Entwurf ohne Kommissionsberathung ablehnen."
In der Hauptsache war es denn auch das mannhafte Auftreten der bürgerlichen Opposition, das die offiziellen Vertheidiger des Zuchthausgesetzes derart verblüffte, daß ihnen jene erfolgs. sichere Unverfrorenheit abhanden kam, mit welcher die treuen Diener ihres Herrn" ansonst die jeweilige Regierungsweisheit gegenüber dem beschränkten Unterthanenverstand der Reichstagsabgeordneten zu vertreten pflegen. Die Anläufe der Posadowsky, Brefeld, Woedke 2c. zu einer Begründung des Entwurfs schrumpften zu kläglichem Verlegenheitsstammeln zusammen, das lediglich unfreiwillige, aber dafür um so stürmischere Heiterkeitserfolge erntete. Aus dem Reichstag aber wurde der Regierung keine nennenswerthe Unterstüßung zu Theil. Herr v. Leveßow befürwortete das Zuchthausgesetz mit ein paar fühlen Anstandsphrasen, die ein Konservativer nun einmal einem reaktionären Regierungsentwurf schuldet. Und der Silberapostel Arendt blamirte durch eine grausam geistlose Hanswurstiade eine schon ohnehin blamable und blamirte Sache noch mehr. Krankheit aber hinderte Herrn