kümmert? Als„ Freiheit der Entschließung" enthüllt sich die eine, die" goldene Freiheit", die der Bourgeois meint: die kapitalistische Handelsfreiheit, alles, auch das Persönlichste zur Waare zu machen und auf den Markt zu bringen, um es hier möglichst vortheilhaft zu verschachern. Als freiheitsverkümmernder, verderblicher Zwang aber offenbart sich die„ Naturerscheinung", der Geschlechtstrieb. Wir erachten es als einen der größten Kulturfortschritte, daß der Geschlechtstrieb sich zu der modernen individuellen Geschlechtsliebe entwickelt hat, daß der sinnliche Naturtrieb mit unsinnlichen, geistig sittlichen Momenten verknüpft und umsponnen ist, die ihn verfeinern und vertiefen, aus dem Reiche des Thierischen in die höhere Sphäre des Menschlichen heben. Dr. Severus giebt diesen Kulturfortschritt preis, um die ungeschmälerte Freiheit eines profitlichen Eheschachers zu sichern. Damit aber die Persönlichkeit nicht wider den sie entwürdigenden Zwang, pardon, gegen die sie beglückende " Freiheit" rebellire, wirft Heinrich der Gestrenge der„ bête humaine", dem Thier in ihr den Brocken hin: Befriedigung des finnlichen Triebes durch käuflichen Geschlechtsgenuß. Dem Fleisches begehren muß sein Recht werden, das Recht des Herzens, der Anspruch des Geistes auf ein harmonisches Zusammenklingen mit einem gleichgestimmten Herzen und Geist muß vor der Rücksicht auf das Geschäft verstummen. Der durch die erlösende Kraft der Prostituirten von der Leidenschaft entsühnte Mann ist reif für die bürgerliche Ehe, die nun ungekränkt durch sentimentale Erwägungen nach den Grundsätzen eines soliden Geschäftsgebahrens" abgeschlossen werden kann. Auf schmußigem Untergrund baut sich eine schmußige Lebensgemeinschaft von Frau und Mann auf. So wird das bürgerliche Ghebett in den Schatten des Bordells ge= rückt und die Dirne als die berufene Schüßerin der gefühlsgeläuterten bürgerlichen Kaufehe angerufen. Heinrich des Gestrengen Verherrlichung des Dirnenthums als wesentlicher Vorbedingung für die Freiheit der Eheschließung ist auf dem Gebiete der Geschlechtsbeziehungen der Triumph der kapitalistischen Erhöhung des Eigen thums über die Person, ist das unzweideutige Eingeständniß, daß in der kapitalistischen Gesellschaft die Macht des todten Bestzes das Recht des lebendigen Menschen todtschlägt.
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Aber Dr. Severus feiert die Dirne nicht blos als Hüterin der unreinen Flamme des bürgerlichen Herdes, er würdigt sie auch als Schußheilige der kapitalistischen Gesellschaft wider die Umsturzgefahr. Sein diesbezüglicher Gedankengang ist eine trockene und holperige Umschreibung des Versleins vom heiteren Wilhelm Busch :
,, und man zeuget viele Kinder Ünd man denkt sich nichts dabei, Und die Kinder werden Sünder, Weil's den Eltern einerlei."
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Die vielen Kinder, die der besißlose Pöbel zeugt, ohne sich ,, etwas dabei zu denken", werden nämlich Sünder der ärgsten Art: " Umstürzler", welche die Sicherheit der Gesellschaft bedrohen". Der Verfasser erblickt einen wesentlichen Grund der sozialen Noth darin, daß Ehen unüberlegt geschlossen werden", ohne Prüfung, woher der nöthige Lebensunterhalt beschafft werden soll. Die Kinder, die aus solchen Ehen hervorgehen, und die von den Eltern nicht genügend versorgt werden können, aber auch als eheliche nicht in das Findelhaus gehören, bedrohen die Sicherheit der Gesellschaft". Die aller Gnaden volle Prostitution verhindert nun, daß unter dem Zwange des Naturgesetzes Ehen geschlossen werden, die zu einer Vermehrung des Volkes um Elemente führen, deren aus Noth unterbliebene Erziehung und aus einer freudlosen Jugend entspringende staatsfeindliche Gesinnung sie zu Gegnern der Gesellschaft macht". Der Staat hat in der Folge ein Interesse daran, die Prostitution zu saniren, ehrlich zu machen und zu schüßen. Sie bekämpft die Umsturzgefahr am gründlichsten, ab ovo, im Reim, in des Wortes verwegenſter Bedeutung, weil sie der Geburt von Elementen mit staatsfeindlicher Gesinnung" vorbeugt. So wird die Dirne wie Juristerei, Polizei und Militär zur Zuversicht" der kapitalistischen Gesellschaft und ihr horizontales Handwerk" erstrahlt im Glorienschein einer staatsrettenden Mission.
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Wir bedauern, daß Dr. Severus in diesen Zeiten bangen Suchens nach einem unfehlbaren Rezept gegen die sozialistische Best" nicht fühn die praktischen Schlußfolgerungen seiner Auf
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fassung gezogen hat: Verbot der Ehe für die besiglose Masse und Einführung der Zwangsprostitution; Gestellungspflicht zum Prostitutionsdienst für die Töchter des Proletariats; militärische Uniformirung und Organisation der Dirnen und zuerkennung des Charafters als„ Staatsbeamtinnen" an sie; Organisation der Freudenhäuser als staatlicher Musterbetriebe"; Ausnahmebewilligungen von den vorstehenden Vorschriften auf Grund des Nachweises, daß die besiglosen Eheleute sich solcher Präventivmittel bedienen, die aus staatlichen Verkaufsstellen bezogen und staatlich gestempelt sind. Diese Vorschläge müßten nicht nur den Beifall des Herrn von Stumm finden, sie würden unzweifelhaft auch das steuerfrohe Herz des Herrn von Miquel höher flopfen machen. Welche Einnahmequellen für den Liebling der Agrarier", um die lastende Noth der strohdächerflickenden Edelsten zu lindern! Dr. Severus hat mit seiner Lobpreisung der Dirne als Hüterin der heiligen Ordnung" im Kampfe gegen den Umsturz sicherlich nicht blos den Vogel abgeschossen, sondern vor Allem auch den Vogel sehen lassen, der wahrhaft beängstigend in dem Haupte unseres bürgerlichen Weisen herumflattert.
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Neben der grotesken Narretei aber die brutalste, kapitalistische Herrenmoral in dieser Auffassung! In der That, was besagt sie im letzten Grunde anders, als daß der Besißlose zu Nutz und Frommen der ausbeutenden Herren auch in seinen persönlichsten Beziehungen auf ein niedereres Niveau herabgedrückt, daß er zu einem minderwerthigen Geschlechtsleben verurtheilt sein soll. Für den Bourgeois die Prostitution nur als Vorschule und Läuterung für die Ehe, für ihn aber darauf Familienleben und Kindersegen, ,, er kann ja dafür zahlen". Nicht so der Proletarier, ihm und dem ihm Gleichgestellten deshalb die Prostitution als Surrogat für die Ehe. Wie ihm statt des Kaffees die Zichorie, statt der Butter die Margarine, statt des Fleisches der Hering: so ihm auch statt der Lebensgefährtin die Dirne und statt der Kinder die staatstreue, kapitalfromme Gesinnungstüchtigkeit des nicht mucksenden Sklaven! Für das Geschlechtsleben predigt Dr. Severus dem Arbeiter jene bürgerliche Moral, welche Heine mit unübertrefflicher Bitterkeit in die Strophe gefaßt hat:
Wenn du aber gar nichts hast, Ach, so lasse dich begraben, Denn ein Recht zum Leben, Lump, Haben nur, die etwas haben."
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Empfindsame Gemüther, so scheint Heinrich der Gestrenge zu befürchten, könnten sich von der Rolle angewidert fühlen, welche der Frau als Prostituirten zufällt. Wie lächerlich dieser Efel, belehrt er wohlwollend. Die Frau ist der für Gewinnung des Lebensunterhalts minder geeignete Theil, dagegen kann sie die physiologische Funktion des Geschlechtsafts oft erfüllen, während ihr sinnliches Begehren geringer ist als beim Manne. Was da natürlicher, als daß sie von diesem dafür eine materielle Gegenleistung fordert? Unter dem Banne seiner vulgärbürgerlichen Auffassung führt Severus das Liebesleben, die verwickeltsten und tiefsten Beziehungen zwischen Mann und Frau auf ein bloßes Austauschverhältniß zurück, in dem ein Theil dem anderen die ihm entbehrliche Waare" abtritt. Als Berufsthätige auf einem Gebiete der Hand- oder Kopfarbeit ist nach ihm die Frau eine minderwerthige soziale Erscheinung, wahrhaft gesellschaftliche Eristenzberechtigung gewinnt sie erst als geschlechtliche Lohnarbeiterin.
Punkt für Punkt entspricht Severus' Auffassung der Prostitutionsfrage der Moral der bürgerlichen Gesellschaft. Allerdings nicht der Moral, die sie mit den Lippen bekennt, die ihre Dichter verherrlichen, ihre Hohepriester predigen, wohl aber der Moral, die die kapitalistische Welt übt. Eine Moral, die in ihrem Wappen die Ballonmüße des Zuhälters führen müßte, mit dem„ Pariser Schutzartikel" und der Devise:„ Rath und Hilfe in diskreten Fällen". Heinrich des Gestrengen Schrift, welche die Quintessenz der bürgerlichen Auffassung über den Geschlechtsverkehr giebt, illustrirt sinnenfällig, mit welch tiefer Berechtigung Bernstein in seinem Buche voll, anspruchsloser Weisheit" dem Bürgerthum seine gute moralische Gesundheit bescheinigt. Die gesunde bürgerliche Moral ist oben Hui und unten Pfui.