heitsamt in der Ueberzeugung bestärkt, daß das Bestehen dieser Hausindustrie ein schweres, gesundheitsbedrohen­des Uebel ist und mit polizeilicher Hilfe beseitigt werden müßte. Keine der bekannten Industrien wäre mehr geeignet, die Athmungsorgane zu reizen und Lungenschwindsucht hervorzurufen. Von dem Kreisamt Dieburg wurde aus diesen Gründen unterm 21. Juni 1897 eine Polizeiverordnung, das Zurichten von Hasenfellen im Kreise Dieburg betreffend, erlassen." Diese Verordnung gestattet nur das Schneiden der Felle in den Wohnungen und verbietet hier das Reinigen mit traßenden, rupfenden und kämmenden Instrumenten. Fünf Paragraphen enthalten weitere Bestimmungen zu den Haupt­vorschriften; für Zuwiderhandlungen ist eine Strafe bis zu- dreißig Mark angedroht. Wenn man die obigen Ausführungen des Fabrik­inspektors über die gesundheitsschädlichen Folgen des Haarschneidens neben die angedrohte Strafe stellt, so kann man ohne besondere Mühe einen Vers darauf machen, was in diesem Falle Arbeiterschutz" be­deutet.

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Der Lohn, der den Arbeiterinnen gezahlt wird, steht in keinem Verhältniß zu der anstrengenden und vor allem gesundheitsschädlichen Arbeit. Er beträgt bei einem Arbeitstag, der in den Fabriken zehn Stunden dauert, bei der Heimarbeit aber natürlich länger und un­regelmäßig ist, 5-10 Mt. die Woche. Die Arbeiterinnen mit niedrigstem Verdienst könnten nicht einmal vegetiren, wenn sie nicht einen gewissen Rückhalt an der Familie besäßen. Aber auch das Dasein der best­gelohnten Frauen und Mädchen, die für die Zurichterei schaffen, ist ärmlich und freudlos. Was die ungesunden Arbeitsbedingungen be­ginnen, das vollenden die jämmerlichen Wohnungsverhältnisse und die ungenügende und schlechte Nahrung. Kraft und Jugend welken dahin, noch ehe sie zur vollen Blüthe gelangt sind.

Daß es unter den obwaltenden Umständen ganz ungemein schwer ist, die Arbeiterinnen von der Nothwendigkeit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses zu überzeugen und sie der Organisation zuzuführen, liegt auf der Hand. Die Verhältnisse in den kleinen Landorten, in denen die meisten Hasenfellzurichtereien gelegen sind, stellen der Organisirung zahlreiche und große Hindernisse entgegen und noch mehr gilt dies von der ausgedehnten Heimarbeit. Die Frau, die einen langen Arbeitstag bei ihrer einförmigen, schmutzigen und ungesunden Hantirung in einem Raume verbringt, nebenbei" noch den Hausgeschäften nachgehen muß, in Folge des kärglichen Einkommens der Familie die bittersten Sorgen fennen lernt, ist im Allgemeinen des Abends viel zu abge= stumpft, um noch über ihre jämmerliche Lage nachzudenken und ihre Kraft für eine Verbesserung derselben einzusetzen. Gewiß hat die Ausdehnung, welche die Hasenfellzurichterei gewonnen hat, eins be­wirkt: daß das proletarische Klassenbewußtsein auch unter der länd­lichen Bevölkerung der einschlägigen hessischen Gegenden zu erwachen beginnt. Bezeichnender Weise jedoch mehr bei den Angehörigen der Arbeiterinnen, als bei diesen selbst. Indessen fehlt es nicht an An­zeichen, daß die traurigen Arbeits- und Existenzbedingungen allmälig auch den rückständigen Frauen und Mädchen die Erkenntniß von dem Gegensatz der Interessen einpauken, der Ausbeuter und Ausgebeutete scheidet. In einigen wenigen Orten ist den Arbeiterinnen das Ver­ständniß dafür aufgedämmert, daß sie eine Besserung ihrer Lage nur von der Bethätigung ihrer eigenen Kraft zu erwarten haben. In Urberach , Ober- Soden und Nieder- Soden haben die Arbeite­rinnen sich durch Arbeitseinstellungen gegen Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen zur Wehr gesetzt. In dem erstgenannten Orte wurde die Arbeit im Jahr 1897 zweimal von den gesammten Ar­beiterinnen niedergelegt. Das erste Mal wollte der Unternehmer einen neuen, und zwar selbstverständlich schlechteren Lohntarif ein­führen. Einmüthig wiesen die Arbeiterinnen die Senkung ihres fargen Verdienstes zurück. Der Ausstand, in den sie eintraten, kam dem Unternehmer unerwartet, nach viertägigem Stillstand des Betriebs wurde der neue Tarif zurückgezogen. Dieser Vorgang zeigte den Ar­beiterinnnen die Nothwendigkeit und den Nutzen des festen Zusammen schlusses, die gewerkschaftliche Agitation fiel auf guten Boden. Siebzig Arbeiterinnen traten dem Verbande der Fabrik-, Land- und Hilfsarbeiter bei und gehören ihm seither an. Kaum ein halbes Jahr nach dem erfolgreichen Kampfe wollte der Unternehmer bei Anwendung inzwischen eingestellter Maschinen eine neue Arbeits­methode einführen. Auch dadurch glaubten die Arbeiterinnen eine Herabminderung ihres Verdienstes erleiden zu müssen, sie erklärten sich gegen die Neuerung und als diese trotzdem eingeführt werden sollte, legten sie die Arbeit nieder. Diesmal dauerte der Kampf vier Wochen und wurde durch die Verhandlungen einer Kommission bei­gelegt. Der Verband hatte die Streikenden während des Kampfes mit 1400 Mt. unterstützt.

Ein angedrohter bedeutender Lohnabzug trieb die Arbeiterinnen von Ober- Soden in den Ausstand. An der Gleichgiltigkeit dieser Arbeiterinnen waren bis dahin alle Bemühungen zur gewerkschaft:

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lichen Organisirung erfolglos abgeprallt. Erst als der Lohnavzug in sicherer Aussicht stand, wendeten sich die bedrohten Frauen und Mädchen an den vorher verschmähten gewerkschaftlichen Organisator, der aus der Noth helfen sollte. 140 Arbeiterinnen ließen sich in den Verband der Fabrik-, Land- und Hilfsarbeiter aufnehmen. Natürlich konnte der in letzter Stunde Hals über Kopf geschehene Anschluß an die Gewerkschaft die vorauszusehende Niederlage nicht abwenden. Diese trat denn auch nach vierzehntägigem Rampfe ein. Leider haben die Arbeiterinnen von Ober- Soden durch die Erfahrung sich nicht belehren lassen. Heute ist die Zahl der organisirten Frauen und Mädchen von 140 auf 25 zusammengeschmolzen, und es wird voraus­sichtlich noch mancher harten Lektion seitens der Unternehmer bedürfen, bis die Arbeiterinnen von dem klaren, festen Bewußtsein durchdrungen sind, welchen großen Werth die Gewerkschaft für sie hat. In den andern Orten, wo die Zurichterei von Hasenfellen betrieben wird, gelang es bis jetzt noch nicht, die ausgebeuteten Frauen und Mädchen der Organisation zuzuführen. Doch wird auch unter ihnen der Ge­danke des unerläßlichen gewerkschaftlichen Zusammenschlusses all­mälig Eingang finden. Die Arbeits- und Existenzverhältnisse sind so erbärmlich, daß mit der Zeit auch die bekannte verdammte Be­dürfnißlosigkeit" der weiblichen Arbeitskräfte ins Wanken kommt, und eine unermüdliche, aufklärende Agitation läßt sich angelegen sein, die Arbeiterinnen zum Verständniß für die Lehren der Thatsachen zu St. erziehen.

Notizentheil.

( Von Lily Braun und Klara Betkin.)

Frauenarbeit auf dem Gebiete der Jndustrie, des Handels und Verkehrswesens.

Die Erhebung über die Fabrikarbeit verheiratheter Frauen. Die Erhebung, welche die Gewerbeaufsichtsbeamten in ganz Deutsch­ land für das laufende Berichtsjahr über die Gründe und die Wirkung der Thätigkeit verheiratheter Fabrikarbeiterinnen vornehmen sollen, um sich im Anschluß daran über Maßregeln zu ihrer event. Be­schränkung zu äußern, geschieht seitens der preußischen Gewerbe­beamten auf Grund eines Fragebogens, der Auskunft über folgende Punkte verlangt:

Name und Stand( ob Frau, Witwe, geschieden, separirt); Lebensalter; seit welchem Lebensjahre Fabrikarbeiterin; Beschäftigung vor der Fabrikarbeit nach der Schulzeit; besondere Veranlassung zur Fabrikarbeit; Arbeitszeit; Arbeitspausen; wöchentlicher Verdienst; Be­ruf und wöchentlicher Verdienst des Mannes; Zahl der zu ver­sorgenden noch nicht schulpflichtigen, schulpflichtigen und schulentlassenen, der mitverdienenden Kinder im Haushalt; wöchentlicher Verdienst der letzteren, und wer beaufsichtigt die zu Hause gebliebenen Kinder. Endlich sind noch Angaben über die allgemeine Arbeitszeit und die Ruhepausen in der Fabrik zu machen. Es folgt noch die Frage, welche sittlichen und wirthschaftlichen Wirkungen die Fabrik­arbeit verheiratheter Frauen hat.

Wem nicht die Segnungen des beschränkten Unterthanenverstandes zu Theil geworden sind, so daß er jede Maßregel von Oben als den Ausfluß der höchsten Weisheit begrüßt, dem muß auffallen, daß der Fragebogen keine Auskunft über die gesundheitsschädlichen Folgen der Fabrikarbeit verheiratheter Frauen verlangt. Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, die nur der patentirten preußischen Regierungsweisheit verborgen zu sein scheint, daß die Arbeit in bei stimmten Industrien und bei bestimmten Beschäftigungsarten dem weiblichen Organismus ganz besonders verhängnißvoll ist und ihn zeitweise, in vielen Fällen sogar auf die Dauer zerrüttet. Ganz besonders haben die Arbeiterinnen im Mutterschaftsfalle unter den betreffenden gesundheitsschädigenden Wirkungen zu leiden, und die Einbuße an Gesundheit und Lebenskraft trifft über die Mutter hinaus das Kind in ihrem Schooße. Wir erinnern nur an die Bleivergiftungen der Arbeiterinnen in Schriftgießereien, Druckereien, in den Betrieben, wo Bleiweiß verarbeitet wird, an die Berufskrant­heiten der Bronziererinnen 2c. und ihre Folgen in Gestalt von Fehl-, Früh, Todtgeburten und schwächlichen, lebensunkräftigen Kindern. Wie es heißt, sollen die Fragebogen an die Unternehmer und nur ausnahmsweise an die Arbeiterinnen selbst ver­sandt werden. Diese superfluge Anordnung, die nicht etwa aus der Karnevalszeit stammt, findet nicht einmal den Beifall der sonst so loblustigen Zentrumsorgane. Man braucht nicht Prophet zu sein in Israel , um vorauszusagen, daß viele Unternehmer die Fragebogen weder objektiv beantworten wollen, noch objektiv beantworten können. Außerdem kommt noch eins in Betracht: Die preußischen Gewerbe­aufsichtsbeamten sind mit der Kesselrevision belastet und können nur