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,, nebenamtlich" die Aufgaben der Fabrikinspektion erfüllen. Das be zeugen klärlich ihre Berichte. Es ist kaum anzunehmen, daß, sogar den besten Willen vorausgesetzt, diese Beamten der Erhebung die nöthige Sorgfalt und Kraft widmen können. So wird die Enquete gewiß manches schätzbare Material zu Tage fördern, aber voraus­sichtlich nur ein sehr unvollständiges Bild von den einschläglichen Verhältnissen geben. Das kämpfende Proletariat wird am wenigsten durch eventuell mangelhafte Ergebnisse enttäuscht werden. Es hat schon längst auf die Thorheit verzichtet, Feigen von den Dornen und Trauben von den Disteln ernten zu wollen. Von der Vorkämpferin der Zuchthausvorlage können nur sozialpolitische Kinder unanfecht­bare sozialpolitische Maßregeln erwarten.

Die württembergische Regierung hat die Gewerbeinspektion ebenfalls mit der Vornahme der Enquete über die Fabrikarbeit ver­heiratheter Frauen beauftragt. Der Fragebogen, welcher der Er­hebung zu Grunde liegen soll, fordert Auskunft über folgende Punkte: 1. Welches sind die Gründe für die Fabrikbeschäftigung verhei­ratheter Frauen?

2. Haben sich bei der Beschäftigung verheiratheter Frauen in Fabriken allgemein oder in einzelnen Industriezweigen- erhebliche Nachtheile

a) in sittlicher Beziehung,

b) in gesundheitlicher Beziehung herausgestellt, und zutreffen­den Falles, welcher Art sind diese Nachtheile?

3. Empfiehlt es sich, die verheiratheten Frauen, soweit sie ein Hauswesen zu besorgen haben, allgemein oder nur für einzelne Industriezweige, event. welche?

a) von der Beschäftigung auszuschließen, oder

b) ihre Zulassung von der Beibringung eines ärztlichen Zeug­nisses oder von dem Nachweise abhängig zu machen, daß Schwangere und Nährende nur abgesondert von männ lichen Arbeitern beschäftigt werden, oder

c) sie allgemein oder doch während der Zeit der Schwanger­schaft, oder während sie nähren kürzer als bisher oder mit häufigeren oder längeren Pausen zu beschäftigen, oder d) sie hinsichtlich des Wöchnerinnenschutzes(§ 137 Abs. 5 der Gewerbeordnung) noch günstiger zu stellen, event. in wel­cher Weise und in welchem Umfang?

4. Welche Wirkung hätte die Beschränkung der Beschäftigung ver­heiratheter Frauen, welche ein Hauswesen zu besorgen haben, a) auf die Lebenshaltung der Arbeiterfamilien im Allge­meinen,

b) auf die männlichen Arbeiter,

c) auf die ledigen weiblichen Arbeiterinnen im Besonderen? Dieser Fragebogen trägt in sachkundiger Weise den gesundheits­schädigenden Wirkungen Rechnung, von welcher die Fabrikarbeit ver­heiratheter Frauen, insbesondere aber Schwangerer und Wöchnerinnen in manchen Industrien begleitet ist, und die der Fragebogen der preußischen Regierung mit Stillschweigen übergangen hat. Auch sonst scheint die Erhebung vernünftiger angefaßt zu werden als in Preußen. Die Fragebogen sollen den in Betracht kommenden Körperschaften" zugesandt werden, und bei der anerkennenswerthen Vorurtheilslosigkeit, mit welcher die württembergische Gewerbe­inspektion den Gewerkschaften gegenübersteht, darf man wohl voraus­setzen, daß auch die Arbeiterorganisationen zur Beantwortung heran­gezogen werden. Dagegen vermissen wir in dem Fragebogen eine Reihe von wichtigen Punkten, welche in dem preußischen Formular enthalten sind, so die Frage: ob die Frau verwitwet, geschieden oder separirt ist; die Fragen nach dem Lebensalter; nach dem Jahr, in welchem die Fabrifarbeit aufgenommen wurde; nach Arbeitszeit und Arbeitspausen; wöchentlichem Verdienst; Beruf und wöchent­lichem Verdienst des Mannes; der Zahl der zu versorgenden noch nicht schulpflichtigen, schulpflichtigen und schulentlassenen Kinder; der Zahl der mitverdienenden Kinder im Haushalt und der Höhe von deren Wochenverdienst; zuletzt und nicht zum Mindesten die Frage: wer beaufsichtigt die zu Hause gebliebenen Kinder?" Die Auskunft über die einschlägigen Verhältnisse scheint uns von hoher Bedeutung für die richtige Beurtheilung der angeschnittenen Materie.

Beide Fragebogen zu einem verarbeitet und in einzelnen Punkten. noch genauer formulirt und erweitert, würde unseres Erachtens eine geeignete Grundlage für die vom Reichstag beschlossene Erhebung bilden. In ihrer gegenwärtigen Gestalt erwecken die beiden Formulare den Anschein, als ob es sich um zwei ganz verschiedene Erhebungen handelt. Der Bogen der preußischen Gewerbeinspektion verlangt im Wesentlichen Auskunft über die wirthschaftliche Seite der Frage, sowie über die Bedingungen, welche für die mütterlichen und häuslichen Aufgaben der Frau durch die Beschäftigung in der Fabrik geschaffen werden. Das württembergische Formular hingegen verlegt den Schwer­

punkt auf die gesundheitlichen Wirkungen der Arbeit verheiratheter Frauen und berücksichtigt die Sonderverhältnisse, welche für Schwangere und stillende Arbeiterinnen geschaffen werden. Die Fragebogen sind in ihrem verschiedenartigen und unvollständigen Charakter ein äußerst beweiskräftiges Beispiel dafür, wie nothwendig die Erfüllung der sozialdemokratischen Forderungen ist: Zentrali sation der Gewerbeaufsicht und Schaffung eines Reichs­arbeitsamts. Man beachte, daß die von der Reichsregierung in Folge eines Beschlusses des Reichtages angeordnete Enquete sich über ganz Deutschland erstrecken soll. Wie Figure zeigt, wird aber diese Enquete nicht nach einheitlichen Grundsätzen geführt, sondern die Regierung jedes einzelnen Bundesstaates geht ohne Fühlung mit den anderen Regierungen an die Arbeit. Wenn nach Preußen und Würt­temberg noch Bayern , Sachsen und jedes engere" Herrgottsvater­ländchen die Erhebung auf Grund eines eigenen Fragebogens an= ordnet, so erhalten wir eine Reichsenquete, die an Planlosigkeit und Zerfahrenheit nichts zu wünschen übrig läßt. Als ungläubiger Thomas sind wir ja ziemlich fest davon überzeugt, daß in diesen Zeitläuften des Zuchthausgesetzes die eingeleitete Aktion hinsichtlich der praktischen Folgen ausgehen wird wie das Hornberger Schießen. Die Art und Weise, wie die Erhebung in Angriff genommen wird, ist geeignet, ihr noch die wissenschaftliche Bedeutung zu nehmen. Deutsche So­zialpolitik!

Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation.

Die Zahl der im Textilarbeiterverband organisirten Ar­beiterinnen betrug im 1. Quartal 1899 3777. Diese 3777 organi­sirten Arbeiterinnen vertheilten sich auf 146 Zahlstellen, von denen 8 über 100 weibliche Mitglieder zählen; 11 von 50-100; 48 von 10 bis 50 und 79 unter 10. Keine einzige Zahlstelle hat 500 weibliche Mitglieder. Die stärkste weibliche Mitgliedschaft besitzt Bremen mit 438 Arbeiterinnen, dann folgt die Zahlstelle Leipzig , die 310 weib­liche Mitglieder zählt. Bekannte große Zentren der Textilindustrie, in welchen die Arbeiterinnen nach Tausenden zählen, weisen ganz ge­ringe weibliche Mitgliedschaften auf. So zählt Krefeld 164, Chem­nit 153, Kottbus 115, Gera 108 und Forst in der Lausitz 80 or= ganisirte Arbeiterinnen. In Apolda gehören gar nur 7, in Bar­men 4 Textilarbeiterinnen der Organisation an, und in Limbach ist eine einzige Arbeiterin dem Verband beigetreten! Seit der letzten Zusammenstellung der Generalkommission der Gewerkschaften hat die Zahl der organisirten Textilarbeiterinnen etwas zugenommen. 1896 waren 1429 Arbeiterinnen organisirt, 1897 schon 3314 und Ende März dieses Jahres 3777, seit Ende 1897 beträgt somit die Zunahme 463. Das ist immerhin ein kleiner Fortschritt, freilich ein Fortschritt, der sich wie ein Tropfen zum Meer verhält, wenn man bedenkt, daß es in Deutschland nach der Gewerbezählung von 1895 nicht weniger als 344 753 Textilarbeiterinnen gab. Wenig über ein Hundertstel der weiblichen Textilarbeiterschaft besitzt also in der Organisation eine Schuhwehr gegen die kapitalistische Ausbeutung. Ein unendlich weites Thätigkeitsfeld steht für die Genossinnen offen.

Die Zahl der organisirten Buchbinderinnen betrug im 1. Quartal dieses Jahres 1408. Im Vergleich zum 1. Quartal des Jahres 1898 haben die weiblichen Mitglieder um 85 zugenommen, dagegen ist im Vergleich zu dem weiblichen Mitgliederstand im vierten Quartal des Vorjahres ein Rückgang um 36 zu verzeichnen. Im Laufe der Monate Januar, Februar und März 1899 sind dem Ver­band 276 Arbeiterinnen beigetreten und 191 haben ihm den Rücken gekehrt. Die weiblichen Mitglieder des Verbandes haben pro Mit­glied und Quartal 1,55 Mt. Beiträge geleistet. Am Ende des Viertel­jahres wurden für die weiblichen Mitglieder 1821 Restwochen ver­zeichnet. Dabei sind aber die rückständigen Beiträge der Mitglieder von Berlin , der größten Zahlstelle des Verbandes, nicht mit einge­rechnet. Die Verbandsleitung schätzt die Restwochen der organisirten Buchbinderinnen von Berlin auf 1700 ein, so daß auf die weibliche Mitgliedschaft rund 3500 Wochen rückständige Beiträge entfallen.

Durchschnittlich kommen auf jedes weibliche Mitglied 25/10 Rest­wochen. Zu bemerken ist dabei noch, daß die meisten der im Quartal ausgeschiedenen Arbeiterinnen wegen restirender Beiträge ausgeschieden sind. Die Zahl der organisirten Buchbinderinnen betrug 1896: 1463, in folgendem Jahre 1444 und im Winterhalbjahr 1897/98: 1452. Es ist mithin seit 1896 ein anhaltender, wenn auch sehr geringer Rück­gang erfolgt. Die stärksten weiblichen Mitgliedschaften weisen Ber­ lin , Leipzig und Stuttgart mit 776, 221 und 130 organisirten Arbeiterinnen auf. Die Zahl der weiblichen Verbandsmitglieder be­trägt in: Altona 72, Hamburg 52, München 39 und Hannover 35, die übrigen in Betracht kommenden Zahlstellen haben nur von 1-12 weibliche Mitglieder. Nach einer Statistik des Verbandsvor­standes gab es in 110 Orten, auf welche sich die vorgenommene Er­