Nr. 16.

Die Gleichheit.

9. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch, den 2. August 1899.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Juhalts- Verzeichniß.

Her mit dem Frauenwahlrecht. Der internationale Frauenkongreß in London . Von Lily Braun - Berlin. ( Schluß.)- Der Wahlrechtskampf in Wien . Von Adelheid Popp . Jeannette Schwerin+.. Feuilleton: Zu eng. Aus den Papieren eines Arztes. Von Richard Dehmel . Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Weibliche Fabrikinspektoren. Dienstbotenfrage.- Frauenbewegung.

Her mit dem Frauenwahlrecht.

In Deutschland waren 1895 nach der Berufs- und Gewerbe­zählung 5 264 393 weibliche Personen berufsthätig. Seit 1882 bis 1895 hat die weibliche Bevölkerung um 14,26 Prozent zu­genommen, die Zahl der weiblichen Berufsthätigen hat sich dagegen um 23,60 Prozent vermehrt, während die berufsthätige Bevölke rung überhaupt nur um 17,80 Prozent gestiegen ist. Fast ein Viertel der gesammten weiblichen Bevölkerung des Deutschen Reiches, die weiblichen Kinder zartesten Alters einbegriffen, war 1895. berufsthätig, nämlich 24,96 Prozent. Alle Berufsabtheilungen der amtlichen Statistik weisen eine Zunahme der erwerbsthätigen Frauen auf. Besonders vielsagend ist, daß von 1882 bis 1895 die Zahl der berufsthätigen Ehefrauen um 3 Prozent gestiegen ist. Wie früher schon, so melden auch seit 1895 die Berichte der Fabrik­inspektoren Jahr für Jahr von einer weiteren Ausdehnung der Frauenarbeit auf industriellem Gebiet. Dank dieser Entwicklung gewinnt die Frage des Frauenstimmrechts für immer breitere Kreise der Frauenwelt eine große praktische Bedeutung.

Für eigene Rechnung und eigenen Gewinn arbeitet nur der fleinste Theil jener Millionen von Frauen, welche mit Hand oder Hirn ihr Brot erwerben. Weitaus die meisten von ihnen schaffen im Dienste eines Unternehmers, mag dieser eine einzelne Persön= lichkeit sein oder durch eine Aftiengesellschaft repräsentirt werden, mag er seinem Personal in Gestalt eines Privatmanns entgegen­treten oder als Staat und Kommune. Die Lehrerin, welche an einer Schulanstalt unterrichtet oder durch Privatstunden mühsam ein färgliches Brot erwirbt; die höhere Tochter", welche für ein Geschäft ,, nebenbei" stickt, näht oder Fächer malt; die Schriftstellerin, welche für " Familienblätter" in Romanen und Gedichten die Kunst malträtirt: sie alle frohnden ebenso gut im Joche und zum Nußen kapitali­stischer Unternehmer wie die Textilarbeiterin, welche die Jenny Mill bedient, die Handelsgehilfin, welche im eleganten Fähnchen und ein Muß- Lächeln auf den Lippen hinter dem Ladentisch oder im Komptoir thätig ist und die Heimarbeiterin, welche am Roll­brett fist oder die Maschine tritt.

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Im Dienste eines Unternehmers schaffen, das bedeutet aber Proletarierin sein, das bedeutet in beständigem Kampfe mit dem Unternehmer um möglichst günstige Arbeitsbedingungen ringen und gegen die kapitalistische Gesellschaft für Beseitigung der Lohnsklaverei fämpfen.

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Das Interesse des Unternehmers erheischt, die Arbeitskraft zu möglichst billigem Preise zu die körperliche wie die geistige zu möglichst billigem Preise zu kaufen und so viel als nur irgend möglich aus ihr herauszuschlagen. Zu diesem Zwecke trachtet der Kapitalist, die Arbeitsbedingungen so billig als möglich zu gestalten. In dem Interesse der erwerbs­thätigen Frau liegt es dagegen, daß sie ihre Arbeitskraft möglichst

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin ( Eißner ), Stuttgart , Rothebühl­Straße 147, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

theuer gezahlt erhält, damit sie menschenwürdig zu leben vermag, und daß sie ihre Arbeitskraft, ihr höchstes, oft ihr einziges Gut, so viel es irgend geht schont, indem sie übermäßige Anstrengungen und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen fernzuhalten sucht. Das Profitbegehren des Kapitalisten kennt keine menschliche Rück­ficht auf das Wohl und Wehe der Hand- oder Kopfarbeiterin, die er ausbeutet. Das Interesse der Arbeiterin hat nichts zu thun mit dem Gewinn, den ihr Brotherr" aus ihrer Frohn heraus­preßt. Daher mit Naturnothwendigkeit das erbitterte Ringen zwischen Proletarierin und Kapitalisten, daher zwischen Beiden der Kampf, in dem es feinen Frieden geben kann.

Der Sieger in diesem Kampfe bleibt der Unternehmer, denn er ist der wirthschaftlich Stärkere, und er ist in Folge dessen auch der politisch und sozial Bevorrechtete und Herrschende. Sein Besitz giebt ihm die Hungerpeitsche in die Hand, und die wenig oder nichts besitzende Frau, die ihre Arbeitskraft verkaufen muß, um leben zu fönnen, wird durch ihre Lage, durch ihre Abhängigkeit vom Kapitalisten gezwungen, sich unter dessen Fuchtel zu beugen.

Der Kapitalist bedient sich nicht blos seines wirthschaftlichen lebergewichts, um zu Nutz und Frommen seines Geldsacks die Zeit, die Straft, die Gesundheit der Proletarierin als Mehrwerth in klingende Münze umzuprägen. Seinen Interessen dienen in erster Linie die Geseze, die öffentlichen Gewalten. Wie der aus dem Stegreif lebende Raubritter des Mittelalters in seiner mauer­umgürteten Burg, so liegt das Unternehmerthum in den politischen Zuständen und Einrichtungen im Hinterhalt. Und dieser sichere, gefestete Hinterhalt ermöglicht ihm, die Hand- und Kopfarbeiterinnen bis auf die Knochen auszuplündern und vor Allem die aufsässig werdendenden Sklaven und Sklavinnen im Zaum zu halten. Mit starker Faust hält die Kapitalistenklasse die Klinke der Gesetzgebung und handhabt sie dafern nicht das Proletariat einen Antheil an der Macht erkämpft hat und die Zustände zu beeinflussen ver­mag in ihrem eigenen Interesse.

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Das Gesez läßt die schamloseste Ausbeutung der Vielen durch die Wenigen als etwas Rechtmäßiges gelten, es heiligt die Lüge von dem freien Arbeitsvertrag". Kaum daß dank des Drucks von unten eine armselige Schutzgesetzgebung diesen vielberufenen ,, freien Arbeitsvertrag" ein Weniges durchlöchert und damit die Ausbeutungsmacht der Unternehmer etwas zügelt. Das Gesetz ver­leiht dem Kapitalisten das Recht, in seinem Betrieb mittels der Arbeitsordnung der Proletarierin gegenüber Gesetzgeber, Ankläger und Richter in einer Person zu sein. Gesetze nehmen den Löwen­antheil der gesellschaftlichen Lasten von den Schultern der Mark­und Thalermillionäre und bürden ihn den Habenichtsen auf. Von Gesetzeswegen werden in der Folge die nothwendigsten Lebens­bedürfnisse der blutarmen, welken Fabriklerin, der standesgemäß darbenden Lehrerin vertheuert. Und wenn die proletarische Frau durch die Geißelhiebe ihrer Lage zum Bewußtsein ihrer Leiden, ihrer Interessen und Rechtsansprüche wachgerüttelt wird, wenn sie nach besseren Arbeitsbedingungen, nach menschenwürdigeren Lebens­verhältnissen strebt, wenn sie für ihre volle Befreiung von Noth und Knechtschaft kämpfen will: da sind Geseze bei der Hand, um sie mit eisernem Drucke in ihrem Streben und Kämpfen zu hindern. Geseze schlagen ihr die Waffen aus der Hand, mit denen sie sich gegen die kapitalistische Ausbeutung zu schüßen sucht, Gesetze binden ihr die Hände, wenn sie sich ihrer Haut wehren will. Da ist der berüchtigte§ 153 der Gewerbeordnung, der für Proletarier und