Proletarierinnen das Koalitionsrecht zum großen Theile eskamotirt; da sind die Paragraphen des Strafgesezes über Erpressung, groben Unfug 2c., welche zu dem gleichen Zwecke gebraucht und gemiß­braucht werden können; da ist die kniffliche und tiftelige Aus­deutelei der Vereins- und Versammlungsgesetze, da ist die Schnei­digkeit der Polizei, welche verfassungsgemäß verbriefte Rechte nieder­zubütteln vermag; da droht das Gespenst des Zuchthausgesetzes", die Kommandirung des Militärs gegen den inneren Feind".

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Die sozialen und politischen Zustände und Geseze sind auf den Vortheil der Besißenden zugeschnitten, weil sie zum weitaus größten Theil das Werk der Besigenden sind, weil diese die fast alleinigen Inhaber der Macht waren und sich ihrer bedienten zur Mehrung und Sicherung ihrer Reichthümer und Vorrechte.

Mittels des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts ist es der werkthätigen Masse möglich, auch ihrerseits durch die Gesetzgebung Einfluß auszuüben auf die Gestaltung der sozialpolitischen Zustände, auch ihrerseits in den Besiz der politi­schen Macht zu gelangen, um ihre Interessen gegenüber den Be­fizenden und deren Naff- und Herrschaftsgier zu wahren. Daher der grimme Haß, mit welchem der Kapitalistenklüngel dieses Wahlrecht beehrt, daher das Scharfmachen" zum Umsturz von oben" der das gehaßte Recht beseitigen soll. Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht ist für die Besizlosen und Frohndenden die wuchtigste Waffe, um eine Einschränkung der zügellosen Ausbeutungsfreiheit zu erkämpfen, um die Ordnung" der Ausbeutung zu beseitigen.

Das Wahlrecht muß deshalb auch dem weiblichen Geschlechte zuerkannt werden. Den Millionen und Abermillionen erwerbs­thätiger Frauen muß es möglich sein, durch Beeinflussung der politischen und sozialen Zustände sich Brot, Wissen, höheren Lebensgenuß und Freiheit zu erringen, mittels der politischen Macht dazu beizutragen, die kapitalistische Gesellschaft aus den Angeln zu heben und in der Folge das lastende Joch der Lohn­sklaverei abzuschleudern. Als Proletarierinnen stehen viele Millionen berufsthätiger Frauen der Kapitalistenklasse in unversöhnlichem Gegensatz der Interessen gegenüber. Die Logik der Thatsachen dringt ihnen die Erkenntniß auf, daß sie von dem Mitgefühl der Besitzenden, dem Verständniß ihrer Staatsweisen und Staats­gewaltigen teine durchgreifende Besserung ihrer Lage zu erhoffen haben und noch weit weniger das Ende der Ausbeutung und Un­freiheit. Einzig und allein der energische, zähe, zielbewußte Kampf gegen die Kapitalistenklasse und die kapitalistische Gesellschafts­ordnung bringt den Proletarierinnen mehr Wohl in der Gegenwart und die Befreiung in der Zukunft. In diesem Kampfe, den sie in Gemeinschaft mit allen Ausgebeuteten ohne Unterschied des Geschlechts zu kämpfen haben, bedürfen sie des Wahlrechts als einer Waffe, als der wirksamsten Waffe. Der Stimmzettel ist eine Kugel, welche das System des Ausbeutung tödtlicher trifft als das Attentat eines anarchistischen Bombenritters wider einen Nugnięßer, eine Stüße der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Die Prole­tarierinnen, denen der Kampf gegen den kapitalistischen Ausbeuter, denen der Kampf wider die kapitalistische Gesellschaft durch den unversöhnlichen Gegensatz der Interessen zwischen Kapital und Arbeit aufgezwungen wird, müssen deshalb laut und eindringlich die Forderung erheben: Her mit dem Frauenwahlrecht!

Der internationale Frauenkongreh in London .

Don Lily Braun - Berlin .

( Schluß.)

Von jeher hat man das weite Gebiet der Wohlthätigkeits­bestrebungen, die man neuerdings mit dem angenehmer klingenden Worte ,, Wohlfahrtspflege" bezeichnet, der Frauenbewegung zugerechnet, theils des ganz äußerlichen Moments wegen, daß es vielfach Frauenarbeit in sich schließt, theils in der Ahnung von der Minderwerthigkeit der eigentlichen Frauenbewegung, die durch Hinzuziehung der Werke der Barmherzigkeit doch ein etwas ansehnlicheres Aussehen erhielt. Besonders Deutschland hat den Begriff Frauenbewegung" durchaus nicht erfassen wollen; Lina Morgenstern zählt ihre Volksküchen noch heute der Frauenbewegung zu. Der Londoner Kongreß ist in denselben Fehler verfallen. In der Sektion für soziale Hilfsthätigkeit und

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| Wohlfahrtspflege führten die Damen stolz ihre guten Werke vor, anstatt daß man sich auf die Frage der Anstellung von Frauen als Armenpfleger, als Gefängnißdirektoren, als Aufseher und dergleichen mehr beschränkt hätte. Aus der Masse der verschiedensten Themata, die zur Verhandlung kamen, seien nur die wichtigsten hervorgehoben. Die Gefängnißdirektorin des Frauengefängnisses von Massachusetts ( Nordamerika ), das ausschließlich unter weiblicher Verwaltung und Aufsicht steht, Mrs. Johnson, berichtete über die dortige Gefangenen­pflege, die sich, unter Ausschließung aller Gewaltmaßregeln, nur darauf beschränkt, die Gefangenen moralisch und wirthschaftlich zu heben, indem sie ihnen guten Unterricht und Ausbildung in einem Berufszweig, der sie später ernähren kann, zu theil werden läßt. Die Haft verwandelt sich für die Sträflinge je nach ihrer Entwicklung mit der Zeit in die gelindeste Form. Man sucht denn auch auf das Gemüth der Sträflinge zu wirken, indem man sie anleitet, sich mit den kleinen Kindern der übrigen Gefangenen zu beschäftigen, indem man ihnen Thiere und Blumen zur Pflege giebt. Die Rednerin behauptete, daß ihre Thätigkeit eine so befriedigende sei, weil sie fast ausschließlich von schönstem Erfolg gekrönt ist. In England sind Frauen seit 1898 als Gefängnißinspektoren thätig; zwei von ihnen, die Herzogin von Bed­ ford und Lady Batterſen, gehören der Gefängnißverwaltung an. Erstere berichtete, daß nur 5 Gefängnisse in ganz Großbritannien der Inspektion durch Frauen entbehrten, und daß der Generaldirektor für Gefängnißwesen für die Ausdehnung der Frauenarbeit auf diesem Gebiet die größte Sympathie und das lebhafteste Interesse habe. In den Ton sentimentalen Moralisirens verfiel die französische Delegirte, Frau Bogelot, die von den Gefahren für die Tugend sprach, denen die Frauen ausgesetzt sind und vor denen sie hauptsächlich zu bewahren wären. Die moralischen Krankheiten, so sagte sie, würden durch Mikro­ben und Bazillen in der Seele hervorgerufen, ebenso wie die physischen Krankheiten durch solche im Körper. Aber weder sie, noch eine der anderen Rednerinnen verlor ein Wort darüber, daß der einzige Verbrecher­bazillus das Elend ist und man ihm zu Leibe gehen muß, wenn man vorbeugend wirken und die Gefängnisse leeren will. Ueber Besserungsanstalten wurde noch des Langen und Breiten ver­handelt die Redner waren nichts als Kurpfuscher, die allen Wunden gegenüber rufen: ein Pflaster drauf! Für die Kennzeichnung des rein bürgerlichen Standpunkts, der überall zu Tage trat, ist auch die Verhandlung über die Auswanderung der Frauen charakteristisch. Man erwartete etwas über die Gefahren zu hören, welche die aus­wandernden Frauen erwarten, über die traurigen Motive, die zur Auswanderung treiben, statt dessen erörterten Lords und Ladys mit viel Eifer den Nothstand der Agrarier in den Kolonien, und malten das Loos der dortigen Dienstmädchen und Landarbeiterinnen mit den glänzendsten Farben, um recht Viele zur Reise ins unbe­kannte Land zu veranlassen. Eine Dame aus Australien erklärte ganz ernsthaft, daß man bei ihr zu Hause freilich mit der letzten Sendung" Menschenwaare nicht zufrieden gewesen wäre! Die Be richte der Vereine zum Schute reisender Mädchen schlossen sich dem an, fanden aber keine Aufmerksamkeit mehr. Dagegen entzündete die Frage des Thier speziell des Vogelschutes wieder die, ach, so warmen Herzen der Zuhörer.

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In derselben Sektion famen auch die Führerinnen der Tem­perenzbewegung zum Wort, die seit Jahrzehnten in Amerika und England den Krieg gegen den Alkohol führen. Den besten Er­folg, den dieser Kampf bisher aufzuweisen hat, ist ein indirekter: die Frauen, die die Trunksucht bekämpfen, erkennen sehr bald, sofern sie flare Augen haben, daß sie die Ursachen des Uebels vernichten müssen, ehe sie zum Siege über die Symptome gelangen. Zu diesen Frauen gehörte die leider so früh verstrobene Miß Francis Willard , zu ihnen gehört, mit gewissen Einschränkungen, auch Lady Henry Somerset . Aber sie war auf dem Kongreß fast die einzige, die diesen Standpunkt vertrat. Sowohl die amerikanische Predigerin, Anna Shaw, die in der staatlichen Einschränkung der Schanktonzessionen ein Radikalmittel sah, als die Engländerin, Frau Ormiston Shant, erwarteten von dem moralischen Einfluß auf die Trinker Wunderdinge, obwohl grade die Letztere zugestehen mußte, daß die bisherigen Be­mühungen vergebliche gewesen sind. In den letzten zehn Jahren hat die Trunksucht in England bei den Männern um 43 Prozent, bei den Frauen gar um 104 Prozent zugenommen. 8 Prozent Frauen starben an Delirium tremens, und 38 Prozent aller durch Frauen ver­übten Verbrechen waren direkte Folgen der Trunksucht. Die deutsche Vertreterin der Mäßigkeitsbewegung, Fräulein Hoffmann aus Bremen , schilderte die auch in Deutschland zunehmende Trunksucht, aber auch sie vergaß, das wirthschaftliche Elend als die Grundursache des Lasters zu kennzeichnen. Sie pries die von ihr in Bremen ge­gründeten Kaffeehäuser für Arbeiter, die sicher eine sehr gute Ein­richtung sind, aber sie sagte nicht, daß solche Mittel privater Fürsorge nichts als ein Tropfen auf einem heißen Stein sein können.