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dem man Stellenvermittlungsbureaug einrichtete und den Mitgliedern auf Reisen in Bädern und Sommerfrischen kleine Erleichterungen zu verschaffen suchte. Das Alles wurde jedoch von vielen Seiten als völlig unzulänglich empfunden, und so gründete man vor einigen Jahren einen neuen großen Verein, den Allgemeinen deutschen Ver­band gemeinnütziger Anstalten für wissenschaftliche und technische Lehrerinnen", der gegenwärtig über 14000 Mitglieder zählt. Bald nach seiner Begründung begann der Verband sich mit der nachgerade brennenden Frage der Invaliditäts- und Altersversorgung der Lehre­rinnen zu beschäftigen. Es bestand bereits eine Allgemeine deutsche Pensionsanstalt für Lehrerinnen in Berlin ", der aber von den 60 000 bis 65000 deutschen Privatlehrerinnen nur 3200 angehörten, also etwa 5 Prozent. Andererseits war in sehr sorgfältigen Untersuchungen fest­gestellt worden, daß unter 100 Lehrerinnen 43 im Alter vor Mangel geschützt waren, während 46 von 100 eine nicht ausreichende und 11 von 100 überhaupt gar keine Altersversorgung hatten. Die große Mehrzahl der Lehrerinnen war eben nicht im Stande, die hohen Beiträge für die Pensionsanstalt zu erschwingen.

Zahlt man doch an der höheren Privatschule oft Gehälter von 50 Mt., 40 Mt. und darunter pro Monat. Die materielle Lage dieser Lehrerinnen ist also um kein Haar besser, als die vieler er­werbsthätigen Proletarierinnen. Dazu kommt noch, daß eine Lehrerin eine etwa dreijährige, sehr kostspielige Vorbereitungszeit auf einem Seminar absolvirt haben muß, um berechtigt zu sein, die Prüfung abzulegen, welche zu ihrer Anstellung unerläßlich ist. Dafür nimmt sie dann freilich eine höhere gesellschaftliche Stellung ein als eine Proletarierin. Die höhere gesellschaftliche Stellung verlangt aber wiederum größere Ausgaben für Kleidung, Wohnung, Fortbildung und dergleichen. Nicht besser sind die Erzieherinnen gestellt. Auch hier sind gut bezahlte Stellen selten. Gelingt es der Erzieherin, Ersparnisse zu machen, so werden diese nur zu oft durch zeitweilige Stellenlosigkeit oder Krankheit verschlungen. Nur mit großen Sorgen fönnen viele von ihnen an die Zeit des Alters und der gänzlichen Arbeitsunfähigkeit denken. Angesichts dieser Nothlage war bereits vor sechs Jahren der Gedanke ausgesprochen worden, man möchte darauf hinwirken, daß die nicht pensionsberechtigten Lehrerinnen dem Zwange der staatlichen Invaliditäts- und Altersversicherung unter­worfen würden. In den betheiligten Kreisen vermochte man sich an­fangs gar nicht mit diesem Vorschlag zu befreunden. Man sprach von einer Degradation( Erniedrigung) der Lehrerinnen. Besonders war es die bekannte Frauenrechtlerin Helene Lange , die geltend machte, daß die gesellschaftliche Stellung der Lehrerinnen leiden

Messidor.( Ernte.)

Von Algernon Charles Swinburne. *

Laßt die Sichel erklingen im Feld, Denn der Erntemorgen ist roth; Aus der Aehren Wogen und Fluthen Verklärt von des Frühlichts Gluthen Winkt tröstend das lebende Brot, Das dem Armen die Kräfte schwellt. Hervor aus des Hungers Gezelt, Hervor aus den Tiefen der Noth. Laßt die Sichel erklingen im Feld! Verklärt von des Frühlichts Schein Wird das Korn zum blinkenden Gold, Und es muß vor dem siegenden Steigen Der Sonne der Dämmer sich neigen, Der Mond der Verblichene sein Vor ihr, die so heiß und so hold, Wie das Falsche flieht in der Welt Vor dem Banner, daß wir entrollt Laßt die Sichel erklingen im Feld!

In dem weißen, dämmernden Duft, Der den Morgenstern umschwebt,

Wächst der Flamme Geleucht, und hernieder Auf des Kornes harrende Glieder Strömt's schon in belebender Luft, Bis die letzte Reih' sich erhebt

* Aus Buch der Freiheit". Herausgegeben von Henkell, Verlag des Vorwärts".

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würde, wenn man sie zu Klebelehrerinnen" mache! Auch wäre die auf diese Weise den Lehrerinnen gewährte Hilfe zu gering, als daß es sich lohnte, ihretwegen besondere Anstrengungen zu machen. Man entgegnete ihr, die allermeisten Lehrerinnen hätten mit so geringen Einnahmen zu rechnen, daß beispielsweise eine Invalidenrente von 300 Mt. und darüber bei eingetretener Arbeitsunfähigkeit sehr will­kommen sein und die Lehrerinnen von der Sorge befreien würde, im Alter und Krankheit der öffentlichen und privaten Wohlthätigkeit zur Last fallen zu müssen.

In den folgenden Jahren faßte der Gedanke der staatlichen Alters- und Invaliditätsversorgung unter den Lehrerinnen immer festeren Fuß und fand eine ganz wesentliche Förderung dadurch, daß der Allgemeine deutsche Privatschullehrerverein" sich dem Lehre­rinnenverband zu gemeinsamer Förderung dieser wichtigen Frage anschloß.

Man verfaßte Petitionen an den Reichstag und agitirte in der Fachpresse eifrig dafür, daß bei der in Aussicht genommenen Erwei­terung und Veränderung der gesetzlichen Bestimmungen für Alters­und Invaliditätsversicherung grundsätzlich auch die Lehrer und Lehre­rinnen unter die Zahl der Versicherungspflichtigen aufgenommen werden möchten.

Nach Jahre langen Bemühungen ist es den Lehrerinnen nun endlich geglückt, ihre bescheidene Forderung erfüllt zu sehen. Der Reichstag beschloß vor wenigen Wochen, daß künftig unter die Be­stimmungen des Alters- und Invaliditätsversicherungsgesetzes alle die Lehrer, Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen fallen sollten, welche nicht pensionsberechtigt sind und nicht über 2000 Mt. Gehalt beziehen. Neu eingerichtet wurde eine fünfte Lohnklasse mit einem wöchent­lichen Beitrag von 36 Pf. Um einer Invalidenrente von 290 bis 330 Mt. oder eine Altersrente von 200 bis 230 Mt. theilhaftig zu werden, hätte eine Lehrerin oder Erzieherin in der vierten Lohnklasse auf ihren Antheil 7,80 mt. jährlich, in der fünften Lohnklasse 9,36 Mt. jährlich Versicherungsbeitrag zu bezahlen. Weder die Alters- noch die Invalidenrente genügen zu einer auch nur leidlich auskömmlichen Versorgung. Immerhin bedeutet die Erweiterung des Gesetzes einen Fortschritt. Die in schlecht gelohnter Arbeit alt und leistungsunfähig gewordenen Lehrerinnen haben durchweg mit so bescheidenen Ver­hältnissen zu rechnen, daß die Alters- und Invalidenrente so un­zulänglich sie jedem billig Denkenden erscheinen mag sie wenigstens vor dem niederdrückenden Gefühl schüßt, nach einem Leben voll müh­seliger Arbeit im Alter Almosen annehmen zu müssen. Wenn die sozialdemokratische Partei in ausschlaggebender Stärke im Reichstag

Und es ruft: Was schläft noch die Welt Die solch' herrlichen Morgen erlebt? Laßt die Sichel erklingen im Feld! Bis weit in der Rund' es erwacht Andächtig in wellendem Schein, In des Windhauchs stärkendem Weben Sich die Aehren wie Speere erheben, Bereit zur verheißenden Schlacht, Geordnet zu blinkenden Reih'n, Drin jeder Krieger ein Held, Bis die Männer wallen herein Und die Sicheln erklingen im Feld. In Waffen stehet die Schaar Und dehnt sich, ein wogendes Meer; Heran zum erlösenden Bunde, Ernte oder Kampf sei die Stunde! Mit der Sonne steiget der Aar, Mit der Sonne der Muth, ob auch schwer Das Schlachtglück wanket und fällt Kommt, Kummerbeladene, her, Laßt die Sichel erklingen im Feld!

Drum Ernte denn, oder Streit, Euer Banner sei leuchtendes Roth!

Volk, das in blutigem Dienen Verschmachtet, wär' noch nicht erschienen Zum Sammeln, zum Kämpfen die Zeit? Ein Jeder eigne sein Brot Im Ernteglänzen der Welt Und wehre dem Jammer, der Noth- Laßt die Sichel erklingen im Feld!

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Schon weht's durch die Grabesnacht, Es rauschet durch todtes Gebein,

Und die Königsgötzen der Erde

Werden bleich vor dem Weckruf: Es werde! Gegürtet mit Zeichen der Macht

Stehn sie zitternd und ordnen die Reih'n,

Drin das Menschenbild entstellt Zum willigen Thiere muß sein- Laßt die Sichel erklingen im Feld!

Die Könige sind klein und so bleich, Wenn das Volk von markiger Hand; Und die Stummen, verachtend getreten, Mit dem Hoffen, dem lang verwehten, Entsteigen dem Grabesreich; Und Gott , er führt ihre Hand Bis Throne gestürzt und zerschellt, Und der Sohn im befreiten Land Läßt die Sichel erklingen im Feld.

Stumm harrend in quälender Zeit, Des Nachts ohne Schirm und Rast, Des Tags in Zittern und Schmerzen Sollt ihr nicht die Ernte verschmerzen. Pflückt selbst die Frucht und gedeiht; Eure Blicke tränke der Glast Des Tags, der den Armen gefällt, Den du Volk bereitet dir hast Laßt die Sichel erklingen im Feld!