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alles geschehen ist, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen und dadurch der vorauszusehenden Fahnenflucht vieler Arbeiterinnen vorzubeugen, das steht auf einem anderen Blatte. Wir stehen nicht an, diese Frage zu verneinen. Seit der von der General­tommission" planmäßig und trefflich organisirten großen Agitation unter den Arbeiterinnen, die im Allgemeinen erfolgreich war, haben manche Verbände für die Gewinnung weiblicher Mitglieder recht wenig gethan. Vor etlichen Jahren wurde dank der Lehren ver­schiedener gewerkschaftlicher Kämpfe und angesichts der steten und starken Zunahme der Frauenarbeit die Agitation für die gewerk­schaftliche Organisirung der Arbeiterinnen mit großer Begeisterung geführt. Nachdem sich jedoch zeigte, daß nur fleine Bruchtheile der Arbeiterinnenmassen sich den Gewerkschaften anschlossen, trat an Stelle der früheren Begeisterung eine gewisse Lauheit und Flauheit. Wozu die Opfer", sagte man sich in manchen Ver­bänden ,,, die breiten Massen der Arbeiterinnen bleiben den Organi­sationen doch fern." Als ob der Gedanke des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses nicht auch unter den Arbeitern in den ersten Jahren sehr langsam festen Fuß gefaßt hätte, und auch dies nur um den Preis von sehr großen Opfern, welche die behufs Organi­firung der Arbeiterinnen gebrachten bedeutend überragen.

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Aber nicht allein die gewerkschaftliche Agitation unter den Arbeiterinnen hat in manchen Verbänden nachgelassen, im All­gemeinen ist nicht genügend den Schwierigkeiten Rechnung getragen worden, welche sich dem gewerkschaftlichen Leben der erwerbsthätigen Frauen und Mädchen entgegenstemmen. Man glaubt vielfach, in dieser Hinsicht alles gethan zu haben, wenn man ab und zu eine Frau mit einem Referat oder einer Agitationstour betraut, ein Flugblatt an die Arbeiterinnen vertheilt 2c. Was in dieser Be­ziehung gethan und geleistet wird, ist unerläßlich und darf gewiß nicht unterschätzt werden. Aber es erweist sich als ungenügend, insbesondere als ungenügend, die Arbeiterinnen dauernd in treuer Opferfreudigkeit an die Organisation zu fesseln. Neben der Agi­tation großen Stils von außen her muß gerade unter dem weib­lichen Proletariat die nimmer ermüdende, zähe, liebevolle, lokale Kleinarbeit treten. Wie die Verhältnisse liegen, hat diese Klein­arbeit eine noch höhere Bedeutung, wenn es sich um die Organi­firung der weiblichen, als um die der männlichen Arbeitskräfte handelt, und sie wird um so erfolgreicher sein, je mehr sie von Arbeiterinnen oder früheren Arbeiterinnen der einzelnen Berufs­gruppen geleistet wird. An dieser Kleinarbeit hat es also unserer Ansicht nach in gar mancher Gewerkschaft gefehlt, vielfach aus Mangel an geeigneten Persönlichkeiten. Aus den Reihen der Prole­tarierinnen selbst für diese Arbeit tüchtige Kräfte heranzuschulen, ist eine der wichtigsten und dringendsten Aufgaben, welche die Gewerkschaften lösen müssen, wenn sie breite Schichten der Arbeiter­innen dauernd für die Organisation gewinnen wollen. Wir werden uns später eingehend mit der Frage beschäftigen, was zu diesem Zwecke geschehen kann, was überhaupt geeignet ist, den Tendenzen der Organisationsunluft und Organisationsunfähigkeit unter den Arbeiterinnen entgegen zu wirken. Die Arbeiterinnen müssen all­mälig in die Gewerkschaften einbezogen werden, den Hindernissen zum Troß, die sich aus ihrer Lage als Proletarierinnen und Frauen ergeben; der Geldsacksgewalt zum Troß; den vereinsgesetz­lichen Nücken und Tücken einzelner Bundesstaaten zum Troz!

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Zu der Dienstbotenbewegung nahmen die Berliner Genossinnen in einer Volksversammlung Stellung, welche am 17. August stattfand. Die Dienstmädchen waren zu dieser Versammlung durch ein Flugblatt eingeladen worden, das in der letzten, von bürgerlicher Seite einberufenen Dienstbotenversammlung von den Genossinnen vertheilt wurde. Auch die Ausführungen der Genossinnen Braun und Baader in zwei Dienstbotenversammlungen hatten geschickt Propaganda für den Besuch der sozialdemokratischen Versammlung gemacht, die einen glänzenden Verlauf nahm. Schon lange vor Beginn der Versammlung waren Saal und Gallerien von einer dichtgedrängten Menschenmenge besetzt, später wurde das Lokal polizeilich gesperrt. Es hatten sich auch bürgerliche Herren und Damen eingefunden, von denen einige ihre Entrüstung über die, ver­hezzenden" Ausführungen der Referentin durch Zwischenrufe äußerten,

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jedoch von der übergroßen Mehrzahl der Versammlungsbesucher energisch zur Ruhe verwiesen wurden. Die Zeitungen behaupten, daß nur wenig Dienstmädchen der Versammlung beigewohnt hätten. Diese Behauptung ist jedoch nach der Ansicht der Genossinnen eine irrige. Thatsächlich waren viele Dienstmädchen anwesend, nur fielen sie nicht auf, weil sie sich nicht als Parias kenntlich machen wollten und in ihrem Sonntagsstaat" erschienen waren. Das zweistündige Referat hielt Genossin Lily Braun . Sie sprach in trefflicher Weise, mit vollster Beherrschung des reichen Materials über Die Dienst­botenbewegung, ihre Ursachen und Ziele". Die Referentin leitete ihre Ausführungen ein mit einer historischen Betrachtung über die Entstehung des Dienstbotenverhältnisses bis zu seiner heutigen Form, sowie über den Ursprung der gegenwärtigen Gesindeordnungen, von denen es in Deutschland 60, in der Provinz Hannover allein deren sechs giebt. Die Rednerin zeigte unter Hinweis auf die ein­schlägigen Bestimmungen der verschiedenen Gesindeordnungen, daß die Lage der Dienstboten eine den heutigen Anschauungen durchaus widersprechende sei, da sie sich wenig von dem Sklaven- und Hörig­keitsverhältniß früherer Zeiten unterscheide. Insbesondere wies die Referentin darauf hin, daß die preußische Gesindeordnung der Herr­schaft das Recht der Züchtigung gebe. In wirkungsvoller Weise,

oft von Beifall und zustimmenden Kundgebungen unterbrochen, schil­derte die Rednerin die unwürdige, aller Humanität hohnsprechende Behandlung, unter der der größte Theil der Dienstboten zu leiden hat. Dann warf sie die Frage auf: Was hat die bürgerliche Gesell­schaft gethan, um die Lage der Dienstboten zu verbessern? Im Jahre 1893 beantragte die freisinnige Partei im Reichstage die Gleichstellung der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern. Aber im Jahre 1895 stimmte dieselbe Partei in der Kommission zur Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegen die Aufhebung der Gesindeordnungen. Das Zentrum hat im Plenum des Reichstags 1896 ebenfalls gegen die Stellung der Dienstboten unter die Gewerbeordnung gestimmt. 1897 nahm der Reichstag eine Resolution Lenzmann an, welche die verbündeten Regierungen ersucht, baldigst einen Gesetzentwurf vorzu­legen, welcher das Arbeitsverhältniß der land- und forstwirthschaft­lichen Arbeiter, sowie der Dienstboten regelt. Der Reichstag nahm zwar diese Resolution an, die Regierungen haben ihr aber bis jetzt noch nicht Folge gegeben. Ueber die Nichtbeachtung dieses Reichs­tagsbeschlusses dürfen wir uns freilich nicht wundern. Sehen wir doch, daß ein viel wichtigeres Versprechen des Reichskanzlers: die Aufhebung des Verbindungsverbots für politische Vereine, bis heute unerfüllt geblieben ist.( Beifall.) Unter lebhafter Zustimmung geißelte Genossin Braun die Haltung der bürgerlichen Presse gegenüber der Dienstbotenbewegung und wies nach, daß diese von jener Seite nichts zu erwarten hat. Des Weiteren stellte sie an der Hand von Thatsachen fest, daß die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen sich der Sache der Dienstmädchen nicht angenommen haben, ja deren Forderungen zum Theil in offener Gegnerschaft gegenüberstehen. So verlangt z. B. Frau Lina Morgenstern , daß die Zeugnisse, weil die Dienstbücher manchmal verloren gingen, bei der Polizei eingereicht würden. Der Berliner Hausfrauenverein soll seine Mitglieder durch ein Zirkular aufgefordert haben, ihren Dienstmädchen den Besuch der Versamm­lungen zu verbieten und sie eventuell zu entlassen. Die Rednerin beantwortete danach in sachkundigen Ausführungen die Frage: Wer ist es, der für die Dienstboten eintritt und für ihre Rechte kämpft? Sie sagte: Von Leitern der jetzigen Dienstbotenbewegung wurde ge­sagt, die Sozialdemokratie habe bisher nichts für die Dienstboten gethan. Diese Behauptung beweist, wie gering die Kenntnisse der­jenigen sind, die an der Spitze der Dienstbotenbewegung stehen, und in welchen Händen sich diese zur Zeit befindet.( Beifall.) Im sozial­demokratischen Programm wird gefordert: Rechtliche Gleichstellung der landwirthschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit den ge­werblichen Arbeitern und Aufhebung der Gesindeordnung. Die sozialdemokratische Partei hat aber auch im Reichstag eine Reihe von Anträgen gestellt, die sich auf die Verhältnisse der Dienstboten beziehen. Sie beantragte im Jahre 1895, daß die Gewerbegerichte auch für die Dienstboten zuständig sein sollen, und ferner, daß den Dienstboten das Koalitionsrecht gewährt werde. Gerade dieser Punkt ist von größter Wichtigkeit, denn solange die Dienstboten nicht das Recht der Koalition haben, ist ihre Bewegung ein Messer ohne Heft und ohne Klinge. Ohne das Koalitionsrecht bleiben die Dienstboten Sklaven und Hörige, wie sie es in früheren Jahren waren.( Beifall.) Die Erringung des Koalitionsrechts sollte daher eine der ersten For­derungen der Dienstbotenbewegung sein.( Zustimmung.)

Bei der Agitation, welche die sozialdemokratischen Frauen aus Anlaß der Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuchs entfalteten, gehörte die Abschaffung der Gesindeordnung zu den selbstverständlichen For­derungen. Im Reichstag ist die Sozialdemokratie 1896 dafür eingetreten, daß die Bestimmung im Einführungsgesetz zum Bürger­