immer Unachtsamkeit und Fahrlässigkeit die Schuld tragen. Gerade ein sehr junges Mädchen und um ein solches handelt es sich in dem vorliegenden Falle läßt oft aller Vorsicht ungeachtet aus Aengstlichkeit, Ungewandtheit und Unsicherheit etwas fallen. Des Weiteren ist festzuhalten, daß der Herrschaft das Recht zusteht, das Dienstmädchen für den verursachten Schaden aufkommen zu lassen. Von diesem Recht hat Frau Frmer Gebrauch gemacht. Wollte die Dame die nachfolgende Dienstherrschaft des jungen Mädchens auf dessen Fehler aufmerksam machen, so hätte beim Einziehen der üblichen Erkundigung ein Hinweis darauf genügt. Ein solcher mündlicher Hinweis wirkt keineswegs so infamirend und abschreckend, wie das schriftliche Zeugniß im Dienstbuch. Wie ein Brandmal haftet dieses dem Mädchen an und denunzirt es dem Mißtrauen der Herrschaften auch dann noch, wenn der hervorgehobene Fehler längst abgelegt worden ist.
Wer mit den Gedankengängen und Entscheidungen sächsischer Behörden vertraut ist, den wird es nicht wundern, daß Polizeiamt, Kreishauptmannschaft und Ministerium ablehnten, die Abänderung des Zeugnisses der Frau Jrmer zu veranlassen. Formell ist ja das Zeugniß unanfechtbar, und daß es ein armes Mädchen hindert, seinen Lebensunterhalt durch häusliche Arbeit zu finden, bah, eine Kleinigkeit, die nicht zu bestehen vermag vor der„ Achtung" vor dem Buchstaben des Gesetzes, das von Besitzenden im Interesse der Besitzenden gemacht ist. Als charakteristisch sei jedoch aus der Antwort des Polizeiamts zu Chemnitz eine Einzelheit vorgehoben. Die Un- genirtheit, mit welcher diese Behörde von dem Dienstmädchen als der Klara Grüner spricht, aber keineswegs von der Herrin als der Jrmer. Der deutschen Unfitte gemäß, Ehefrauen den nicht etwa durch eigene Leistungen erworbenen, sondern lediglich erheiratheten Titel des Mannes beizulegen, bezeichnet sie diese als Frau Oberlehrer Dr. Irmer. Warum dann nicht das Dienstmädchen als Fräulein Grüner? Wenn die unter gebildeten Menschen übliche Höflichkeit den Polizeistil in die Flucht schlägt, sobald es sich um die Frau eines Oberlehrers handelt, so ist es zum Mindesten unklug, den unhöflichen Polizeistil triumphiren zu lassen, wenn ein Dienstmädchen in Betracht kommt. Jenen, deren Denkvermögen nicht polizeilich auf beschränkten Unterthanenverstand geaicht ist, fönnte sich sonst die Schlußfolgerung aufdrängen, daß vor dem Gesetz und den Behörden nicht alle Staatsangehörigen gleich sind. Uebrigens bedient sich Frau Irmer ihrem ehemaligen Dienstmädchen gegenüber keiner besseren Umgangsform, als das Polizeiamt. In ihrem Briefe duzt sie Fräulein Grüner. Was würde die Frau„ Oberlehrer und Doktor" dazu sagen, wenn die jetzigen oder gar die früheren Vorgesetzten ihres Mannes sich herausnehmen wollten, diesen zu duzen? Aber freilich, ein Oberlehrer und Doktor und ein Dienstmädchen: ja, Bauer, das ist ganz etwas Anderes!
Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.
Die Frauenbewegung betreffend liegen dem österreichischen Parteitage mehrere Anträge vor. Das„ Frauen- Reichsfomite" beantragt, daß über die Frauenbewegung nicht unter Punkt 8 der Tagesordnung verhandelt wird, sondern unter Punkt 4: ,, Organisation der Gesammtpartei". Ein Genosse formulirt folgende Forderungen: 1. Die Parteibewegung wird beauftragt, bei allen Volfsversammlungen das Thema aufzunehmen: Die Stellung der Frauen und ihre politischen Rechte. 2. In allen Parteiblättern soll eine besondere Rubrik ,, Frauenbewegung " geschaffen werden, unter der speziell die ökonomische und politische Rechtlosigkeit der Frauen erörtert wird.
Frauenbewegung.
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aus Colmar behandelt„ Die Sittlichkeitsfrage"; Frl. Klara Krieg, Vorsteherin der weiblichen Abtheilung des städtischen Arbeitsamts in München , hält einen Vortrag über:„ Ein städtischer Arbeitsnachweis für Frauen". Hauptzweck der Delegirtenversammlung ist, einen Verband aller Vereine Frauenwohl" zu gründen, die bekanntlich innerhalb der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung das„ radikale" Element bilden. Aufgabe des Verbandes soll es hauptsächlich sein, die Forderung der wirthschaftlichen, politischen und rechtlichen Gleichstellung des weiblichen Geschlechts in der Deffentlichkeit mit Nachdruck zu vertreten. Was einzelne radikale" Frauenrechtlerinnen bis jetzt vergeblich erstrebten, das sucht man sehr richtig durch die Macht einer Organisation durchzusetzen: nämlich der deutschen Frauenbewegung ihren bisherigen Charakter der Halbheit und Schwäche zu nehmen, ihr ganze Ziele zu setzen, sie zur Trägerin eines energischen Kampfes für die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu machen. Wir können diese Absicht nur begrüßen und ihr besten Erfolg wünschen, wenngleich die Geschichte der deutschen Frauenrechtelei und der deutschen Bourgeoisie unsere Erwartungen von fünftigen frauenrechtlerischen Leistungen auf ein recht bescheidenes Maß herabgesetzt hat. Aber unabhängig von dem, was wir wünschen und erwarten, drängt sich eine Frage auf: Wie werden sich in Preußen und anderen ,, engeren Vaterländern", wo die Frau durch das Gesetz von politischen Vereinen ausgeschlossen ist, die Behörden zu der frauenrechtlerischen Organisation stellen, welche offensichtlich„ politische" Ziele verfolgen? Wir erinnern an die Thatsache, daß die Behörden alle Arbeiterinnenorganisationen niedergebüttelt und niedergetiftelt haben, die im Punkte der Beschäftigung mit der ††† Politik nicht makelloser waren, als Cäsars Frau. Und als„ Politik" wurde bekanntlich mit wenig Sinn und viel Behagen so ziemlich alles erklärt, womit Arbeiterinnenorganisationen sich beschäftigten. Wir erinnern ferner an die Thatsache, daß die Polizei- und Gerichtsweisen der Entdeckung der Quadratur des Zirkels sehr nahe kamen, indem sie in Gestalt der Agitationskommissionen und Komites der Genosfinnen die be- rühmten Vereine ohne Leitung, Mitgliedschaft und Satzungen ausflügelten. Die Delegirtenversammlung der Vereine " Frauenwohl" findet wie eine ähnliche frühere Veranstaltung im Reichstagsgebäude statt. Dieser Umstand scheint zu beweisen, daß vor dem preußischen Vereinsgesetz bürgerlichen Damen recht ist, was Arbeiterinnen nicht billig ist.
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Ein allgemeiner bayerischer Frauentag findet vom 18. bis 21. Oktober in München statt. Einberufer sind die bayerischen frauenrechtlerischen Organisationen, welche dem Bunde deutscher Frauenvereine" angehören. Als Zweck des Tages wird bezeichnet, der vom Bunde vertretenen Jdee im„ bayerischen Lande Eingang zu schaffen; auch die bayerischen Frauen aller Städte zu durchdringen mit dem Bewußtsein, daß Vereinigung stark macht; daß zwar der Einzelne für sich Großes und Werthvolles leisten kann, daß aber noch unendlich Größeres geleistet werden kann, wenn viele tüchtige Kräfte sich zu gemeinsamem Werke aneinanderschließen". Das Programm des" Frauentags " sieht berathende Sigungen vor, die Vormittags stattfinden, und öffentliche Vorträge, die des Abends abgehalten werden und an die Diskussion anknüpft. Für die berathenden Sigungen sind folgende Punkte der Tagesordnung aufgestellt: 1.„ Die Mädchenhorte", Herr Inspektor Rudelsberger- München. 2.„ Die Reform des Kostkinderwesens", Frau Hauptmann Berg und Frau Dr. von Forster- Nürnberg. 3. Der Fortbildungsunterricht für Mädchen", Frl. Sumper- München . 4.„ Die Organisation der Handlungsgehilfinnen", Frl. Moestl und Frl. Troyler- München . 5.„ Die Krankenpflege als Frauenberuf", Frl. von Wallmenich, Oberin der Schwestern vom Rothen Kreuz, München . 6.„ Die Thätigkeit der Frauenkommission am städtischen Arbeitsamt in München ", Frl. Hitz- München . 7.„ Die Lage der weiblichen Angestellten im Gastwirthschaftsgewerbe", Herr Dr. Brendel- München . 8.„ Die heutige Dienstbotenfrage", Frl. von Braunmühl- München . Diese 8 Berathungspunkte vertheilen sich auf 3 Sigungen, die im alten Rathhause abgehalten werden. An drei Abenden finden je zwei öffentliche Vorträge statt und zwar über die folgenden Fragen. 1.„ Die idealen Gesichtspunkte der heutigen Frauenbewegung", Frl. FreudenbergMünchen. 2. ,, Der Zweck des Mädchengymnasiums", Frl. von Braunmühl- München . 3.„ Die Frau im Erwerbsleben", Professor Haushofer- München . 4. ,, Die Lage der Heimarbeiterinnen", Frau Dr. ErnstBerlin. 5. Kann es Grenzen der Pietät geben?", Frl. BernauMinden. 6.„ Die Stellung der Frau im neuen Bürgerlichen Gesetz buch ", Frau Stritt- Dresden.
Die 20. Generalversammlung des ,, Allgemeinen deutschen Frauenvereins" findet vom 1.- 4. Oktober in Königsberg statt. Eine Delegirtenversammlung der frauenrechtlerischen Vereine Frauenwohl ist von der Berliner Organisation gleichen Namens für die Zeit vom 4.- 7. Oktober nach Berlin einberufen worden. Die vorgesehene Tagesordnung lautet: 1) ,, Die Arbeiterinnenfrage", Referentin Frau Zerbst . 2)„ Die Gründung von Propagandaausschüssen", Referentin Frl. Erdmann. 3) Kommunale Aemter der Frau", Referentin Frl. Dr. jur. Augspurg. 4) Berathung der Organisation eines Verbandes." 5)„ Die Stellung und die Aufgaben des Verbandes innerhalb des Bundes deutscher Frauenvereine", Referentin Frl. Lischnewska. 6) ,, Die Sittlichkeitsfrage", Referentin Frl. Papprit. 7)„ Die Gefängnißfrage", Referentin Frl. Friedländer. 8) Aufstellung der nächstliegenden Arbeitsgebiete." Sämmtliche Refe rate sollen von einer Diskussion gefolgt werden. Am 5., 6. und 7. Oktober finden Abends im Anschluß an die Tagung drei öffentliche Versammlungen statt. Frl. Dr. phil . Schirmacher wird über das Thema referiren:„ Das größte soziale Verbrechen"; Pfarrer Hoffet| beiterklasse stammen.
Die Londoner Schule für Wirthschaftslehre und Staatswissenschaft hat ein Stipendium von 50( 1000 Mt.) jährlich in der Dauer von 2 Jahren gestiftet. Bei Vergebung des Stipendiums sollen besonders Studentinnen berücksichtigt werden, die aus der Ar
Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Eißner) in Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart .
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