In Preußen, wo bis 1850 bezw. 1861 der Grubenbesitzer so gut wie gar nichts in den Betrieb hinein zu reden hatte, der Staat diesen vielmehr leitete( Direktionsprinzip), scheint damals weniger die Frauenarbeit, als die Kinderarbeit in den Berg- und Hüttenwerken beliebt gewesen zu sein. Und zwar muß eine arge Verwüstung kind­licher Arbeitskraft stattgefunden haben, denn schon am 9. März 1839 wurde durch königliches Regulativ die regelmäßige Arbeit von Kin­dern unter neun(!) Jahren in Berg-, Hütten- und Pochwerken verboten. Von einem Verbot der Frauenarbeit in den Bergwerken hört man nicht eher wie 1869; in diesem Jahre verbot zuerst das Klausthaler Oberbergamt( 5. Juni,§ 53) die unterirdische Frauen­arbeit.

In dem Allgemeinen preußischen Berggesetz vom 24. Juni 1865 gaben sich die Grubenbesitzer zwar alle Freiheiten und legten ihre Rechte am Bergwerkseigenthum in einer Unmasse von Paragraphen fest. Für die gesetzliche Normirung eines Arbeiterschußes, wie ihn die alten Bergordnungen kannten, waren die Herren im preußi­schen Abgeordnetenhause aber nicht zu haben. Für sich alle Vor­theile, für die Arbeiter alle Nachtheile der wirthschaftlichen Ent­wicklung, so lautete und lautet noch heute die Parole der Dreiklassen­wahlmänner. Genau wie die preußische Geldsackvertretung handelten die sächsische und die bayerische   Kammer. Auch das bayerische Berg­gesetz von 20. März 1869 und das sächsische Berggesetz vom 16. Juni 1868 räumten rücksichtslos mit den aus der guten alten Zeit über­tommenen detaillirten Arbeiterschutzbestimmungen auf, welche dem gefährlichen Charakter des Bergbaues Rechnung trugen. Den Arbeiter­schutz überwiesen sie der Polizei, dem freien Walten der wirthschaft­lichen Kräfte" und den Werkbesitzern. Diese Beschützer" müssen denn auch wahrhaft entsetzlich gewaltet haben. Den Grubenbaronen das Verbot der unterirdischen Frauenarbeit abzuringen, war nicht leicht, daß es doch geschehen ist, zeugte für die Größe des Schadens, der die Folge der Grubenarbeit der Frauen war.

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In Preußen hat jederzeit nur in dem von den bekannten ultramontanen Grubengrafen beherrschten Oberschlesien   eine ausgedehnte Frauenarbeit auf Gruben und Hütten bestanden. Furchtbare Begleiterscheinungen der Ausbeutung weiblicher Arbeitskräfte müssen sich gezeigt haben, denn schon am 18. Dezember 1869 verbot das Breslauer Oberbergamt die Anlegung von weiblichen Arbeitern unter Tage. Aus jener Zeit liegt uns ein nicht anzuzweifelndes Zeugniß vor über die soziale Lage der Industriebevölkerung in dem Beuthener Kreise, dem Zentrum oberschlesischer Montanindustrie. Der Kreis­wundarzt und Knappschaftsarzt Dr. F. Schlockow- Beuthen gab 1876 eine Broschüre heraus, betitelt: Der oberschlesische Industrie­bezirk, mit besonderer Berücksichtigung auf seine Kultur- und Gesund­heitsverhältnisse." Wir ersehen aus ihr, daß 1871 von 1000 über 10 Jahre alten Einwohnern Preußens 121,6 Analphabeten waren, in der Domäne der ultramontanen Grafen und Barone  , dem Kreise Beuthen  , konnten dagegen von 1000 Personen 345 nicht lesen und schreiben!!! Und welche Folgen die kapitalistisch ausgebeutete Frauenarbeit zeitigte, das wies die Sterblichkeitsziffer der Kinder nach, wonach von 1864/66 in Preußen von 1000 Kindern im Alter von 1 bis 5 Jahren 47 starben, im Kreise Beuthen  dagegen 80!!! In den Dörfern des Kreises betrug die Sterblichkeit der 1- bis 5jährigen Kinder gar 91 von 1000!!!

Daß diese Dezimirung des Volkes eine Folge der Beschäftigung von Frauen bei der gesundheitsschädlichen Gruben- und Hüttenarbeit war, liegt auf der Hand. Diese Arbeit bedingte zahlreiche Fehl­und Todtgeburten. Das lebend geborene Kind aber trug den Keim zu Siechthum und frühem Tode in sich. Wie konnte es anders sein angesichts der Thatsache, daß der Organismus der Mutter durch gesundheitsschädliche Einflüsse, durch übermäßige Ausnutzung ge= schwächt, ja zu Grunde gerichtet worden war. Und dem schwäch­lichen, kränklichen Kleinen gab dann sehr bald der Mangel an mütterlicher Pflege den Rest. Das Kind verkümmerte in den ersten Jahren, weil die Mutter zur Arbeit in die Grube oder Hütte mußte. Was Schlockow über das ständige Auftreten des Typhus mit­theilt, der Hungerkrankheit, trifft zum Unglück für das Volk auch jetzt noch zu.

Auch heute noch wollen die Ballestrem, Hohenlohe, Matuschka, Donnersmarck und Genossen die billige Frauenarbeit nicht entbehren. Während die Herren als Zentrumsleute von der Erhaltung der Familie, der Nothwendigkeit ernster Sozialreformen, der Bekämpfung der Sittlichkeit 2c. mit tönenden Worten deklamiren, überliefern sie durch die hochgradige Ausbeutung von Frauen und Mädchen in ihren Betrieben das Familienleben Tausender dem Verfall; treiben sie durch Hungerlöhne zahlreiche beklagenswerthe Lohnsflavinnen der Un­Sittlichkeit in die Arme; lassen sie ihren wirthschaftlichen Machtbereich zu einem Tummelplatz werden für Typhus, Strophulose, Delirium tremens 2c. Andere Bergreviere können ohne Frauenarbeit auskommen,

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obgleich sie nicht so mit natürlichen Vortheilen gesegnet sind, wie die oberschlesischen Montanbezirke, deren Werke steigende Ueberschüsse aufweisen. Weshalb geht Herr Ballestrem  , der Reichstagspräsident, nicht im Verein mit seinen Werksgenossen an die praktische Aus­führung des sozialpolitischen Programms des Zentrums? Hat Herr Size seinem Fraktionskollegen diese Gewissensfrage noch nicht vor­gelegt? Welch schreiender Widerspruch! Das Zentrum wettert bei jeder Gelegenheit gegen die industrielle Frauenarbeit überhaupt, er­klärt sie für nicht viel anderes als eine Erfindung des Teufels und fordert im Prinzip ihr Verbot unter Berufung auf allerhand natür­liche, sittliche und göttliche Gesetze. Hervorragende Zentrumsleuchten aber beuten Frauen und Mädchen in notorisch gesundheitsgefähr­lichen Betrieben aus. Die Logik wie die Grundsatzfestigkeit der from­men Sozialpolitiker des Zentrums fuscht eben bescheiden vor der Rücksicht auf den kapitalistischen   Profit der gräflichen Gruben- und Hüttenbesitzer. Am Ende des Jahres 1898 waren allein im oberschlesischen Steinkohlenbergbau 6,2 Prozent der Belegschaft weibliche Arbeiter! Damit übertrifft der Bezirk weit alle anderen Zentren der Montan­industrie, in denen weibliche Arbeitskräfte verwendet werden.

Es ist im höchsten Grade auffallend, daß es gerade die Stamm= size klerikaler Herrschaft sind, wo die Frauenarbeit in Berg­werken und Hütten in großem Umfang ausgebeutet wird. Wir geben dafür nachstehende Beweise:

In Spanien   ist erst durch das Gesetz vom 16. Juli 1897 die unterirdische Frauenarbeit verboten worden; Kinder dürfen vom Alter von zwölf Jahren an noch immer in der Tiefe beschäftigt werden.

Für Italien   besteht überhaupt noch kein wirklicher Schutz der Frauen und Kinder in Bergwerken. Mit zehn Jahren schon dürfen Kinder zur Grubenarbeit angenommen werden, aber die, carusi" in den Schwefelgruben Siziliens   beweisen, daß sogar diese armselige Bestimmung nur auf dem Papier existirt. Frauen können unter­irdisch beschäftigt werden; zwar wollte der Gesetzentwurf vom 13. April 1897 die Frauenarbeit unter Tage verbieten, aber im Wirkungsfeld der Crispischen Diebesbande bleiben Anläufe zum Ar­beiterschutz eben nur Anläufe. Man könnte versuchen, für diese skandalösen Zustände das liberale" Regiment verantwortlich zu machen, aber daß etwa eine flerifale Regierung Besseres geschaffen hätte, dafür sprechen durchaus nicht die geschichtlichen Lehren des Kirchenstaats". Uebrigens wird die Geneigtheit des klerikalen Regi­ments zu einer arbeiterfreundlichen, verständigen Sozialpolitik recht eindrucksvoll durch die Verhältnisse in einem Lande illustrirt, das seit Jahrzehnten die Segnungen" einer flerifalen Herrschaft genießt: wir meinen Belgien  . Belgien   ist das einzige hochentwickelte euro­ päische   Industrieland, wo noch heute Frauen sowie Kinder vom zwölften Jahre an unterirdisch thätig sind! In den belgischen Gruben waren 1868 nur 9000 weibliche Arbeiter unter­irdisch, etwa 5000 über Tage beschäftigt. 1878 waren 9177 Arbeite­rinnen unter Tage angelegt; darunter 900 Mädchen über, 2215 Mädchen unter vierzehn Jahren! Heute sind in Belgien   noch circa 1000 Frauen und Mädchen unter Tage thätig, zur Schande der Zivilisation und zum Hohn auf die von den Klerikalen gepredigte Fürsorge für das Wohl der arbeitenden Klassen". In Belgien   gilt das französische   Bergrecht( lois de mines de 1810), das dem Bergwerksunternehmer nach den Grundsätzen der Manchester­schule volle Ausbeutungsfreiheit giebt. Merkwürdig: Die Klerikalen zetern über das liberale Manchesterthum", ihre Sozialpolitiker Ketteler, Moufang und wenn man will auch Hitze können nicht scharf genug die Verwerflichkeit des antichristlichen Manchesterthums" schildern. Jm Mutterland desselben( England) und den anderen nicht von ultramontanen Einflüssen beherrschten Staaten jedoch hat man das Manchesterthum eher überwunden, wie in Belgien  , dem Musterland klerikaler Herrschaft, wo noch heute das freie Walten der wirthschaftlichen Kräfte" empfohlen wird gerade von den regierenden Klerikalen! Bereits 1848 war das Elend des belgischen Bergproletariats zu solch entsetzlicher Höhe gestiegen, daß man an eine Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit dachte. Die wirthschaftlichen Korporationen der Unternehmer, vor allen die ultraklerikale Handelskammer von Lüttich  , sprachen sich aber gegen jeden Arbeiterschutz aus. 1859 schlug der Minister des Innern, Rogier, ein Gesetz vor, in dem die Altersgrenze für Kinder, die zur Grubenarbeit zugelassen werden sollten, auf zwölf(!) Jahre normirt war. Aber auch diese schwächliche Reform ging nicht durch. 1862 petitionirten sogar Industrielle um Beschränkung der Frauenarbeit in den Gruben; vergebens! Der katholische Kongreß in Mecheln  1864 verwarf den gesetzlichen Schutz der Frauen und Kinder in Bergwerken, wie er in England und Frankreich   schon bestand. 1868-69 sprachen sich die Akademie der Medizin und der Verein für Unterricht für eine gesunde Regelung der Frauen- und Kinder­arbeit in der Montanindustrie aus das klerikale Ministerium,