Nr. 21.
Die Gleichheit.
9. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3033) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch, den 11. Oktober 1899.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
Juhalts- Verzeichniß.
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Für die bisherige Theorie und Taktik. Arbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen in Thüringen . Von D. Z. Die Thätigkeit der Frauen in der Wahlagitation. Von C. Legien- Leipzig . Die Frauenfrage auf Aus der Bewegung. dem Parteitage der Sozialdemokratie Desterreichs.- Feuilleton: Ebbe. Novelle von Adele Gerhard .
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Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Weibliche Fabrifinspektoren. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.
bewegung.
Kinderarbeit.
Frauen
Für die bisherige Theorie und Taktik.
Eine gründliche Auseinandersetzung mit Bernsteins Kritik an den Grundanschauungen und der Taktik der Sozialdemokratie ist fürzlich von berufenster Seite veröffentlicht worden. Wir meinen die Kautskysche Schrift:" Bernstein und das sozialdemokratische Programm."( Stuttgart 1899. Verlag von J. H. W. Diez Nachfolger.) Sie giebt, was nöthig war: Sie prüft die aus Bernsteins Darlegungen sich ergebenden wichtigsten Streitfäße an der Wirklichkeit, an den Thatsachen. Hie und da beliebt man die Auseinandersetzungen über das Für und Wider unserer bisherigen Grundsäße und Tattik als eine müßige Liebhaberei der Theoretiker aufzufassen, als eine Art Mönchsgezänke über dogmatisches Buchstabenwerk. Wir erachten dagegen, daß Kautsky mit seiner Schrift eine Aufgabe von hervorragend praktischer Bedeutung für die Sozialdemokratie geleistet hat. Wären die Schlußfolgerungen richtig, die sich aus Bernsteins Gedankengängen logisch unvermeidlich ergeben, so handelte es sich wahrlich um mehr, als blos um eine bessere Fassung des sozialdemokratischen Programms und um eine Vertiefung und Erweiterung des sozialdemokratischen praktischen Wirkungsgebiets. Die Sozialdemokratie müßte vielmehr in diesem Falle den Inhalt ihres Programms in den wesentlichsten Punkten preisgeben, sie müßte mit ihrem Wesen auch ihr Wirken und ihre Aufgaben einer„ Revision" unterziehen. Daran ändert nichts, daß Bernstein selbst die Schlußfolgerungen nicht immer oder wenigstens nicht mit unzweideutiger Klarheit gezogen hat oder aber sie als Frucht des" Mißverstandenwerdens" zurückweist. Die Dinge haben ihre eigene zwingende Logif, die unabhängig ist von unserem Meinen und Wollen.
Das Hauptgewicht hat Kautsky , wie uns dünkt, durchaus mit Recht, auf die Erbringung eines beweiskräftigen Nachweises dafür gelegt, daß die wirthschaftliche Entwicklung sich in der von Mary- Engels aufgezeigten Richtung vollzieht. Denn was durch Denn was durch die Bernsteinschen Ausführungen über die Marrsche Theorie der tapitalistischen Produktionsweise in Zweifel gestellt wird, ist keineswegs, wie verschiedentlich behauptet wurde, das raschere oder langsamere Tempo der wirthschaftlichen Entwicklung, sondern die Richtung dieser Entwicklung. Die Richtung aber, in der sich die kapitalistische Produktionsweise entwickelt, entscheidet über das Nichtig oder Unrichtig der bisherigen sozialistischen Auffassung.
Dieser entsprechend ist es die Konzentration des Kapitals, welche die geschichtliche Aufgabe stellt: Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Sie ist es, welche die gesellschaftlichen Kräfte zur Lösung dieser Aufgabe schafft: Ein geeintes und geschultes Proletariat, das mit flarem Bewußtsein die sozialistische Gesell schaftsordnung wollen, erstreben, erkämpfen muß. Sie erzeugt
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Zetkin ( Eißner ), Stuttgart , BlumenStraße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
ferner die materiellen Vorbedingungen für die Lösung der Aufgabe: Die gesellschaftliche Produktion. Bernstein stellt in seiner Schrift die Konzentration des Kapitals in Frage und damit die materielle Grundlage der geschichtlichen Entwicklung, die zum Sozialismus führen muß. Drei Einwände sind es, die er gegen die Marrsche Theorie erhebt, erstens die Zahl der Besitzenden nimmt nicht ab, sondern zu; zweitens, der Kleinbetrieb geht nicht zurück; drittens, die Wahrscheinlichkeit umfassender, verheerender Krisen wird immer geringer. Kautsky setzt bei Prüfung dieser Einwände an einem reichen Thatsachenmaterial Bernsteins zweite Behauptung an erste Stelle, weil die Entwicklung der Produktionsweise das grundlegende Moment ist, die Gestaltung der Besitzverhältnisse aber erst aus ihr hervorwächst.
Eingehend untersucht er die Entwicklung von Groß- und Kleinbetrieb. Bernstein hatte seine Ansicht, daß der Konkurrenz des Großbetriebs ungeachtet, der Kleinbetrieb sich siegreich zu be= haupten vermöge, durch statistisches Material für Deutschland , Frankreich , England, die Schweiz , Desterreich und die Vereinigten Staaten gestützt. Von Deutschland abgesehen, führt er aber für jedes dieser Länder nur die Ergebnisse einer einzigen Zählung an, so daß ein vergleichender Ueberblick über den Gang der Entwicklung nicht möglich ist. Das angezogene Material giebt also feine Antwort auf die Frage, ob in den betreffenden Ländern eine Konzentration des Kapitals vor sich geht. Anders die statistischen Daten für Deutschland , welche einen Vergleich zulassen, da sie auf Grund der beiden Berufs- und Gewerbezählungen von 1882 und 1895 gewonnen sind. Was sagen nun diese Zahlen zu der strittigen Frage? Sie bestätigen wahrhaft glänzend die Marrsche Theorie von der fortschreitenden Konzentration des industriellen Kapitals. dustriellen Kapitals. Kautsky fann als Zeugen dafür Bernstein gegen Bernstein zitiren. Noch im November 1896 stellte dieser in einem Artikel der„ Neuen Zeit" fest, daß die fabrifmäßige Großindustrie 1882 etwa die Hälfte der nationalen Produktion lieferte, 1895 dagegen gut Zweidrittel, wenn nicht Dreiviertel derselben. Kautsky weist den sich vollziehenden Entwicklungsgang noch an einer Reihe anderer Thatsachen nach. Während sich die Gesammtzahl der Betriebe in Deutschland von 1882-1895 um 4,6 Prozent vermehrte, nahmen die Kleinbetriebe mit ein bis fünf Personen nur um 1,8 Prozent zu, die Riesenbetriebe mit über Tausend Personen aber um 100 Prozent. Zwar ist der Antheil der Kleinbetriebe an der Gesammtsumme der Betriebe in den dreizehn Jahren nur um 3 Prozent gesunken und betrug 1895 noch immer 93 Prozent; aber während sie 1882 noch fast Zweidrittel der gewerblichen Bevölkerung umfaßten, tam 1895 auf ste nur noch weniger als die Hälfte derselben. In den dreizehn Jahren, die zwischen den beiden Zählungen liegen, stieg die Zahl der in Kleinbetrieben beschäftigten Personen um 10 Prozent, die Zahl der in Riesenbetrieben Beschäftigten um 110 Prozent, die der im deutschen Gewerbe überhaupt Thätigen um 40 Prozent. Die Gesammtbevölkerung des Deutschen Reiches ist in der gleichen Zeit um mehr als 14 Prozent gewachsen. Kurz, in welcher Beziehung auch immer man die vorliegenden Zahlen prüft, sie erweisen den raschen Fortschritt des Großbetriebs und den verhältnißmäßigen Rückgang des Kleinbetriebs. In den Industriezweigen, welche die Grundlage der kapitalistischen Produktion bilden- Bergbau, Maschinenindustrie, Tertilbranche, chemische Industrie, Papierindustrie, Industrie der Erden, Steine und Leuchtstoffe