hat der Großbetrieb zum größten Theil den Kleinbetrieb aus dem Felde geschlagen. Aber auch in den Gewerbezweigen, die das eigentliche Gebiet des Kleinbetriebs sind, tritt die Tendenz der Konzentration in Erscheinung. Es sind dies: Thierzucht, Fischerei, das Bekleidungs-, Beherbergungs- und Handelsgewerbe, die Gärtnerei und die künstlerischen Gewerbe. Die Kunstgärtnerei ausgenommen, hat sich in ihnen allen die Arbeiterschaft der Großbetriebe weit stärker vermehrt, als die der Kleinbetriebe. Die Zahlen zeigen übrigens nur in groben Umrissen die vollzogene technische Konzentration. Sie melden nichts über die wirthschaft liche Umwälzung, die im Kleingewerbe vor sich geht und dieses in immer größere Abhängigkeit vom Großkapital bringt. In der Bekleidungsindustrie, dem Gastwirths- und Handelsgewerbe u. s. w. werden Tausende von Kleinbetrieben als selbständig aufgeführt, die in Wirklichkeit Anhängsel von Großbetrieben sind und nicht für die Lebensfähigkeit des Kleinbetriebs zeugen, sondern aus dessen Verfall hervorgehen.
Wie aber vollzieht sich die Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse in der Landwirthschaft? Erweist sie nicht den Bankerott der Marrschen Theorie? Kautsky anerkennt ausdrücklich, daß in der Landwirthschaft die Verhältnisse nie so einfach und klar liegen werden, wie in der Industrie, zahlreiche Ten denzen und Gegentendenzen wirken hier durcheinander. Troß allem macht die Konzentration des Kapitals vor dem flachen Lande nicht Halt. Wenn auch auf Umwegen, so wirkt sie doch hier in der gleichen Richtung, wie in der Industrie. Immer weniger vermag die Landbevölkerung die gesammte soziale Entwicklung zu beeinflussen. Schon deswegen nicht, weil sie relativ, hin und wieder auch absolut zurückgeht. Die Ursache dieses Rückgangs ist vor Allem darin zu suchen, daß die ökonomische Entwicklung dahin strebt, dem Landwirth eine Funktion nach der andern abzunehmen und der waarenproduzirenden Industrie zuzu= weisen. So vor Allem die Verarbeitung der Rohstoffe in der dem Selbstgebrauch dienenden Hausindustrie, ferner die Herstellung seiner Arbeitsmittel. Weiter wird ein immer größerer Theil der bäuerlichen Bevölkerung auf die Industrie als Nebenerwerb angewiesen. Das Pachtsystem und die Hypothekenschulden führen oft und öfter eine Trennung von Grundbesitz und Landwirthschaft herbei. In der Folge konzentrirt sich der Grundbesitz in der Form der Grundrente in der Hand von Banken, Kreditanstalten u. s. w., und das Interesse der Landwirthe am Privateigenthum an Grund und Boden wird geringer. Das Sinken der Grundrente, wie die Leutenoth veranlassen häufig die Landwirthe Industrien einzuführen, von denen die eigentliche Landwirthschaft abhängig wird. So verliert die Landwirthschaft immer mehr ihren selbständigen wirthschaftlichen Charakter und wird dem allgemeinen gesellschaftlichen Produktionsprozeß einverleibt. modernsten Schöpfungen dieses Prozesses sind die Trusts oder Kartelle. Bernstein erinnert sich ihrer, wo es scheint, daß sie gegen die Marrsche Theorie sprechen. Dagegen erwähnt er sie nicht als Faktoren, welche die Konzentration des Kapitals be= schleunigen und verschärfen.
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Mit der fortschreitenden Konzentration des Kapitals geht Hand in Hand eine fortschreitende Verminderung der Zahl der Besitzenden und eine Zunahme der Zahl der Proletarier, also eine Verschärfung der Klassengegensäße. Bernstein bestreitet das. Nach ihm vermehrt sich die Zahl der Besitzenden relativ wie abfolut. Kautskys gewissenhafte Untersuchung des angeführten Materials läßt die Scheinbeweise für diese Behauptung zusammenbrechen. Sie thut das, daß Bernstein die Ergebnisse unvergleich barer, unter den verschiedensten Verhältnissen vorgenommener Zählungen miteinander vergleicht; bloße Schäßungen statt genauer Ziffern giebt; Zahlenreihen unvollständig anführt; sein Material über die englischen Zustände aus einem anonymen, tendenziös bürgerlichen Gelegenheitsartikel zum Jubiläum der Königin schöpft. Kurz, Kautskys Kritik läßt die von Bernsteins Anhängern über das Schellendaus gepriesene Wissenschaftlichkeit" des betreffenden Materials als recht fadenscheinig erscheinen.
Trefflich wehrt Kautsky des Weiteren die Angriffe ab, welche Bernstein gegen die sogenannte„ Verelendungstheorie" richtet. Bernsteins Angriffe wären berechtigt, hätte Marg, hätte die Sozial
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demokratie unter der zunehmenden Masse des Elends das physische Elend im Auge gehabt. Das ist keineswegs der Fall. Es handelt sich vielmehr um das soziale Elend und seine Zunahme, um die Thatsache, daß der Gegensaz immer mehr wächst zwischen den Kulturbedürfnissen der Arbeiter und der Möglichkeit, sie aus ihrem Lohn zu befriedigen. Zahlreiche soziale Erscheinungen bestätigen das wachsende soziale Elend des Proletariats. So die verhält nißmäßige Abnahme der Eheschließungen, die Ausdehnung der Frauen- und Kinderarbeit, der Prostitution u. s. w. Gewiß, daß der Klassenkampf des Proletariats der kapitalistischen Tendenz zur Verschärfung des sozialen Elends entgegenwirkt. Aber die Tendenz bleibt nichtsdestoweniger in Kraft. Die Hebung der proletarischen Lebenslage steht nicht im Verhältniß zu der steigenden Produktivität der Arbeit.
Zur Krisentheorie weist Kautsky scharf Bernsteins Behauptung zurück, daß die Sozialdemokratie ihren Sieg von einer geschäftlichen Weltkrisis erhoffe. Sorgfältig untersucht er dann den Kernpunkt der strittigen Frage, ob die Wahrscheinlichkeit umfassender und verheerender Krisen in Folge einer geregelten umfassenden tapitalistischen Produktion schwindet oder nicht. Die Tendenz zur Strifenbildung wurzelt in dem Wesen der kapitalistischen Produktion. Für diese ist eine unaufhörliche Ausdehnung Lebensbedürfniß; während aber die Ausdehnung der Produktion grenzenlos ist, sind der Absazmöglichkeit auf dem inneren wie äußeren Markte Grenzen gezogen. Dieser Gegensatz führt mit Naturnothwendigkeit zur Ueberproduktion, führt früher oder später dazu, daß der Kapitalismus an seinen eigenen Absazverhältnissen scheitert. Bernsteins Ansicht entgegen vermögen die Kartelle an diesem Stand der Dinge nichts zu ändern. Sie regeln die Produktion für das Inland, gestalten sie aber, vom Schutzzoll gedeckt, für das Ausland um so zügelloser, der Ueberproduktion, der Krise zutreibend. An eine Aera des Freihandels, die dies ändern würde, ist nicht zu denken. Ob die kapitalistische Produktion einer Weltkrisis entgegengeht, ob theilweise Krisen für einzelne Länder und einzelne Industrien eintreten, ist eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Hauptsache ist, daß die chronische Ueberproduktion der Lebensfähigkeit der kapitalistischen Wirthschaftsordnung ein Ziel steckt. Aber, so betont Kausty eindringlich, das kämpfende Proletariat braucht nicht zu warten, bis der Kapitalismus sich völlig ausgelebt hat und in das Stadium seiner Verweſung eintritt. Noch ehe der wirthschaftliche Zwang die sozialistische an die Stelle der kapitalistischen Produktion seßen würde, kann der Klassenkampf des Proletariats zur Beseitigung des Kapitalismus führen. Denn der wirthschaftliche Zwang ist nicht die alleinige treibende Kraft der sozialen Entwicklung. Neben und mit ihm bethätigen sich andere Kräfte, die im Wirthschaftsleben wurzeln, aber ideeller, ethischer Natur sind, und die wir unter der Formel des proletarischen Klassenkampfs zusammenfassen. Die wirthschaftliche Entwicklung geht in der von Marr gezeichneten Richtung vorwärts, die Sozialdemokratie hat keinen Anlaß, ihre wesentlichen Grundsäße einer Revision zu unterziehen, das sind die Resultate, zu denen Kautsky am Schlusse seiner Kritik von Bernsteins einschlägigen Ansichten gelangt.
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Dementsprechend kann die sozialdemokratische Taktik nicht nur die alte bleiben, sondern sie muß die alte bleiben, das ist die Folgerung, die sich daraus aufdrängt. Deshalb kein Aufgeben der " Freßlegende", teine Mauserung" der Sozialdemokratie zu einer ,, demokratisch- sozialistischen" Reformpartei, vielmehr unentwegtes Festhalten am idealen Endziel und am Charakter als Klassenpartei des Proletariats, welche die politische Macht erobern und eine soziale Umwälzung vollziehen muß. Wollte die Sozialdemokratie einer demokratischen Sammlungspolitik zu Liebe auf die Freßlegende" und andere„ revolutionäre Geberden" verzichten, so müßte sie nicht nur die„ revolutionäre Phraseologie" preisgeben, sondern den revolutionären Inhalt ihres Kampfes abschwören. Sie würde neben dem proletarischen auch bürgerliche Klasseninteressen zu vertreten haben und mit ihrer Werbekraft den proletarischen Massen gegenüber ihre Einheitlichkeit und Einheit, damit aber ihre Aktionskraft verlieren. Statt einer günstigeren Machtposition für die Durchdrückung sozialer Reformen, tauschte sie größere Schwäche ein. Jede selbständige politische Organisation des Proletariats als Klassenpartei kann sich aber nicht mit dem Ziele