einer demokratischen Sammlungspolitik begnügen: dem Kampf fürsoziale Reformen. Sie muß vielmehr die soziale Revolution erstreben, die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung,und sie kann dieses Ziel nur erreichen, wenn sie die politischeMacht erobert hat.Bernstein bereitet der Gedanke schwere Sorgen, das Proletariat könne in absehbarer Zeit in den Besitz der politischen Machtgelangen. Einmal sind nach ihm die Produktivkräfte noch nichtgenügend entwickelt, um eine Aufhebung der Klassen zu ermöglichen. Weiter sind nach ihm die wirthschaftlichen Interessengegensätze innerhalb des Proletariats noch zu groß und schließlich solles der Arbeiterklasse an der nöthigen politischen Reife für dieHerrschaft fehlen. Unter der Spitzmarke:„Dürfen wir siegen?"weist Kautsly die Grundlosigkeit dieser Bedenken nach. Was dievon Bernstein angeführte ungenügende Entwicklung der Produktivkräfte anbelangt, so wenden sich die zitirten Gewährsleutegegen ihn. Die Kapitalistenklasse ist durch die großen wirthschaftlichen Interessengegensätze in ihrem Schooße keineswegs ander Herrschaft gehindert worden. An politischer Reife stehtdie Elite des Proletariats hinter keiner anderen Klasse zurück,und in jeder Klasse ist es doch immer nur die Elite, dieden Kampf führt. Kautsk» schließt seine Ausführungen mit denfolgenden prächtigen Sätzen:„Unsere Aufgabe besteht nicht darin,das Proletariat mitten im Kampfe zu entmuthigen durch grundloses Berkleinern seiner politischen Fähigkeiten, sondern darin, diehöchsten Anforderungen an die politischen Fähigkeiten des Proletariats zu stellen und daher alles aufzubieten, sie möglichst zusteigern, so daß jeder Moment es auf der größten Höhe seinerLeistungsfähigkeit findet....— Es gehört dazu, daß wir ihmgroße Zwecke setzen, mit denen es selbst zu höherem Geisteslebenheranwächst, daß wir es erheben über die alltägliche Kleinarbeit,die unentbehrlich ist und die das Leben dringend erheischt, die esuns aber eben deshalb von selbst aufdrängt, ohne daß wir nöthighätten, dazu besonders eifrig zu mahnen. Sorgen wir dafür, daßnicht Kleinheitswahn das Proletariat und seine Ziele degradirt,daß nicht an Stelle einer weitausblickenden grundsätzlichen Politikdas Fortwursteln von Fall zu Fall eintritt, mit anderen Worten,daß nicht die nüchterne Alltäglichkeit den Idealismus überwuchert,daß nicht das Bewußtsein der großen historischen Aufgabe verlorengeht, die dem Proletariat gestellt sind." Kautskys Schrift wirktebenso durch die Wucht des Materials, wie durch die scharfe Logikder Beweisführung. Freund wie Feind kann aus ihr viel lernen.Sie klärt nicht nur die gegenwärtig in der Partei zur Diskussionstehenden Gegensätze, sie vervollkommt und vermehrt das Rüstzeug,mittelst dessen die Sozialdemokratie ihren Todfeind, die kapitalistischeGesellschaft, bekämpft.Ardeitsverlzältnisse der Urdeiterinnenin Tlzuringen.Zu den glänzendsten Erfolgen in der an Erfolgen so reichenGeschichte der deutschen Sozialdemokratie gehören unstreitig diejenigen,die im Herzogthum Gotha errungen wurden. Dieser thüringischeKleinstaat zeichnet sich bekanntlich weder durch große Städte nochdurch eine bedeutende Industrie aus. Neben der Residenzstadt Gothamit ihren 30000 Einwohnern giebt es nur noch einige wenige kleinereStädte mit wenigen Tausenden Einwohnern. Auf industriellem Gebiet weist es kein einziges Unternehmen mit 1000 oder mehr Arbeiternauf, vielmehr nur eine verhältnißmäßig große Zahl kleinerer undmittlerer Betriebe. Nach dem Jahresbericht des Fabrikinspektorszählte das Großherzogthum Gotha 1893 317 revisionspflichtige Anlagen in 49 Orten, das Herzogthum Koburg 111 Anlagen in19 Orten. Die in diesen 428 Betrieben beschäftigte Arbeiterzahl betrug 146S2, wovon 10903 erwachsene männliche Arbeiter waren.Warum der Fabrikinspektor wohl die Zahl der Betriebe, nicht aberauch die Zahl der Arbeiter für beide Herzogthümer getrennt angegebenhat, mögen die Götter wissen, aus dem Bericht selbst ist eine Erklärung hierfür nicht herauszufinden. Nimmt man aber an, daß sichdie Arbeiterzahl im gleichen Verhältniß auf beide Herzogthümer vertheilt, wie die Zahl der Betriebe, so würden auf Gotha 10939 Arbeiter überhaupt entfallen und davon 7331 erwachsene männlicheArbeiter sein. Bei der vorjährigen Reichstagswahl errang die Sozialdemokratie mit rund 13000 Stimmen im ersten Wahlgang den Sieg;im Landtag zählt sie auf 19 Abgeordnete 7 Vertreter. Stellt mandiese Thatsache der Zahl der erwachsenen männlichen Fabrikarbeitergegenüber, wie wir sie auf Grund unserer Berechnung erhalten haben,so tritt klar in Erscheinung, daß die werkthätigen Massen sich umdas rothe Banner schaaren.Im Landtag hat die sozialdemokratische Fraktion während derwenigen Jahre ihrer Wirksamkeit mit größtem Fleiße und mitmanchem thatsächlichen wie moralischen Erfolg gearbeitet. Zu diesenErfolgen gehört auch die Aenderung in der Fabrikinspektion, diefrüher mit von dem weimarischen Aufsichtsbeamten, Herrn v. Nostizeinem Major a. D., besorgt wurde. Herr v. Nostiz hat durch seinejahrelange Jnspektionsthätigkeit den ohnehin nicht mehr nothwendigenBeweis geliefert, daß ein gewesener Offizier nicht zu allem taugt,am wenigsten aber vielleicht für das Amt eines Fabrikinspektors.Unsere Genossen im Landtag setzten es durch, daß das Verhältniß mit Herrn v. Nostiz gelöst und eine selbständige Fabrikinspektiongeschaffen wurde. Der neue Fabrikinspektor, ein Herr vr. v. Schwarz,scheint offenbar mehr Verständniß für die Aufgaben seines Amtes zubesitzen, als sein Vorgänger. Sein Bericht für 1398 ist ziemlich reichhaltig und bekundet sowohl Einsicht wie den guten Willen für dierichtige Ausübung des schwierigen aber auch dankbaren Amtes.Hier sei aus dem Bericht nur mitgetheilt, was er über dieArbeitsverhältnisse der Arbeiterinnen enthält. Darnach betrug dieZahl der weiblichen Arbeiter 2838, um 133 mehr als 1897. Vielfach,so heißt es im Bericht, ist diese Zunahme auf die Abneigung derArbeitgeber, Jungarbeiter einzustellen, zurückzuführen; eine Arbeiterinist auch nicht theuerer, als ein Jungarbeiter, sie erlernt gewisse Arbeiten in gleich vollkommener Weise, und was die Hauptsache ist,sie ist ansässiger, als der junge Arbeiter, der Veränderungen in derArbeit liebt.Die ermittelten Zuwiderhandlungen betrafen Aushänge, vorwiegend aber die Beschäftigung an Sonnabenden; in 2b Anlagenwurden 27 Zuwiderhandlungen ermittelt.In 5 Fällen waren die Aushänge, Anzeigen verstaubt, zu hoch(eine Ziegelei, Brauerei, Fahrrad-, Waffen-, Möbelfabrik); es fehltenfünf Aushänge, Anzeigen-c., in einer Porzellan-, einer Blechwaaren-,einer Puppen-, einer Spielwaaren-, einer Chamottefabrik.Die Uebertretung des Z 137 Abs. 1„die Beschäftigung anSonnabenden darf nur bis 5'/, Uhr dauern", ist in 17 Anlagen ermittelt worden; es wurden an 262 Arbeiterinnen bis 6, sogar bis7 und 3 Uhr an den Sonnabenden beschäftigt. Abgesehen von denüblichen Entschuldigungen,„Ueberhäufung mit schnell zu erledigendenAufträgen", ist auch Unkenntniß vie Ursache dieser auffallend häufigenUebertretung; in manchen Fällen hat der Arbeitgeber die erforderlichen Anordnungen getroffen, aber er ist gerade am SonnabendNachmittag von allen möglichen Angelegenheiten so stark in Anspruchgenommen, daß es ihm schwer fällt, die Befolgung seiner Anordnungen zu kontrolliren; die Lohnauszahlung, betriebstechnische Maßregeln für die nächste Woche, besonders aber die Abrechnung mitden die Arbeit abliefernden hausindustriellen Arbeitern, welche vonentferntliegenden Dörfern kommen und bald abgelohnt sein sollen,alle diese Angelegenheiten wollen erledigt werden und während dieserZeit tritt die Fürsorge für die eigentlichen Fabrikarbeiter etwaszurück(!). Mancher Arbeitgeber klagte, daß die Arbeiterinne» nichtvor 6 Uhr aus der Fabrik zu bringen seien, da sie sich von 5'/» bis6 Uhr noch putzen und die Zeit mit Spielereien vertrödelten; einanderer Arbeitgeber erklärte, gezwungen zu sein, auch seine Arbeiterum b Uhr entlassen zu müssen, wenn seine Arbeiterinnen S'/, Uhr dieFabrik verlassen müßten, da die Arbeiten beider ineinander greifenund voneinander abhängig sind; wenn letztere, betriebstechnischwohlbegründete Erklärung gerecht beurtheilt wird, so muß die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Beschäftigung auch dermännlichen Arbeiter an den Sonnabenden gesetzlich nurbis 5'/- Uhr gestattet werden dürfte.In einigen Anlagen ist die Anordnung getroffen worden, daß dieNachmittagspause an den Sonnabenden wegfällt, und daß alle Arbeiterum 5 Uhr entlassen, bezw. von 5 bis S'/z Uhr ausgelohnt werden.In 22 Betrieben haben an 53b Tagen 643 Arbeiterinnen19350 Ueberstunden gearbeitet; im Durchschnitt kamen auf eine Arbeiterin 30,6 Ueberstunden(1895 20,9, 1396— 22); die Zunahmeist also eine nicht geringe, und der Durchschnitt ist gegenüber demdes gesammten Reiches mit 18,3 pro 1897 und 18,9 pro 1896 einhoher, erreicht freilich Schwarzburg-Rudolstadt mit 138, Rheinhessenmit 105, Lippe mit 66, Oberbayern mit 53 und Meiningen mit46 Ueberstunden(1897) noch lange nicht.Mit den Ueberstunden von 1895 und 1896 verglichen, weisendie Ueberstunden von 1393 folgende Verschiedenheiten auf: die Anzahlder Arbeiterinnen mit Ueberstunden ist geringer geworden, die Betriebstage sind gleichfalls geringer geworden, die Anzahl der Ueberstunden ist gegenüber 1895 höher, gegenüber 1396 wesentlich geringer.