Leider enthält der Bericht keinerlei Angaben über die Arbeits­löhne, die gerade interessant sein mußten nach Allem, was man schon hierüber in verschiedenen Veröffentlichungen lesen konnte. Aus den vorstehenden Mittheilungen des Aufsichtsbeamten kann kein Schluß auf die Gesammtlage der Arbeiterinnen gezogen werden. Sie berech­tigen aber wohl zu der Hoffnung, daß Herr Dr. v. Schwarz seine nächsten Berichte auch auf die Dauer der täglichen Arbeitszeit und die Höhe der Löhne der Arbeiterinnen ausdehnen und dadurch das Interesse an seinen Berichten erhöhen wird. D. Z.

Die Thätigkeit der Frauen in der Wahlagitation. In der letzten Nummer der Gleichheit" veröffentlichten wir eine Aeußerung des Genossen Frohme gegen die Verwendung von Frauen bei der Agitation in ländlichen Kreisen. Wir fügten hinzu, daß der vorliegende Bericht keine Thatsachen enthielt, an denen sich die Berechtigung dieser Aeußerung erhärten ließe. Nun sind von berufenster Seite, von Genossen Legien, der 1893 Reichstagsabgeordneter für den 7. schleswig- Holsteinischen Wahlkreis war und bei der letzten Wahl dort kandidirte, Thatsachen zu der strittigen Behauptung ver­öffentlicht worden, Thatsachen, die, wie wir erwarteten, sich strikte und beweiskräftig gegen Frohmes Aeußerung wenden. Legiens Aus­führungen in der Schleswig- Holsteinischen Volks- Zeitung" sind so zutreffend, und zwar nicht blos zur Richtigstellung des speziellen Falles, sondern zur Frage der Verwendung weiblicher Kräfte bei der Agitation überhaupt, daß wir sie vollinhaltlich folgen lassen.

" In dem Bericht über die Verhandlungen des Schleswig­Holsteinischen Parteitags wird gesagt, daß Genosse Frohme sich dahin ausgesprochen habe, daß die Heranziehung der redegewandten Frauen bei der zu den Reichstagswahlen von 1898 betriebenen Agitation nicht vortheilhaft, sondern eher nachtheilig für den Ausgang der Wahlen gewesen sei. Es war mir nicht möglich, am ersten Ver­handlungstag, an welchem diese Ausführungen gemacht wurden, dem Parteitag beizuwohnen, so daß ich erst einige Tage später aus dem Bericht von ihnen Kenntniß erhalten habe. In Folge dessen konnte ich auch den Ausführungen des Genossen Frohme nicht sofort ent­gegentreten. Da aber aus dem Bericht nicht hervorgeht, daß Mit­glieder der Agitationskommission oder daß die Vertrauensleute der einzelnen Wahlkreise, welche die Frauen zur Mitarbeit bei der Wahl­agitation berufen haben, den Ausführungen Frohmes entgegengetreten sind, so fühle ich mich veranlaßt, den Raum unserer Zeitung für eine solche Entgegnung in Anspruch zu nehmen.

Ebbe.

Von Ndele Gerhard.*

In der alten, protestantischen Kirche wurden sie getraut. Der nüchterne Bau ließ die Feier noch poesieloser erscheinen. Hell und scharf brach die Februarsonne durch die Fenster. Mit kühler Neugier blickten die Hochzeitsgäste auf das Paar.

Die achtzehnjährige Braut stand da in ihrer unvergleichlichen Anmuth- ruhig und freundlich. Ihre volle und doch jugendlich zarte Gestalt erinnerte an die Gebilde der höchsten Kunst.

Ludolf Bartels war unterſeßt, seine Schulterblätter stark gewölbt; ein gutmüthig gieriger Zug lag um seine Lippen. Geschickte Schneider hatten sich bemüht, der wenig vornehmen Er­scheinung die lässige Eleganz des Lebemanns zu geben.

In den Augen seiner Braut umfloß ihn ein romantischer Schein. Man erzählte, daß er mit der Primadonna des Hof­theaters ein langjähriges Verhältniß gehabt habe. Er brach mit ihr, um sich mit Alice zu verloben.

Der Gedanke an die Primadonna mit ihrer königlichen Haltung erfüllte das junge Mädchen mit stets neuer Befriedigung. In ihrem ganzen Streise zweifelte Niemand, daß der Antrag des reichen Bartels ein Glück für sie sei. Sie ward sich nicht klar, worin der intime Reiz von Männern seiner Art bestehen sollte, aber sie glaubte an ihn.

Die ehelichen Beziehungen lagen verworren vor ihr. Lektüre und die halblauten Bemerkungen von Tanten und Müttern hatten ihren taghellen Verstand gereizt. Ihre Unerfahrenheit schuf im blauen Dämmerlicht glänzende, verführerische Gebilde. Es war ihr, wenn sie an das eheliche Räthsel dachte, als blicke sie in

* Aus Beichte", Novellen von Adele Gerhard  , Berlin   1899, Verlag von Rosenbaum& Hart.

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Ich halte die Zurückweisung der Ausführungen Frohmes nicht nur im Interesse der Frauen, welche ihre Kräfte bei der Wahl­agitation im Dienste der Partei einsetzten, sondern ganz besonders im Interesse des Ansehens der Partei für nothwendig. Unsere Partei hat, wie stets und ständig betont wird, allein von allen Parteien, die Gleichberechtigung der Geschlechter anerkannt und dies ausdrück­lich im Parteiprogramm ausgesprochen. Ich wünschte im Interesse der Partei nicht, daß uns auch nur mit einem Schein von Berech­tigung vorgeworfen werden kann, daß zwischen Theorie und Praxis bei uns ein Unterschied gemacht werde. Besonders aber von den Parteigenossen, welche in den Vorderreihen im Kampfe stehen und die wünschen, daß ihren Worten Bedeutung beigelegt werden soll, haben wir zu fordern, daß sie getreu den Prinzipien unserer Partei feinen Unterschied machen zwischen den theoretischen Lehren der Sozialdemokratie und der praktischen Anwendung dieser Lehren im täglichen Leben, und besonders nicht in den Rämpfen, welche wir gegen die Widersacher unserer Bestrebungen führen.

Es trifft aber auch nicht zu, daß die agitatorische Thätigkeit, welche von den Referentinnen ausgeübt worden ist, nicht nützlich oder gar nachtheilig gewesen wäre. Die Versammlungen, in welchen die zur Agitation herangezogenen Frauen sprachen, waren fast allgemein besser besucht, als die, in welchen Männer als Referenten auftraten. Nach meinen Beobachtungen war auch die Wirkung nicht nur bei den weiblichen, sondern in gleichem Maße bei den männlichen Theil­nehmern der Versammlungen eine äußerst günstige. Woher Genosse Frohme seine Kenntniß von dem Gegentheil gewonnen hat, ist mir nicht verständlich, da er meines Wissens während der Wahlzeit, außer bei der Stichwahl im 7. Wahlkreis, Agitation über die Grenze seines eigenen Wahlkreises hinaus in Schleswig- Holstein   nicht betrieben hat. Auf Aeußerungen von Leuten hin, welche der selbständigen Bethäti­gung der Frauen nicht sympathisch gegenüberstehen, oder gar in Folge schlechter persönlicher Erfahrungen, die solche Leute mit der eigenen Frau gemacht haben, soll man aber kein allgemeines Urtheil abgeben, besonders wenn dieses dazu geeignet ist, den Schein zu erwecken, als wenn wir Sozialdemokraten nur Theorien aufstellen, ohne deren Durchführung durch praktische Bethätigung zu erstreben.

Man kann wohl allgemein annehmen, daß die Frauen, welche immer wieder in den verschiedensten Theilen Deutschlands   als Re­ferentinnen verlangt werden, Tüchtigeres leisten, als eine ganze An­zahl unserer männlichen Referenten. Das ist sehr erklärlich. Bei einer Referentin wird von vornherein ein schärferer Maßstab an­gelegt, und sie muß schon Bedeutendes leisten, wenn sie aus demselben

einen verschwiegenen Wald, aus dem ein betäubender Jasminduft zu ihr hindrang

Ludolf hatte sie in der Verlobungszeit gelangweilt. Er war beschränkt und phlegmatisch. Nichts als Geschäftsmann. Im Uebrigen ein gutmüthiger Mensch. Nun aber würde dies Alles sich ändern er war ihr Mann, er würde ihr das Leben er­schließen.

-

Mit fast findlicher Neugier blickte sie auf ihren Bräutigam. Wie gut ihm der tiefgeschnittene Frack saß! Seine Gestalt erschien schlanker, das brünette Gesicht mit dem dunklen Schnurr­bart weniger grob.

Ludolf war nicht erregt. Eher überlegen und gelangweilt. Alice bemerkte es befriedigt.

Unwillkürlich legte sie ihren Arm fester in den seinen.

*

Hinter einer der Säulen stand Ludolfs   Bruder Martin und beobachtete Alice. Die nur wenig eingeschnürte Gestalt er­innerte ihn an die Venus von Esquilino aus dem kapitolinischen Museum.

Des Mädchens unberührte Schönheit peinigte ihn.

Früh hatte er sich von seiner Familie geschieden, deren ma­terielle Auffassung ihm widerstrebte. Mit unverhohlenem Abscheu verurtheilte er die Genußsucht der Eltern, die Jugendsünden Ludolfs  . Jedes Band zwischen ihnen schien zerrissen, als Martin die Universität bezog, um Soziologie zu studiren.

Die Jahre des eratten Studiums wandelten den feurigen Menschen. Seine schwärmerische Begeisterung, am Umschwung der sozialen Verhältnisse mitzuwirken, wich leidenschaftslosem Forschen. Kämpfte er auch in Wort und Schrift für seine Ueberzeugungen, so hatte er doch im Einzelfalle die warme sittliche Entrüstung der Jugendjahre verloren. Er hörte wenig von seiner Familie,