könnten, wenn wir ihnen die neuen Ideen nicht in der Sprache der Verachtung und Erbitterung, sondern in derjenigen menschlichen und hilfreichen Weise zukommen ließen, die allein der Würde der neuen Sache angemessen ist? Das Zornpredigen hat noch Niemand bekehrt; die Menschen wollen heute weniger wie je als Schulbuben behandelt
werden.
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Ob ich auf dem Mond wohne, fragen Sie, weil ich davon spreche, daß der ethische Widerstand der Gebildeten heute schon ein ebenso mächtiger Faktor gegenüber der Unterdrückung sei, wie die Organisation der Unterdrückten. Es ist wohl manchmal ganz gut, auf dem Mond zu wohnen, da man von dort Dinge sieht, welche den Kämpfenden selber in der Hitze des Gefechts ganz zu entgehen scheinen. Gerade die Angelegenheit der Zuchthausvorlage ist mir ein Beweis für meine Auffassung. Der Umstand, daß selbst die nationalliberale Partei so energische und koalitionsfreundliche Worte gegen die Vorlage sprechen ließ, zeigt deutlich, wie weit seit den letzten Jahren doch die sozialen Jdeen in die Reihen der gebildeten Klassen eingedrungen sind. Der Vorwärts" selbst hat diesen Prozeß als„ sozialistische Endosmose" oft genug verzeichnet. Bei dem großen Hamburger Hafenarbeiterstreit hat die Sympathie weiter Kreise der Gebildeten mit den Streifenden mindestens so eindrucksvoll auf die Unternehmerschaft gewirkt wie die Organisationskraft der Arbeiter. Die große letzte Massenaussperrung in Dänemark hat nur deshalb mit so günstigen Bedingungen für die Gewerkschaften abgeschlossen, weil nicht nur leitende liberale Männer, sondern sogar eine Reihe konservativer Abgeordneter für die Arbeiter eintraten. Und in England weiß jede große Gewerkschaft, welcher reale Machtfaktor im sozialen Kampfe die Sympathie der öffentlichen Meinung ist und man richtet seine ganze Taktik danach ein. Statt dieser Entwicklung in Deutschland ebenfalls mehr und mehr die Bahn zu ebnen, scheint man in breiten Schichten der deutschen Sozialdemokratie alles thun zu wollen, um jenen Prozeß zu verlangsamen, der in den Reihen der gebildeten Klassen Vorkämpfer für die Arbeiterbewegung gewinnt und damit die Aktion der oberen Klassen der alten Geschlossenheit und des Glaubens an das Recht der eigenen Sache beraubt. Die Arbeiterklasse will die gesammte Menschheit befreien. Aber Befreiung heißt Erziehung. Die gegenwärtige Erziehungsmethode der Sozialdemokratie gegenüber den anderen Klassen aber steht leider noch im Wesentlichen auf dem Niveau der Prügelund Scheltpädagogik. Man tritt für eine humanere Behandlung des Verbrechers ein, um ihn der Gesellschaft zurückzugewinnen bleibt aber in dem eigenen Kampfe gegen die Unrechtthuenden noch ganz auf dem alten Standpunkt des Zornes und des Zerschmetterns stehen. Aber die Zeit thut Wunder. Nicht nur in den Reihen der bürgerlichen Klassen erobert eine umfassende soziale Idee immer weitere Köpfe und Herzen. Auch in der Arbeiterbewegung beginnt der Geschmack an dem ewigen Anklagen zu schwinden; die gewaltigen moralischen Aufgaben der Organisation treten ins Bewußtsein, man beginnt zu bemerken, wie jede Zügellosigkeit im Kampfe mit den Gegnern demoralisirend auf die Organisation selbst zurückwirkt und man erkennt, daß eine„ Ethik des Kampfes" etwas ist, was im tiefsten eigenen Interesse der Arbeiterbewegung liegt. Zürich .
man
Fr. W. Foerster.
Herrn Foerster zur Erwiderung.
Die vorliegende Zuschrift bedarf keiner langen Erwiderung. Ich kann mich auf wenige Säge beschränken: Die bürgerliche Frauenbewegung ist auf wirthschaftliche und nicht auf sittliche Ursachen zurückzuführen. Die Verarmung des Mittelstandes, die in Folge der industriellen Entwicklung wachsende Unmöglichkeit, den Frauen im Hause genügende Beschäftigung zu gewähren, zwang sie zur Erwerbsarbeit und nöthigte sie, da die Wege dazu ihnen zumeist verschlossen waren, sich durch gemeinsame Attion Bahn zu verschaffen. Somit ist auch das Ziel der bürgerlichen Frauenbewegung ein wirthschaftliches. Wenn nun Dr. Foerster, die Menschwerdung der Frau" als ihr Ziel bezeichnet, so bin ich zwar vollständig seiner Ansicht, ich behaupte nur, und würde mich anheischig machen, es zu beweisen, daß diese Menschwerdung ohne die Erreichung des wirthschaftlichen Zieles stets ein Phantom bleiben wird. Die sittliche Wiedergeburt der Frau kann nicht losgelöst von der allgemeinen Entwicklung vor sich gehen und von ihrer Menschwerdung" kann nicht eher die Rede sein, ehe nicht die ökonomischen Grundlagen dafür geschaffen sind. Der fundamentale Unterschied zwischen Dr. Foersters Auffassung und meiner ist der: nach ihm soll der„ sittliche Erziehungsprozeß der Geschlechter" der ökonomischen Befreiung vorausgehen und sie ermöglichen, während ich erkläre, daß die ökonomische Befreiung erst die Voraussetzung einer auf alle Volkskreise sich erstreckenden allgemeinen und tiefen sittlichen Erziehung und Er
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hebung schafft. Vollständig aus der Luft gegriffen erscheint mir seine Behauptung, daß die bürgerliche Frauenbewegung außerhalb des Bereichs der Machtkämpfe sich ganz der Erweckung der Frau und des Mannes zu einem höheren Ideal der Gegenseitigkeit hingiebt". Da halte ich, so komisch das klingen mag-, doch mehr von ihr als Dr. Foerster: die Frauenbewegung ist keine moralische Erziehungsanstalt; sie führt Machtkämpfe, wie jede Bewegung, die etwas erreichen will, und je stärker sie wird, desto mehr steigen die Chancen ihres Sieges. Ich sehe nun einmal die Dinge nüchtern an und kann mir in unserer Zeit, wo die Klassenkämpfe den schärfsten Charakter annehmen, und wo jede Klasse moralische Motive für sich in Anspruch nimmt und dem Gegner Mangel an Moral vorwirft, unter Worten wie„ Gesetz der Gerechtigkeit"," Ideal der Gegenseitigkeit" nichts Bestimmtes, Zweifelloses vorstellen.
Dr. Foerster leugnet ja allerdings nicht, zuweilen auf dem Monde zu wohnen; da mögen die festen Umrisse irdischer Zustände allerdings leicht im Nebel verschwimmen. Von da aus mag er vielleicht auf die bürgerlichen Gegner der Zuchthausvorlage doppelt und dreifach sehen, während wir wissen, daß es sich nur um ein fleines Häuflein handelt, auf dessen Heldenmuth durchaus kein Verlaß ist. Unter einer gefälligeren Form läßt es den Feind die Zuchthausvorlage vielleicht doch noch durch eine Hinterthür hineinschlüpfen. Dabei leugne ich gar nicht, daß es unter den besitzenden Klassen Menschen giebt, die für den Kampf der Arbeiter lebhafte Sympathie empfinden, und daß es noch mehr geben könnte, wenn wir, wie Dr. Foerster meint, unsere Tattit auf ihre Gewinnung einrichten möchten. Da wir aber auf dem Standpunkt des Klassenkampfs stehen und wissen, daß die Befreiung der Arbeiter aus den Fesseln des Kapitals und der Lohnsklaverei, denn das ist in unseren Augen Befreiung-, nur das Werk der Arbeiterklasse sein kann, so haben wir die Art unserer Agitation so einzurichten, wie sie am besten geeignet ist, die Arbeiter aufzuklären und zu organisiren. Die wenigen bürgerlichen Ideologen, die wir vielleicht gewinnen könnten, wenn wir unseren Ton nach ihrer Stimmgabel abstimmen würden, stehen in feinem Verhältniß gegenüber den Millionen Arbeitern und Arbeiterinnen, die wir gewinnen müssen, wollen wir überhaupt unser Ziel erreichen. So wenig ich der Zügellosigkeit im Kampfe" in meinem Artikel das Wort geredet habe, so sehr der Energie, die sich nothwendig abstumpft, wenn man, aus Angst irgendwo anzustoßen, nach allen Seiten spä= hend Umschau hält, ehe man es wagt, vorwärts zu schreiten.
Die Anrede zu beantworten, die Dr. Foerster an mich persönlich richtet, habe ich mir bis zuletzt aufgespart. Nein, Herr Doktor, ich kann Ihnen die feierliche Versicherung geben, daß ich mich nicht für edler oder menschenfreundlicher halte, als irgend Jemand meiner früheren Klassengenossen. Hätte ich nur Mitleid, Menschenliebe und wie die Gefühle sonst alle noch heißen mögen, gegenüber den Unterdrückten gespürt, ich wäre das geblieben, was Sie und mit Ihnen piele ernſte, tüchtige Menschen noch sind: ein bürgerlicher Reformer, Nur weil ich auf dem Wege ruhiger Verstandesarbeit zu der Erkenntniß gelangte, daß alle Reformen des Looses der Arbeiter nichts sind als Pflaster auf schwärende Wunden und alle ethische Erziehung der Bourgeoisie an dem Panzer aus Gold und Eisen, den sie trägt, schließlich zu Schanden werden muß, bin ich in die Reihen des kämpfenden Proletariats eingetreten. Wenn ich von diesem Plage aus gegen meine früheren Klassengenossen scharf vorgehe, ja, wie Sie meinen schärfer, als Proletarier von Geburt, so geschieht das gerade, weil ich zu ihnen gehörte, weil ich sie durch mich selbst kenne, weil ich ihre Entwicklung persönlich erlebt habe. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß Jeder meiner einstigen Klassengenossen, der die sozialen Schäden der Gesellschaft erkannt, der die verschiedenen Reformversuche und ihre Unzulänglichkeit in eigener Arbeit erprobt hat, dem es Ernst ist mit dem Wunsche, die Menschheit aus wirthschaftlicher und sittlicher Noth zu befreien, Sozialdemokrat werden muß. Von dieser Anschauung aus dürfte es begreiflich erscheinen, wenn ich gegen diejenigen, die es nicht werden, nicht allzu nachsichtig gestimmt bin. Dieses persönliche Moment mag auch bei manchem anderen Sozialdemokraten bürgerlicher Abstammung eine Rolle spielen. Sie halten ihre eigene Klasse nicht nur deshalb für sittlich gänzlich unzulänglich", weil sie die Arbeiterbewegung die einzige wahre ethische Bewegung unserer Zeit, bekämpft, weil der Besitz der Gott ist, den sie allein anbetet, das Wohlleben das Ideal, zu dem sie allein strebt, sondern mehr noch deshalb, weil der Theil von ihr, der die soziale Noth anerkennt, in seinen Reformen ängstlich auf halbem Wege stehen bleibt und daher, trotz allem Aufwand von großen Worten, im Grunde doch zur reaktionären Masse gehört. Dieselbe Halbheit charakterisirt die bürgerliche Frauenbewegung, von der unsere Auseinandersetzung ausging, und deshalb kann sich auch ihr gegenüber unser Standpunkt nicht ändern.