beslissenen Hilfsvereins für weibliche Angestellte" in Berlin . Ein noch nicht 18 jähriges Mädchen trat im Juli 1898 bei der Firma H.& M. in Berlin als Lehrmädchen ein. Einer der Chefs, Herr H., ein verheiratheter Mann von 40 bis 45 Jahren, nahm mit dem Mädchen grob unfittliche Handlungen vor. Der Vater erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, welche eine Beleidigungsflage erhob. Der Termin, welcher im November 1898 vor dem Schöffengericht in Moabit stattfand, erwies die volle Richtigkeit der erhobenen Beschuldigungen. Trotzdem wurde der angeklagte Herr freigesprochen, ,, weil, wie der Richter ohne ein Wort des Tadels gegen den Arbeitgeber verkündigte, das Fräulein B. sich diese Dinge gern hatte gefallen lassen". Leider hat Frl. Herrmann den Namen des straflos ausgegangenen Wüstlings rücksichtsvoll verschwiegen.
Wie man in Unternehmerkreisen die Sittlichkeit und Würde der Arbeiterinnen achtet, das erweisen noch deutlicher Verhandlungen, die kürzlich vor dem Amtsgericht in Schwegingen stattgefunden haben. Durch sie wurde folgender Sachverhalt festgestellt. Herr Werner, der Betriebsleiter der Zigarrenfabrik Gebr. Baer in Schwetzingen , pflegte die ihm unterstellten Arbeiterinnen zu jener freien Liebe" anzuhalten, die das mit den Lippen verleugnete, aber in Thaten verwirklichte Ideal der Bourgeoisie ist. Eine Zigarrenfortirerin, Fräulein A., die wiederholt unter den unsittlichen Belästigungen des würdigen Vorgesetzten zu leiden hatte, beschwerte sich darüber bei ihrem Bräutigam, der Werner auf der Straße zur Rede stellte. Dieser leugnete erst ab, gab aber schließlich klein bei und versprach, in Zufunft sich einwandsfrei zu halten, wenn der Prinzipal nichts von der Sache erfahre. Der Bräutigam der Arbeiterin lehnte eine diesbezügliche Erklärung ab. Der Betriebsleiter beschloß nun, ein Exempel zu statuiren, das andere Arbeiterinnen abschrecken sollte, Tugend und Ehre zu vertheidigen. Am Tage nach der Unterredung kam er in den Fabriksaal, fragte barsch nach Frl. A., stellte das junge Mädchen zur Rede, ohrfeigte es und beschuldigte es des Diebstahls. Daß Frl. A. des Weiteren fündigungslos entlassen wurde, versteht sich am Rande. Die Arbeiterin wurde nun gegen Werner beim Amtsgericht Schwetzingen klagbar, und dieses verurtheilte ihn wegen Mißhandlung zu 10 Mt. Strafe und wegen Beschuldigung des Diebstahls zu der gleichen Buße. Damit war die Sache jedoch nicht erledigt. Frl. A. machte Entschädigungsansprüche wegen entgangenen Arbeitsverdienstes geltend. Die Firma weigerte sich zu zahlen, da Werner behauptete, die Arbeiterin auf Grund des§ 125 Abs. 5 der Gewerbeordnung, grobe Beleidigung gegen die Vertreter des Arbeitgebers, mit Recht ohne Kündigung entlassen zu haben. Frl. A. wollte ihr Recht zunächst beim Bürgermeisteramt suchen, wurde aber von diesem auf den öffentlichen Rechtsweg verwiesen. Sie flagte nun beim Amtsgericht, das die Sache zu ihrem Gunsten entschied. Die Verhandlung ergab die volle Wahrheit der Beschuldigung, daß Werner sich der Arbeiterin gegenüber hatte unfittliche Handlungen zu Schulden kommen lassen. Die Zeugenaussagen, die unter Eid erfolgten, bewiesen außerdem, daß der Herr sich gegen andere Arbeiterinnen in gleicher Weise vergangen hatte. Drei Arbeiterinnen berichteten, wie Werner mittels des nämlichen Kniffs sie hatte vergewaltigen wollen. Er schickte sie einzeln in den Keller, angeblich um von dort Kisten zu holen, folgte ihnen dann und wollte sie mit brutaler Gewalt zur Duldung unfittlicher Handlungen zwingen. Schärfer als durch lange Kommentare wird die Auffassung des Betriebsleiters durch seine folgende Aeußerung charakterisirt. Was er mit der Arbeiterin gemacht habe", so erklärte er, sei nur, dummes Zeug' gewesen. In so einer Fabrik kommt manches vor; man tätschelt, da die Mädchen zum Spaß am H......, und zum Spaß sagt man ihnen auch:........."§2 der Arbeitsordnung der Fabrik von Gebrüder Baer macht den Arbeiterinnen moralisches Verhalten zur Pflicht.§ 5 droht ihnen Entlassung an bei erheblichen Verstößen gegen die guten Sitten. Den angezogenen Auslassungen und Thatsachen nach scheint also in dem Betrieb eine doppelte Moral zu gelten: eine Moral der Sittenstrenge für die Arbeiterinnen; eine Moral der Sittlichkeitsattentate zum Spaß" für die Vorgesetzten.
Es wäre uns ein Leichtes, in langer Reihenfolge Vorkommnisse nach Vorkommnisse ähnlicher Art zu berichten. Und zwar nicht bloß Fälle, welche das Paschagebahren ,, moderner" Unternehmer beleuchten, sondern auch solche in stattlicher Anzahl, wo im Bannkreis des„ guten patriarchalischen Verhältnisses zwischen Herrschaften und Dienenden", wo unter der Zucht der Gesindeordnung die Sittlichkeit junger, ab= hängiger Mädchen vom Brotherrn systematisch untergraben oder gewaltsam sinnlicher Begier unterworfen wurde. Was derartige Tragödien aus dem Leben des armen, dienenden Weibes anbelangt, so spielen sie sich übrigens nicht nur in den verderbten" Städten ab, sondern auch und recht zahlreich auf dem Lande, wo wie uns von den ,, Edelsten und Besten unserer Nation" versichert wird unter der Fuchtel des Großbesizers die Unschuld sicher wohnen soll.
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Gewiß, daß bei Weitem nicht jeder Unternehmer, Dienstherr Verwalter, Werkführer 2c. ein Wüstling ist, daß es zahlreiche Brotherren" giebt, die sich an der wirthschaftlichen Ausbeutung ihrer weiblichen Arbeitskräfte genügen lassen und sich ihnen gegenüber tadellos halten. Daß aber trotzdem die Fälle geschlechtlicher Ausnutzung wirthschaftlich abhängiger Frauen und Mädchen weit häufiger sind, als die kapitalistische Herrenweisheit sich träumen lassen will, dafür spricht vor Allem eine Thatsache. Von hundert Verführten und Vergewaltigten werden kaum zwei die ihnen widerfahrene Schmach offenbaren und ihr Recht suchen. Wo die Scham den Mund nicht schließt, da hält ihn die Furcht vor Entlassung, vor schweren wirthschaftlichen Nachtheilen sicher geschlossen. Die Neigung zum Klagbarwerden ist um so geringer, als gar manches Urtheil dafür spricht, daß es den Richtern naheliegt, die Glaubwürdigkeit eines achtbaren Familienvaters" höher einzuschätzen wie die einer leichtfertigen" Arbeiterin oder eines„ verlogenen" Dienstmädchens.
Dieser Umstand warnt gewiß davor, übertriebene Hoffnungen auf eine wunderwirkende Kraft des Arbeitgeberparagraphen zu setzen. Er predigt eindringlich, daß mit ihm allein durchaus nicht genug für die sittliche Kräftigung und Sicherstellung der Arbeiterinnen 2c. gethan ist, daß gesetzliche Schutzbestimmungen gegen ihre wirthschaftliche Ausbeutung, daß Gewährung des freiesten Vereins- und Versammlungsrechts, voller Koalitionsfreiheit, Abschaffung der Gesindeordnungen, Zuerkennung der politischen Gleichberechtigung Maßregeln sind, die auch im Interesse der Sittlichkeit der lohnarbeitenden Frauenwelt gefordert werden müssen. Andererseits beweist der angezogene Umstand aber auch klärlich, wie grundlos der andere, gegen den Arbeitgeberparagraphen erhobene Einwand ist:„ die Bestimmung werde nur zu Erpressungen und Denunziationen anreizen". Nebenbei sei noch festgestellt, daß der betreffende Einwand mit der gleichen Berechtigung gegen einen guten Theil aller gesetzlichen Bestimmungen geltend gemacht werden könnte. Wollten die guten Leutchen, die mit ihm krebsen gehen, konsequent sein, sie müßten insbesondere schleunig zu begeisterten Vorkämpfern für die Beseitigung des Majestätsbeleidigungsparagraphen werden. Wie fein zweiter Gesetzesparagraph wirkt er forrumpirend und trägt die Erpressung und Denunziation bis in den Schoß der Familie. Hinter all den Einwürfen, welche gegen den Arbeitgeberparagraphen erhoben worden sind, steckt im letzten Grunde nur eins: die Abneigung der bürgerlichen Welt gegen jede Beschränkung des kapitalistischen Herrenrechts, die auf dem Markte gekaufte Waare Arbeitskraft nach Belieben und Nußen zu gebrauchen und zu mißbrauchen.
Mädchenheime
des Evangelischen Diakonievereins.
Eines Tages sagte ein Sozialdemokrat, er gebe keinem Bettler eine Gabe, damit um so schneller Allen, auch den Denkfaulsten und Denfunfähigsten, die Unerträglichkeit der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung einleuchte. Im Gegensatz zu dieser in sozialdemokratischen Kreisen wohl vereinzelt dastehenden Auffassung bin ich der Meinung, daß das Streben nach einer gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Umgestaltung von Grund auf, das Streben, die Armuth, die Bettler abzuschaffen", wie Dickens sagt, uns nicht hindern kann und darf, gegenwärtige Noth zu lindern, augenblicklichen Hunger zu stillen, dem Obdachlosen wenigstens vorübergehend eine Zufluchtsstätte zu gewähren, wenn wir auch nicht in der Lage sind, ihm dauernden Schutz zu verschaffen.
Wichtiger und werthvoller als Almosengeben, das dürftigste Pflästerchen auf eine soziale Schwäre, sind die Bestrebungen, dem Nothleidenden zu einer Stellung zu verhelfen, in der er durch seine eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt erwerben kann und nicht mehr auf das demüthigende und meist demoralisirende Almosennehmen angewiesen ist.
Dieser Auffassung entsprechend, als Linderungsmittel schwerer sozialer Gebrechen( deren gründliche Heilung meiner Ueberzeugung nach nur die sozialistische Gesellschaft bewirken wird) beurtheile ich einige Einrichtungen des Evangelischen Diafonievereins, dessen Direktor Herr Prof. Dr. Zimmer in Zehlendorf ist. Begreiflicherweise verschließen sich die einsichtsvollen und ehrlichen Vertreter der bürgerlichen Ideale nicht der Erkenntniß, daß es in unserer Zeit mit dem Stande der Dinge vorbei ist, den Schiller mit den Worten besingt:„ Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau". Und aus dieser Erkenntniß heraus versucht der genannte Verein, weiblichen Personen der verschiedenen Bildungs- und Vermögensklassen ein seiner Auffassung nach geeignetes und gesichertes Thätigkeitsfeld zu eröffnen. Daß der ehrliche, gute Willen vorhanden ist, in dieser Beziehung Nützliches zu wirken, zu helfen, sei rückhaltslos anerkannt; ebenso unumwunden muß jedoch betont werden, daß die geleistete soziale Hilfsarbeit selbstverständlich