überheben. Sind die Anderen wirklich schlimmer", so thut gutes Beispiel und menschlich natürliches, brüderliches Benehmen mehr als hoffärtige Ueberhebung!
Herr Professor Zimmer erklärt über die erziehliche Thätigkeit der " Heime":" Die Aufgabe ist jedenfalls die, erwachsene Menschen als Erwachsene zu behandeln, ihnen das Gefühl zu ersparen, daß sie Wohlthaten empfangen, und umgekehrt ihnen die Verantwortung zu geben und zu stärken, daß sie durch ihre eigene Arbeit ihr Geschick zimmern. Hierfür scheint mir eine genossenschaftliche Zusammenfassung, verbunden mit erziehlicher Einwirkung geeignet." Dieser Ausspruch enthält viele sympathische Gedanken. Es bleibt jedoch abzuwarten, welcher Art die erziehliche Einwirkung der„ Heime" sein wird; an ihren Früchten wird man sie ja erkennen. Vom sozialistischen Standpunkt ist noch vieles zu sagen und zu fragen in Betreff dieser Mädchenheime und ihrer Bedeutung für die Arbeiterinnen. Ich halte meine Ausführungen absichtlich so kurz, weil ich hoffe, daß sie Arbeiter und Arbeiterinnen aus den fraglichen Betrieben oder überhaupt Textilarbeiter der betreffenden Gegenden veranlassen werden, in der „ Gleichheit" oder der Gewerkschaftspresse die Mädchenheime auf Grund ihrer Erfahrung zu schildern, so daß man dieselben auch in anderer Beleuchtung als die der Diakonievereine kennen lernen könnte.
Eine Arbeit über diesen Gegenstand von Herrn Professor Zimmer erscheint demnächst in den Blättern der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. Allein trotzdem oder gerade deswegen sind Nachrichten über die Einrichtungen aus den Kreisen der Arbeiterschaft nothwendig. Auf Grund genauer Kenntniß muß man beurtheilen können, ob man es in den„ Heimen" mit einem gedeihlichen, wenn auch auf einem uns nicht genehmem Boden erwachsenen Werke für die ins Erwerbsleben tretenden jungen Mädchen zu thun hat oder nicht. Der Ausbreitung und Vertiefung des Sozialismus unter den deutschen Arbeiterinnen wird dieses Werk auf die Dauer nicht hindern, ebenso wie andere Veranstaltungen, seien sie gut oder bös gemeint, den Fortschritt des Sozialismus nicht aufhalten können.
Nachschrift der Redaktion: Wir haben keine Zweifel darüber, wie das Urtheil aufgeklärter Arbeiter und Arbeiterinnen über das Werk des Evangelischen Diakonievereins lauten wird und lauten muß. Schon der Umstand ist maßgebend dafür, daß die„ Heime", wie die Verfasserin hervorhebt, im Banne des konfessionellen und Klassenstandpunkts stehen. Was bedeutet denn dies anders, als daß das Gewähren bestimmter Vortheile für die Arbeiterinnen verknüpft ist mit dem Bestreben, sie in geistiger Unfreiheit zu halten, sie nicht zur Grfenntniß ihrer Klassenlage als Ausgebeutete kommen zu lassen und ihnen den Willen zu nehmen, für ihre Interessen gegen die aus
So erwarb er sich denn unter den Bauern den Namen „ Murrkopf".
,, Du bist also der Murrkopf", wiederholte ich, ich habe schon von Dir gehört, mein Lieber, man sagt, daß Du gegen Niemand nachsichtig seiest?"
" Ich thue nur meine Pflicht", antwortete er fast düster, ,, und will das Brot meiner Herrschaft nicht umsonst essen."
Er zog eine Art aus dem Gürtel, kniete auf den Boden nieder und fing an, einen Leuchtspan zu hauen.
,, Hast Du denn keine Frau im Hause?" frug ich ihn. ,, Nein", versezte er, hastig mit der Art hackend. „ Gestorben?"
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Nein ja sie ist todt", fügte er endlich hinzu und wandte sich ab.
Ich schwieg und er hob die Augen, mich anblickend.
,, Sie ist mit einem Durchreisenden davongegangen", sprach er mit einem harten Lächeln. Sein Kind senkte den Kopf; der Säugling erwachte und begann zu schreien, die kleine Schwester trat zu ihm an die Wiege.
" Nun gieb ihm doch", sagte der Förster, ihr ein kleines Saughorn reichend.
„ Auch das hat sie verlassen", fuhr er halblaut fort, auf die Wiege zeigend. Er trat zur Thür, blieb stehen und wandte sich dann zu mir:
,, Ihr werdet unser Brot nicht essen können, Herr", begann er, aber ich habe kein anderes."
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„ Ich bin nicht hungerig."
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,, Nun, das müßt Ihr selbst wissen. Ich würde Euch gerne einen Samowar bringen, aber ich habe keinen Thee. Indessen, ich muß erst nach Eurem Pferde sehen."
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beutende Klasse zu kämpfen? Aber nicht einmal die materiellen Augenblick@ vortheile, die das„ Heim" den Arbeiterinnen bietet, dünken uns zweifelsohne. Schon der Umstand ist hochbedenklich, daß die jungen Mädchen durch den Hinblick auf die Ersparniß für längere Zeit, eventuell für ganze sechs Jahre sozusagen an die Scholle gefesselt, an einen bestimmten Betrieb gebunden sind, und zwar ohne daß sie einen selbständigen Einfluß auf die Festsetzung ihres Lohnes, der Arbeitsbedingungen überhaupt ausüben können. Diese Festsetzung geschieht durch das Direktorium der Spinnereien, allem Anschein nach auf Grund einer Verständigung mit dem Diakonieverein, bezw. dem Kuratorium der„ Heime". Die Vermuthung liegt nahe, daß in der Folge in erster Linie die Interessen der ausbeutenden Aktiengesellschaften gewahrt werden und nicht die der Arbeiterinnen. Weil die ,, Schülerinnen " der„ Heime" nicht frei über ihr Erspartes verfügen können, ist es ihnen auch nicht möglich, einen Theil desselben der besten und am reichlichsten zinsenden„ Sparkasse " der Arbeiterklasse zuzuführen: der Gewerkschaftsbewegung. Aber auch die gesammte Organisation der Anstalten, der Geist, der in ihnen lebt, steht der Betheiligung der in ihnen„ bewohlthateten" Arbeiterinnen an der Gewerkschaftsbewegung hindernd im Wege 2c. So bezahlen die Arbeiterinnen die Vortheile, welche ihnen in Betreff ihrer Lebenshaltung, Ausbildung 2c. gewährt werden, mit der Unmöglichkeit, um bessere Arbeitsbedingungen kämpfen zu können. Welche ungünstige Rückwirkung durch die einschlägigen Verhältnisse auf die Arbeitsbedingungen der übrigen Arbeiterinnen der Spinnereien ausgeübt wird, liegt auf der Hand. Was scharfe Kritik herausfordert, ist in erster Linie nicht das Streben des Evangelischen Diakonievereins in einer Zeit, wo die Nothwendigkeit durchgreifender sozialer Reformen zu Gunsten der Arbeiterklasse sich aufdrängt, durch ein kleines Mittelchen große soziale Gebrechen heilen zu wollen. Es ist vielmehr die Thatsache, daß das Wenige, was geboten wird, nicht ausschließlich von der Rücksicht auf die Interessen der Arbeiterinnen bestimmt wird, sondern mit allerhand Rücksichten verquickt ist, welche im Gegensatz zu diesen Interessen stehen.
Aus der Bewegung.
Von der Agitation. In Berlin fand am 15. November eine öffentliche Volksversammlung statt, in welcher Genossin Wengels Bericht erstattete über ihre Thätigkeit als Vertrauensperson, und in der die Neuwahl einer Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands erfolgte. Der Thätigkeitsbericht erstreckt sich auf die Zeit vom 13. Oktober 1878 bis 13. November 1899. In dieser Zeit vereinnahmte die Vertrauensperson zu Agitationszwecken 1235,57 Mt. und verausgabte 1224,42 Mt. In Berlin wurden in
Er ging hinaus und schlug die Thür zu, ich schaute mich von Neuem um. Die Wohnung erschien mir jetzt noch elender als vorher. Der bittere Geruch der Kälte legte sich mir erdrückend auf die Brust.
Das Mädchen rührte sich nicht vom Blaze und hob auch den Blick nicht empor, bisweilen stieß sie an die hängende Wiege, sich das zurückgefallene Hemdchen wieder über die Schulter ziehend; ihre nackten Beine hingen herab, ohne eine Bewegung zu zeigen. Wie heißt Du?" frug ich sie.
,, Ulita", war die Antwort, und sie senkte noch mehr ihr trauriges Gesichtchen.
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Der Förster erschien jetzt wieder und setzte sich auf die Bank. ,, Das Gewitter verzieht sich", bemerkte er nach einer Pause, ,, wenn Ihr es wünscht, geleite ich Euch aus dem Walde?" Ich stand auf, der Murrkopf nahm seine Flinte und prüfte das Schloß.
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Weshalb thut Ihr dies?" frug ich ihn.
Man frevelt im Walde. In der Bergschlucht drüben hauen sie soeben Holz", versezte er zur Antwort auf meinen fragenden Blick.
„ Hörst Du denn das bis hierher?"
Auf dem Hofe ist es vernehmbar."
Wir gingen zusammen; der Regen hatte aufgehört und nur in der Ferne waren noch die schweren Massen der Wolken sichtbar, aus denen bisweilen noch ein Bliz leuchtete, während über unseren Köpfen bereits der dunkelblaue Himmel erschien, durch dessen einzelne schnell dahineilende Wolfen die Sterne flimmerten. Die Umrisse der Bäume, welche vom Regen troffen und mit im Winde wogenden Zweigen standen, begannen mehr und mehr aus der Finsterniß herauszutreten. ( Schluß folgt.)