leider hinter dem Fabrikgesetz zurück, welches bestimmt, daß Wöch-nerinnen vor und nach ihrer Niederkunft im Ganzen während8 Wochen nicht in der Fabrik beschäftigt werden dürfen. DieseBestimmung anerkennt die Nothwendigkeit, daß die schwangere Ar-beiterin nicht bis zur Niederkunft in die Fabrik gehen, sondern schoneinige Zeit vorher zu Hause bleiben soll. Diese sehr nothwendigeSchonung können sich aber viele Arbeiterinnen nur dann vergönnen,wenn ihnen der entgehende Arbeitslohn ersetzt wird. Durch dieKrankenversicherung könnte dieser Ersatz geleistet werden, und eshätte das neue Gesetz deshalb in Uebereinstimmung mit dem Fabrik-gesetz eine achtwöchige Unterstützungsdauer für Wöchnerinnen vor-sehen sollen. So bleibt die schöne Vorschrift des Fabritgesetzes auchnach dem Jnslebentreten der Krankenversicherung für viele Arbeite-rinnen nur auf dem Papier.Das Sterbegeld beträgt 40 Franken.Wie für die Krankenversicherung, so erstreckt sich der Versiche-rungszwang für alle unselbständigen Personen auch auf die Ver-sicherung gegen Unfall. Das Gesetz macht sodann keinen Unterschiedzwischen Berufs- und Nichtberussunfällen, sondern sieht ausnahmslosdie Unterstützung aller Unfälle vor. Die Karenzzeit beträgt nur6 Wochen gegen 13 Wochen in Deutschland; während dieser Zeitliegt der Krankenkasse die Unterstützung des Verletzten ob. und zwarauf Rechnung der Unfallversicherung. Die Leistungen der Letzterenan den Verletzten sind die gleichen, wie bei der Krankenversicherung,jedoch treten bei der Unfallversicherung im Falle theilweiser odergänzlicher Erwerbsunfähigkeit die Renten in Kraft, die 60 Prozentdes Arbeitslohnes im Höchstfalle betragen. Im Todesfalle erhaltendie Hinterlassenen die Rente, und zwar die Witwe bis zu ihrem Todeoder bis zu ihrer Wiederverehelichung 30 Prozent des Verdienstesdes Verstorbenen, jedes Kind bis zum vollendeten 16. Lebensjahr15 Prozent und im Falle völliger Verwaisung 25 Prozent. Legiti-mirte uneheliche Kinder haben nach des Vaters Tode die gleichenAnsprüche, desgleichen uneheliche Kinder der au dem Unfall gestor-denen Mutter. Im Falle der Wiederverehelichung erhält die Witweden dreifachen Betrag der Jahresrente als Abfertigung. DieselbenBestimmungen enthält auch derjenige Theil des Versicherungsgesetzes,der die Unterstützung der im Militärdienst erkrankten oder voneinem Unfall betroffenen Wehrmänner betrifft. Die Renten sind inMonatsraten zahlbar und am ersten jedes Monats auf der Post inEmpfang zu nehmen.Nach Opfern schreit der Sturm im Ried.Doch bald! dann konimt der Frühlingssöhn,Dann schießt in die Halme die junge Saal,Der Tag der Auferstehung naht!Dann schmilzt im Sturm da« morsche Eis,Dann wühlt er die Opscr empor vom Grund.Die Helden alle, die Niemand weiß;Und jedes Tobten vermoderter MundWird klaffend nach Rache bleckenUnd tausend Lebendige wecken!Gnadenbrot/Von Henrik Pontoppidsn.An einem Nachmittag hörte man einen großen Spektakel indem engen Gäßchen hinter dem Dorfteich, wo vier bis fünf schwarzeKäthnerhütten baufällig und gebrechlich unter dem Schulhügelaneinander geklebt liegen. Aber die Veranlassung war auch ge-wichtig genug! Die alte Stine Bödkers sollte auf die„Kasse".**So lautet nämlich die volksthümliche Bezeichnung für das große,neugebaute Armen- oder Arbeitshaus des Kirchspiels, das derStolz und der Schmuck der ganzen Gegend ist. Nun muß aberauch in Wahrheit zugestanden werden, daß es sich sehr vortheil-Haft abhebt von den alten, schmutzigen und stinkenden Gemeinde-Armenhäusern, in die man in früherer Zeit die Leute aufs Gcrathe-wohl hineinpferchte und sie leben ließ, so gut es eben gehen wollte.So zu sagen königlich liegt es auf der Höhe eines gestrüppbe-wachsenen Hügels gegen die Föhrde hinaus— aufgeführt in Rothund Grau, mit zierlichen Spitzen auf den Giebeln und dem Namenszug*„Aus ländlichen Hütten", Dorsbilder. B. HehmannS Verlag,Berlin 1896.** Abkürzung für Armenkasse.Was die Versicherungsprämien betrifft, so werden die Ver-sicherten in 10 Lohnklassen von 1 Fr. bis 7,50 Fr. eingetheilt unddemgemäß die Beiträge abgestuft, die im Maximum 4 Prozent desLohnes nicht übersteigen dürfen. Die Hälfte der Krankenversicherungs-Prämien zahlt der Unternehmer, die andere Hälfte die versichertePerson; außerdem leistet der Bund(die Eidgenossenschaft) einen Bei-trag von 3,65 Fr.(1 Centimes pro Tag) für jede obligatorisch oderfreiwillig vollversicherte Person. An die Unfallversicherung hat derUnternehmer*/» und der Versicherte'/» des Beitrags zu leisten. DieKosten der Verwaltung der Unfallversicherung trägt der Bund, außer-dem trägt er noch'/» der von Unternehmern und Arbeitern gezahltenPrämie zu der Versicherung bei. Die aus der Subventionirung derbeiden Versicherungen dem Bunde erwachsenden Ausgaben werdenauf 8 Millionen pro Jahr berechnet.Zur Festsetzung der Gleichberechtigung beider Geschlechter be-züglich der Theilnahme an der Verwaltung der Krankenkassen undder Unfallversicherung hat sich die Bundesversammlung nicht aufzu-schwingen vermocht. Sie macht in dem Gesetz die Wählbarkeit inden Vorstand, in das Schiedsgericht:c. von dem Besitz des schwei-zerischen Aktivbürgerrechts abhängig, das die Frauen nicht besitzen.Mit dem Grundsatz von den gleichen Pflichten und gleichen Rechtenaller Staatsangehörigen ist eine solche engherzige Einschränkung nichtvereinbar, die Frauen sind wie die Ausländer auf die gleiche Stufemit Verbrechern gestellt, denen durch gerichtliches Urtheil die Aktiv-bürgerrechte aberkannt worden sind. In der Minderberechtigung derFrauen kommt wieder einmal die Einseitigkeit der bürgerlichenMännergesetzgebung zum Ausdruck.Trotz dieses Mangels und manch anderer Schwäche und Un-zulänglichkeit bedeutet das vorliegende schweizerische Versiche-rungsgesetz ein tüchtiges Stück Sozialpolitik und gegenüber dembestehenden Zustand einen ernsthaften Fortschritt. D. Zinner.Aus der Bewegung.Bon der Agitation. Ueber das Thema:„Die Politik unddie Frauen" sprach Genosse Liebknecht kürzlich in einer öffent-lichen Versammlung in Schöneberg, die besonders von Frauenzahlreich besucht war. Der Referent führte aus, daß die proletarischeFrauenbewegung im Gegensatz zu der bürgerlichen Frauenbewegungdes Königs, der in Gold auf blauem Grunde über der Eingangs-thür funkelt.Fremde, die des Wegs daherkommen, werden sicherlich dasstattliche Gebäude mindestens für ein Gerichtsgebäude, ein Arrest-gewahrsam, ein königliches Zuchthaus oder dergleichen halten undmehr als ein besonnener Mann, wenn er innerhalb der eisenspitzen-gezierten Umzäunung steht und die mächtigen Treppenaufgänge, dieHeizvorrichtungen und die geschmückten Decken betrachtet, schütteltbedächtig den Kopf und läßt so halblaut etwas von„Ueber-treibung" hören. Es sei denn, daß er gerade in einen der großenSäle hinaufkommen sollte, wo reihenweise die Bewohner diesesHauses im Stroh unter den Fenstern sitzen, Binsenmatten flechtenund Körbe binden— die Männer in ihrem und die Weiber inihrem Flügel.— Es ist ein eigenthümlich niederdrückender Anblick,eine solche Versammlung alter, lebensmüder Menschen, denen dasLeben nichts mehr zu bieten hat— besonders wenn der langeKummer eines langen Lebens so tiefe Spuren der Vernichtunggegraben hat, wie hier. Es sind die abgearbeiteten Kräfte, dieverkommenen Existenzen aus den Hütten und Höhlen des Kirch-spiels, die sich innerhalb dieser Mauern versammeln, wenn dieHand schwach wird und der krumme Rücken des Lebens Bürdenicht mehr tragen kann. Nun sitzen sie hier, alle in einer Tracht,mit sauberer Wäsche und gekämmt und blank gewaschen, wie siestch's wahrscheinlich nie haben träumen lassen— aber zugleich soschweigsam und wunderlich vor sich hingrübelnd, als hätte inWirklichkeit die Ewigkeit hier in diesem feierlichen Raum schonihren Anfang für sie genommen. Das Licht fällt mit so über-irdischem Glänze herein und das geringste Räuspern und Hustenhallie so hohl von den hohen Gewölben wieder— wie in einerKirche.— Stumm und andächtig bewegen sie ihre steifen ge-krümmten Finger bei der ungewohnten Arbeit, befestigen die Schnüreim Stroh, knüpfen aneinander und ziehen zusammen, Stundeaus,Stundeein mit der gleichen mechanischen Regelmäßigkeit, wie dorthinten in der Ecke die Uhr in ihrer ewigen Perpendikelwanderung.