Nr. 4.

Die Gleichheit.

10. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, burch die Post( eingetragen unter Nr. 3122) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart

Mittwoch den 14. Februar 1900.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Cuellenangabe gestattet.

Die Flottenvorlage.

Inhalts- Verzeichniß.

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Zur Gewerbegerichtsnovelle. Von M. H. 3ur Beurtheilung der Mädchenheime der Evangelischen Diakonievereine. Herrn Prof. Dr. Zimmer zur Antwort. Von Klara Zetkin . Aus der Bewegung. Feuilleton: Anna. Von Adele Schreiber . Notizentheil von Lily Braun und Klara Zetkin : Frauenarbeit auf dem Ge­biete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.

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Die Flottenvorlage.

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Unerwartet, wie der Dieb in der Nacht, ist die Flottenvor= lage nur für die wenigen naiven Gemüther gekommen, die da wähnten, daß das Flottengesetz von 1898 sowohl die Regierung wie die Voltsvertretung binde und der Abschluß des Marine­taumels sei, nicht aber sein Anfang. Ihre Vorgeschichte füllt eins mehr von jenen Blättern, welche so charakteristisch für das Wesen der deutschen Reichsherrlichkeit sind und insbesondere eindringlich erzählen, wie weit wir uns den Zuständen nähern, die im Zeichen des Homerschen Verses stehen: Einer nur soll Herr sein, Giner nur König."

Kaiserliche Reden, denen Dank unseres spezifisch deutschen Konstitutionalismus die Bedeutung bestimmender politischer Ereignisse eignet, haben die Flottenvorlage angekündigt und eingeleitet. Noch früher schon hatte der Klüngel der am Schiffs- und Kanonenbau interessirten Großindustriellen der Flottenvermehrung das Tamtam geschlagen, angeeifert von den vertraulichen Anfragen" Posa dowskys des Liebenswürdigen, die Leistungsfähigkeit ihrer Weike betreffend, das heißt reichen Gewinn verheißend. Ein sicheres, glän­zendes Geschäft in Sicht! Das dankbar- zahlungsfähige Herz der Herren ließ in der Presse und im Flottenverein Schweinburgs Begeisterung hoch emporlodern. Die Flottenvorlage beherrschte das politische Leben, beherrschte die Budgetdebatte des Reichstags, noch ehe ihr der Bundesrath zugestimmt und damit eine verfassungsmäßig giltige Eristenz verliehen hatte. Nun liegt sie dem Reichstag zur Entscheidung vor.

Was bezweckt die Flottenvorlage, das Kind romantischer Weltmachisphantasterei und nüchternen, profitlüfternen Prozent­patriotismus? Reichsherrschaft soll mit Seeherrschaft gleichbedeutend sein. Deutschland soll eine Seemacht ersten Ranges werden, die es mit jeder anderen Seemacht erfolgreich aufzunehmen vermag. Eine starke Flotte soll uns den Besitz von Plägen an der Sonne" fichern, wo wie auf Prinz Heinrichs Ostasienfahrt das Evangelium von Seiner Majestät geheiligter Person" verkündigt werden kann.

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Und die Kostenrechnung, die dafür dem deutschen Michel prä­sentirt wird? Für Durchführung des Flottenplans ist bis 1916 bas nette Kapitälchen" von 4585 Millionen veranschlagt. Rechnet man dazu noch die Ausgaben für die Schiffe, die in diesem Jahre in Bau gegeben und die 1920 vollendet werden, so erhöht sich der Betrag auf fast 6 Milliarden, nämlich auf 5921 Millionen. Ja, die nöthigen Aufwendungen werden jedenfalls diese Riesen­summe noch übersteigen. Die Kosten für Werften, Docks, Hafen anlagen laffen sich nicht veranschlagen".

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Welches aber sind die Umstände, die vorgeblich unabweisbar machen sollen, daß Milliarden im buchstäblichen Sinne des Wortes

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Alara Bettin( 8undel), Stuttgart , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.

ins Wasser geworfen und verpulvert werden? Weder die Be­gründung" noch die Denkschrift" zur Flottenvorlage vermag Thatsachen, Erwägungen anzuführen, welche vor einer ernsten Prü­fung Stand halten. An Stelle zwingender Beweise, welche sich mit unwiderstehlicher Wucht Geltung verschaffen, stehen leichtfertig. zusammengestoppelte Zahlen und seichte Allgemeinheiten, wie sie Bülows Flottenrede zierten, und wie sie als Möchtegern- Begründung jedes Flottenplans überhaupt aufmarschiren können. Die großen und fleinen Schweinburgs, die ihre Schwärmerei für die Wasserzukunft Deutschlands baar gegen baar in der Presse und den Flottenver­einen feilhalten, sind außer Stande, über den Mangel hinwegzu­täuschen. Die Professoren, welche die Flottenvorlage als ersehnten, willkommenen Anlaß verehren, ihren Byzantinismus in empfeh­lende Erinnerung zu bringen und billige Absolution für ihre Ver­urtheilung der Zuchthaus vorlage zu erlangen, mühen sich vergebens, die nebelhaften Ziele und die maßlofen Forderungen des Marine­plans mit dem Schein wissenschaftlicher Gründe auszustaffiren.

Wer nicht auf den beschränkten Unterthanenverstand oder auf das Profitbegehren der Kanonen-, Panzerplatten- und Werftkönige eingeschworen ist, dem ist noch immer nicht die Erkenntniß gereift, daß eine starke Schlachtflotte die unerläßliche Vorbedingung für eine fräftige, gedeihliche Handelsentwicklung sei. Er hält an der altmodischen" Ueberzeugung fest, daß der einheimischen Industrie die ausländischen Märkte erschlossen werden durch gute, preiswerthe Waaren; geschickte wohlunterrichtete Agenten und Kaufleute, ver­ständige Handelsverträge, welche die internationalen wirthschaft­lichen Schranken niederreißen und nicht solche aufbauen. Und nur sozialpolitische Kinder lassen sich durch das Märchen narren von den ,, Segnungen", mit denen die Flottenvermehrung in Folge der gesteigerten Thätigkeit im Schiffs- und Kanonenbau die deutsche Arbeiterklasse begnaden würde. Die Arbeiter wissen, daß die Auf­wendungen für Marine- und Militärzwecke voltswirthschaftlich auf einer Stufe stehen mit den Lurusausaaben der Besigenden. wissen, daß sie die Zeche der verheißenen" Segnungen" zu zahlen haben, und daß nur eine Hand voll Großindustrieller reichen Ge­minn einfädelt. Die Promptheit aber, mit welcher ausländische Mächte den deutschen Flottenplan mit der Ankündigung einer bevor­stehenden Marinerüstung ihrerseits beantwortet haben, läßt die Behauptung in sich selbst zusammenbrechen, daß die Rücksicht auf die Wehrfähigkeit des Vaterlandes den Bau der neuen Geschwader gebiete. Die Durchführung des Flottenplans eröffnet das Wett­rüsten zur See, auf Grund dessen die Staaten einander zwar mit größeren Mitteln, aber im alten Stärkeverhältniß gegenüberstehen. Die berüchtigte Schraube ohne Ende" beginnt auch in dieser Hinsicht zu funktioniren und bedingt ein entsprechendes Funktioniren der Steuerschraube.

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Denn daran kann kein Zweifel sein, daß betreffs Aufbringung der Mittel, welche der Flottenplan erfordert, es wiederum heißen wird: Die Masse muß es bringen." Die Regierung steht zur Deckung der Kosten im Verlaufe von 16 Jahren eine Anleihe von 769 Millionen vor, für welche die Proletarier zinsen müssen. Die übrigen erforderlichen Hunderte und Tausende von Millionen sollen durch die ordentlichen Einnahmen für Marinezwecke" aufgebracht werden, das heißt durch indirekte Steuern, welche die Bedürfnisse der kleinen Leute belasten. Ins Blaue hinein nehmen die Be­fürworter der Vorlage an, daß die Einnahmen gleichen Schritt mit den künstlich ins Ungeheure gesteigerten Ausgaben halten

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