der Arbeiterinnen bestimmt wird. Er vermeint diese Bemängelungdurch die Behauptung zu entkräften, daß die Mädchenheime„über-Haupt nicht von der Rücksicht auf die Interessen der Arbeiterinnenals Arbeiterinnen bestimmt sind", sondern daß sie„Erziehungs-anstalten seien für Mädchen aus unbemittelten Ständen". Gleichdarauf führt er jedoch aus, daß die Mädchen„durch eigene Kraft undeigene Arbeit", durch Lohnarbeit in einer Fabrik die Mittel für dasBestehen der Anstalten liefern müssen. Seine„Erziehungsanstalt fürMädchen aus arbeitenden Ständen" kann also nur exifliren auf Grundder Erwerbsthätigkeit„der Arbeiterinnen als Arbeilerinnen".Diesen Thatbestand vermag die genossenschaftliche Organisationdes Haushalts, dem die jungen Mädchen angegliedert sind, nicht ein-mal zu trüben. Der„genossenschaftliche Weg" bestimmt in demMädchenheim lediglich das Wie der Mittel für den Unterhalt derMädchen. Die Mittel selbst aber werden nicht auf„genosscnschaft-lichem Wege" beschafft, vielmehr durch kapitalistisch ausgebeutete Lohn-arbeit im Dienste fremder Unternehmer. Diese Lohnarbeit bildet nichtblos die Grundlage für das Bestehen des Mädchenheims, sie sprichtauch das zuletzt entscheidende Wort über die Gestallung und Durch-führung des Haushaltungs- und Erziehungsplans. Die Rücksicht aufdie Interessen der Arbeilerinnen„als Arbeiterinnen" müßte mithindas A und O der Anstalt sein, dafern sie dem gesteckten Ziel so naheals möglich kommen will. Je höher die Löhne der jungen Arbeiterinnen sind, je kürzer ihre Arbeitsstunden, je besser Gesundheit,Kraft und Zeit sparend rc. ihre Arbeitsbedingungen: um so weiterenSpielraum und günstigeren Boden gewinnt die Anstalt für die Lösungihrer erzieherischen Aufgabe. Auch in dieser Hinsicht zeigt sich, daßdie Verbesserung der Arbeitsbedingungen der archimedische Punkt ist.wo der Hebel jedes ernsten sozialreformerischen Wirkens eingesetztwerden muß.Aber freilich, die Arbeitsbedingungen können nur gründlich ver-bessert werden, wenn man sich des unversöhnlichen Gegensatzes derInteressen zwischen den ausbeutenden Unternehmern und den aus-gebeuleten Arbeitskräften bewußt ist, und wenn man rückhaltslos vomproletarischen Klassenstandpunkt aus für die Interessen der Arbeits-kräfte eintritt. Herr Professor Zimmer verkündigt es mit Stolz, daß„die Mädchenheime nicht im Banne des Klasseninteresses stehen, ebensowenig der bürgerlichen, wie der proletarischen Klasse". Da aber dieMädchenheime nicht im luftleeren Räume schöner, philanthropischerSpekulationen existiren, sondern in einer bösen Welt harter That-fachen, wo ein Hüben und Drüben nur gilt, bestätigt er damit nurdie Richtigkeit unserer grundsätzlichen Bewerthung der Anstalten.Anna.Von Adele Schreiber.„Gesucht zu einer einzelnen Dame ein besseres Mädchen."Unter den vielen Bewerberinnen, welche sich in dem Kur-ort X. auf obiges Inserat gemeldet hatten, war die Wahl vonFrau von Myutowska auf Anna gefallen.Frau von MyutowSka war nervös, oder wenigstens that siealles, um es zu werden— hatte sie doch alle Ursache, nervös zu sein.Was bleibt einer seit Jahren gefeierten Schönheit, die sich nun plötzlichin den Petersburger Salons durch eine ganz neue, natürlich„ganzvulgäre" Erscheinung in den Schatten gestellt sieht, Besseres übrig,als möglichst rasch nervös zu werden und in einen Kurort zu reisen?Frau von Blyutowska suchte, wie schon erwähnt, ein„besseresMädchen", sie gab sehr viel auf das Aeußere, und dann war ihrAnna gleich sympathisch gewesen. In der That bewies die Wahleinen guten Geschmack. Jeder Maler hätte Annas Kopf alsModell zu einem Heiligenbild benützen können. Anna hatle einbleiches Madonnengesichtchen, umrahmt von schweren braunenFlechten, große träumerische dunkle Augen und eine reizende feineNase. Sie war siebzehn Jahre alt und hatte den schmächtigenkaum entwickelien Körper eines Bolkskindcs, das unter Kummer,Roth und Arbeit aufgewachsen ist. Mit Freude und gutemWillen nahm sie den Dienst an. er bedeutete einen Zuschuß vonzehn Gulden zu dem kargen Familicneinkommen. Daheim warennoch sechs Geschwister, und Anna war die Zweitälteste. Wiewürde die Mutter sich freuen, wenn der Lohn ihr die schwereSorge der Miethe erleichterte.„Bei mir haben Sie fast keine Arbeit", hatte Frau vonMyutowska bei der Aufnahme gesagt,„nur niein Zimmer aufzu-räumen, meine Kleider in Ordnung zu halten und um mich zusein, wenn ich Sie brauche." Merlwürdigerweise brauchte FrauWeil die Mädchenheime nicht vom Standpunkt des proletarischenKlasseninteresses aus organisirt sind, so eignet ihnen auch nicht dieKraft und Fähigkeit, die Interessen der jungen Arbeiterinnen„alsArbeiterinnen" und als Erziehungsbedürftige im vollsten Umfangeund erfolgreich wahrzunehmen. Sie sind dazu verurtheilt, in dereinen wie der anderen Beziehung ihren Mitgliedern nur ein„Etwas"und„Einigermaßen" zu bieten.An dieser Thatsache wird dadurch nicht das Geringste geändert,daß Herr Professor Zimmer sich in dem freundlichen Wahne wiegt,der Interessengegensatz zwischen ausbeutenden Arbeitgebern und aus-gebeuteten Arbeitnehmern sei für die Angehörigen der Mädchenheimeausgeschaltet. Wonn gründet dieser Wahn? In der irrthümlichenAuffassung, daß„der eigentliche Gegensatz für einen Betrieb nicht derzwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein sollte und in Wirklichkeitist, sondern der des Produzenten gegenüber dem Konsumenten". Weiteraber in dem Umstand, daß„beide Klassen(Arbeitgeber und Arbeit-nehmer) in ein- und derselben Genossenschaft miteinander vereinigtseien". Wie aber liegen die Dinge in Wirklichkeit? Der Gegen-sah zwischen Produzenten und Konsumenten ist gewiß vorhanden,aber er ist nur sekundärer Natur und bildet nicht die Grundlageder Interessengegensätze im wirthschafilichen Leben. Die Grund-läge dieser Interessengegensätze ist die kapitalistische Erzeugung derGüter, welche eine Klasse von Unternehmern zur Voraussetzung hat,die Eigenthümer der Arbeitsmittel sind, und eine Klasse besitzloserArbeitskräfte. Die Gegensätze zwischen diesen beiden Klassen werdendurch den Gegensatz zwischen Produzenten und Konsumenten nichtaufgehoben. Auch wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenals Produzenten zur gemeinsamen Plünderung der Konsumenten organi-sirt sind, wird dem Unternehmer, als dem kapitalistischen Eigenthümer,der Löwenanlheil der Beute zufallen. Die proletarischen Arbeitskräfteerhalten aber nach wie vor nicht den vollen Werth ihres Arbeits-ertrags, sondern höchstens günstigenfalls einen etwas größeren Theildavon. Ihre wirthschaftliche Abhängigkeit vom Kapitalisten bestehtunerschütlert nach wie vor weiter.Was die Mädchenheime anbelangt, so tritt aber nicht einmalauf Kosten der Konsumenten eine Verbesserung ihrer Arbeits-bedingungen ein. Soweit Herr Professor Zimmer die Organisationderselben geschildert hat, tragen nur die Anstalten, in denen dieMädchen wohnen, einen genossenschaftlichen Charakter, keineswegs aberdie Spinnereien, in denen sie als Lohnarbeiterinnen thälig sind. AllemAnschein nach sind die Pensionärinnen der Heime nicht Aktienbesitze-rinnen der betreffenden Unternehmen, ja nicht einmal Gewinnbelheiligte.von MyutowSka Anna immer, bei Tag und bei Nacht; Frau vonMyutowSka war nervös, herrisch, launenhaft, Anna still, sanft,fleißig und verträglich. Sie paßten wunderbar zusammen. Frauvon MyutowSka konnte oft Nachts nicht schlafen— da sollte Annaauch auf sein und bei ihr bleiben, dazu war sie ja aufgenommen.Frau von Myutowska holte Nachmittags den versäumten Schlafder Nacht ein— Anna sollte indessen die Toilette in Standsetzen, damit Frau von Myutowska dann auf der Promenadetadellos gekleidet sei, dazu hatte sie ja ein Mädchen aufgenommen.Frau von Myutowska speiste an der Tadle ä'döte ausgewählteGerichte und bekam oft noch separate Leckerbissen, wie sie den ver-wöhnten Gaumen einer nervösen Dame nur reizen konnten—Anna ging zu Tisch nach Hause. Da die Familie schon zeitigeressen mußte, als Anna kommen durfte, so bekam diese eine auf-gewärmte Portion der schwer verdaulichen, selten Mehlspeisen, welchedas einzige MittagSgericht gebildet halte. Frau von Myutowskawar eine kräftig gebaute, blüh-nd aussehende Frau— Anna einschwächliches, zartes Geschöpf— das Richtige wäre gewesen, dieRollen zu vertauschen und Frau von Myutowska als AnnaS Pfle-gerin anzustellen. Beiden hätte der Wechsel wahrscheinlich gut gethan.Frau von Myutowska war nervös und abgespannt, es fehlte ihrheute Dies, morgen Jenes— Anna war immer müde, immermatt und hatte es nicht gelernt, dies zu beachten, sie unterordnetesich allen Launen der Herrin, sie murrte nicht, wenn sie umMitternacht geweckt wurde und bis zum Morgengrauen aufsaß,sie war flink mit der Nadel und peinlich ordentlich. Ihre Dienst-geberin war mit ihr zufrieden und fand über ihren vielen eigenenLeiden nicht Zeit, das Mätchen genauer anzusehen, zu bemerken,daß es täglich bleicher und schwächer wurde. Sie war daher nichtwenig unangenehm überrascht, als Annas kleine Schwester einesMorgens erschien und meldete, Anna könne nicht kommen, sie liegezu Bett und habe Blut gespuckt.