Wäre es der Fall, Herr Professor Zimmer hätte das Licht dieser Segnungen" sicher nicht unter den Scheffel des Stillschweigens ge- setzt. So sieht folglich dieGenossenschaft" aus, in derbeide Klassen miteinander vereinigt sind": die Besitzer der Spinnereien haben auf Grund von Antheilscheinen ä 10 Mark das billige Vergnügen, Ge- nossenschafter der Haushaltungsgenoffenschaft Mädchenheim zu sein und können als solche Einfluß auf dieselbe ausüben. Die Arbeite- rinnen aber sind nicht Genossenschafter der Spinnereibetriebe, besitzen also auch nicht den entsprechenden Einfluß auf Festsetzung der Ar- beitsbedingungen zc. DieGenossenschaft von Produzenten", welche nach Herrn Professor Zimmer den Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern siegreich überwindet, entpuppt sich als eine grobe Karrikatur des Genossenschaftsprinzips. Daran wird nichts gebessert, daß die genossenschaftliche Haus- Haltungsorganisation Mädchenheim einen Vertrag mit den Besitzern der Spinnereien abschließt, welcher die Arbeitsbedingungen regelt, und daß bei den Generalversammlungen die Arbeiterinnen die Ar- beilgeber zu überstimmen vermögen. Die betreffenden Bestimmungen geben den Mädchen wohl das Recht, höheren Lohn:c. zu fordern, aber nicht die Mittel, ihre Forderungen durchzusetzen. Wie aber, wenn die Besitzer der Fabriken sich entschieden weigern, den Vertrag den Ansprüchen der Mädchen, den Beschlüssen der Generalversamm­lung gemäß abzuändern? Es bleibt dann den Arbeiterinnen leine andere Wahl, als entweder sich dem Willen der Unternehmer zu beugen, oder aber für bessere Arbeitsbedingungen gegen dieAmtsgenossen- schafler" der Anstalt zu kämpsen. Zu Nichts zerstiebt die schillernde Seifenblase der Genossenschaft, in der kein Gegensatz von Arbeit- gebern und Arbeitnehmern vorhanden ist. Uebrigens bezweifle ich wohl mit Fug und Recht, daß es die Leitung eines Mädchenheims je zu einem ernsten Kampfe für bessere Arbeitsbedingungen kommen lassen wird. Und doch ist es unter Umständen ganz unmöglich, ohne einem solchen die Interessen der Arbeiterinnen ausgiebig zu wahren. Wollte Herr Professor Zimmer davon überzeugen, daß auch ohne Rücksicht auf die Interessen der Arbeiterinnen als Arbeiterinnen" die Pensionärinnen der Heime sich guter Arbeitsbedingungen erfreuen, er konnte sich den Rattenkönig wirthschaftlicher Irrungen und Wir- rungen ersparen. Er hätte dagegen eins thun müssen: eine einzige kleine Zahl über die Löhne der Mädchen anführen. Daß die Lebenshaltung der Mädchen in den Heimen eine bessere ist, als die der meisten Arbeiterinnen, ist nicht eine Folge günstiger Arbeitsbedingungen, sondern die Wirkung der Ueberlegen- heit und Vorzüge einer genossenschaftlichen Haushaltung. Die That- Das arme Ding", meinte die schöne Frau,aber das ist doch immer mein eigenes Pech habe ich einmal ein Mädchen, das mir paßt, muß es krank werden, und jetzt soll ich eine Neue suchen und abrichten; bei meinen Nerven wird das mich wieder auf Tage hinaus angreifen." ** * Indessen lag Anna zu Hause, Tag um Tag, Woche um Woche. Der Arzt schüttelte bedenklich den Kopf es war nicht viel zu machen, schlechte Ernährung von Kindheit an, Ueberanstrengung, das Ende galoppirende Schwindsucht. Ja. noch vor ein paar Monaten, mit kräftiger Nahrung und frischer Lust, hätte man die Entwicklung der Krankheit verhindern können, aber das Mädchen hatte sich in letzter Zeit zu viel angestrengt, zu viele Nachtwachen gehabt. Ganz klein und spitz ist das Gesichtchen, das zwischen den Kissen hervorschaut, und noch immer ist es schön, das Köpfchen einer Märtyrerin. In dem großen Zimmer, wo die Kranke liegt, wohnt auch die ganze übrige Familie, eS stehen noch drei Betten darin jedes nimmt zwei Personen auf, im Kinder- bett und im Korbwagen schlafen die kleinsten Sprößlinge, sie schreien oft in der Nacht. Anna kann nicht schlafen. Die Luft ist so dick, es athmct sich so schwer. Aber das Zimmer ist groß und schön, sie kennt viele Leute, die weit schlechter wohnen. Wenn sie nur schon gesund wäre. Ach, da kommt es schon wieder, das Ersticken der Husten, in Schweiß gebadet liegt sie da ist denn noch immer nicht bald Tag! Endlich, endlich, dann gehen die Kinder in die Schule, der Vater geht zur Arbeit und die Mutter nimmt die Kleinen in die Küche. Dann ist es ruhig im Zimmer ganz ruhig der gute Doktor hat ihr ja Morphiumtrovfen aufgeschrieben, die wird sie nehmen und dann schlafen, sie ist so müde, müde. ch* * fachen bestätigen hier, was gerade die' Sozialisten stets behaupten. Durch die vortheilhaftere Organisation des Haushalts wird jedoch der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen keineswegs überflüssig gemacht. Es handelt sich nicht darum, die Lebenshaltung der Ar- beiterinnen ein Weniges über das schwärzeste Elend empor zu heben. es gilt sie in Einklang mit den vorhandenen Wirthschafts- und Kultur- Möglichkeiten zu bringen. Diese Aufgabe vermag die genossenschaft  - liche Organisation des Haushalts nicht zu erfüllen, sie ist Sache des gewerkschaftlichen und politischen Kampfes der Arbeiterklasse, eines Kampfes, der nicht blos die Besserstellung, vielmehr die volle Be- freiung des Proletariats bezweckt. Den Vorwurf, daß die Mädchenheime die Arbeiterinnen nicht zur Betheiligung an der Gewerkschaftsbewegung erziehen, schüttelt Herr Professor Zimmer mit der Erklärung ab:Kinder in den Ent wickelungsjahren oder junge Mädchen vom 14. bis zum 20. Jahre sind keine selbständigen Mitarbeiterinnen für die Gewerkschaftsbe- wegung." Was Richtiges in dieser Erklärung steckt, ist eine billige Binsenwahrheit, die Niemand bestreiten wird. Jugendliche Elemente kommen denn auch für die Gewerkschaftsbewegung nicht als leitende, wohl aber als zu schulende Kräfte in Betracht. Keine der mir be- kannten Gewerkschaften nimmt Mitglieder vor dem vollendeten 16. Lebensjahre auf. Der ganze Zuschnitt des Lebens in der Gewerk- schaft bedingt es aber von selbst, daß die jungen Mitglieder keinen entscheidenden Einfluß auf Sein und Thun   der Organisation aus- üben, sie sind hier Lernende und nicht Führende. Wenn aber Herr Professor Zimmer die jungen Mädchen erst nach dem 20. Jahre für reif zur Antheilnahme an der Gewerkschaftsbewegung erachtet, so zeugt das von einer ganz reaktionären Auffassung. Junge Leute, einerlei welchen Geschlechts, die vom 14. Jahre an, oft noch früher. durch selbständige Erwerbsarbeit ihren Unterhall verdienen müssen, erlangen schon vor dem 20. Jahre die nölhige Reife, um durch Be- theiligung an der Gewerkschaftsbewegung, an der Besserung ihrer Arbeitsbedingungen mitzuarbeiten. Ter jugendliche Mensch, der reif ist für die kapitalistische Ausbeutung, ist unter der Leitung älterer, geschulter Kameraden auch reif für die Vertheidigung seiner Interessen gegen die kapitalistische Ausbeutung. Seitens eines evangelische» Christen und Monarchisten erscheint es mir außerdem sehr wider- spruchsvoll, mit dem Einwurfe von der Unreife junger Proletarier zu operiren. Wenn Kinder von 13 und 14 Jahren für reif befunden werden, zum Abendmahl zu gehen und die schwierigsten kirchlichen Doginen zu begreifen; wenn Fürstenkinder mit 18 Jahren mündig sind und über Aiillionen regieren können, so steht es schlecht an, Ar- Mit der Anna geht es zu Ende, liebe Frau", sagte der Arzt,ich glaube kaum, daß sie die Woche übet steht." O, Herr Doktor", schluchzte die arme Mutter,es ist zu hart, daß die Anna sterben muß, sie war immer ein so sanfte», braves Mädchen, sie hat jeden Kreuzer heimgebracht, und ich Hab' nie ein böses Wort von ihr gehört, Jeder hat sie gerne gehabt, auch ihre Frau." Hat sich Frau von Myutowska viel um die Anna gekümmert während ihrer Krankheit?" Gekommen ist sie nicht, weil das ihre Nerven nicht vertragen, aber sie hat vorgestern diesen schönen Schlafrock für die Anna geschickt, sie ist wirklich eine gute Dame", sagte die arme Frau gerühit, und wies mit Stolz auf einen verblichenen, abgetragenen rosa Seidenschlafrock. Wirklich eine gute Dame", wiederholt der Arzt, und ein bitterer Zug von Ironie umspielte seine Lippen. ** * Die kleine Anna wird immer schwächer, aber sie ahnt ihren Zustand nicht. Mutier", sagt sie,Mutter, sobald ich wieder gesund bin, muß ich gleich hinaufgehen und für dcn Schlafrock danken, es war so gut von meiner Frau, an mich zu denken." Die kleine Anna ist nicht mehr zu Frau von MyutowSka gegangen. Am 17. Mai hat man sie zu Grabe getragen genau an demselben Tage erhielt Frau von Myutowska eine neue Pariser Toilette, die ihr entzückend stand sie ging gerade unter den Klängen eines Wiener   Walzers, von einer Schaar von Be-- wunderern umgeben, auf der Uferpromenade spazieren, als einige hundert Schritte abseits zitternde Mutterhände die ersten Erdschollen auf dcn Sarg der kleinen Anna warfen. Annas Leichenbegängniß war ärmlich und dürftig wie ihr Leben das laute Schluchzen und Weinen der Ihren war die einzige Trauermusik.