beiterinnen erst nach dem 20. Jahre zur Gewerkschaftsbewegung zu laffen zu wollen, wo es sich um praktische Verhältnisse handelt, mit denen das junge Mädchen von Kindheit an vertraut ist.

Abgesehen von dem Wesensunterschied zwischen der Gewerkschaft und der Genossenschaft kann speziell die genossenschaftliche Erziehung des Mädchenheims der Arbeiterin die gewerkschaftliche Schulung nicht ersetzen. Sie nimmt nur Rücksicht auf die zweckmäßigste Ver­wendung der Existenzmittel, sie zielt jedoch nicht ab auf die Ver­mehrung der Existenzmittel selbst durch das Ringen um höheren Lohn. Die genossenschaftliche Erziehung der Anstalten steht im Banne des bürgerlichen Klassenstandpunkts, daß die Mädchen die Gewißheit haben, daß das, was nur überhaupt möglich ist, an materiellem Er­werb ihnen zufallen wird". Die gewerkschaftliche Schulung wird dagegen von dem proletarischen Klassenstandpunkt beherrscht, daß die Arbeiterin nur einen Bruchtheil von dem Ertrag ihrer Arbeit erhält, und daß dieser Bruchtheil durch das organisirte Handeln der Arbeitskräfte vergrößert werden kann und vergrößert werden muß. Die genossenschaftliche Erziehung der evangelischen Mädchenheime führt zum Abfinden mit den jeweiligen Arbeitsbedingungen, die gewerkschaftliche Schulung treibt zum Widerstand gegen schlechte, zum Kampfe für vortheilhaftere Arbeitsbedingungen. Kurz in feiner Richtung haben Herrn Professor Zimmers Ausführungen die grund­sägliche Beurtheilung zu erschüttern vermocht, welche die Mädchen­heime vom Standpunkt des proletarischen Klasseninteresses aus finden.

Zum Schlusse noch eine gedrängte Erwiderung betreffs etlicher praktischer Einzelheiten. Herr Professor Zimmer ist der Ansicht, daß die den Mädchen nöthige Erziehung sich sehr gut mit einer 10 bis 11stündigen Arbeitszeit verträgt. Diese Ansicht kann vor dem Richterstuhl der hygienischen und medizinischen Wissenschaft nicht bestehen. Schon längst haben vorurtheilslose Gelehrte festgestellt und durch reiches Beweismaterial ziffernmäßig erhärtet, daß der Arbeits­tag der erwachsenen Menschen nicht mehr als 8 Stunden betragen soll. In dem vorliegenden Falle aber handelt es sich nicht um er­wachsene Menschen, sondern meist nur halbwüchsige, in der Ent­wicklung begriffene Mädchen. Dazu noch eins: die 10- bis 11stündige Arbeit ist keine freie Arbeit, ist kapitalistisch ausgebeutete Arbeit, bei der keine Rücksicht waltet auf die Bedürfnisse der Arbeitskraft. Kein Zweifel, daß die 10 bis 11stündige Fabrifarbeit die Frische und Aufnahmefähigkeit der jungen Mädchen für den Unterricht herab­mindert. Kein Zweifel auch, daß das Nebeneinander von lang­stündiger Fabrikfrohn und Unterricht zu einer förperlichen und gei­stigen Ueberanstrengung führt, welche sich früher oder später an der Gesundheit rächt. Das gute Stück geistiger Arbeit, das die Arbeiter­flasse nach Feierabend noch leistet, ist kein Beweis für die Unschäd­lichkeit der überspannten Leistungsfähigkeit. Es spricht lediglich für den unbezähmbaren Bildungsdrang des Proletariats.

Daß übrigens die Mädchen bei 1 bis 1stündigem Unterricht täglich im Laufe von drei Jahren in wirthschaftlicher und geistiger Beziehung alles lernen, was zur Erfüllung ihrer Lebensaufgaben nöthig ist, kann nur der behaupten, der das zu erreichende Ziel, zumal in geistiger Beziehung, recht eng und niedrig steckt. Man vergesse nicht, was durch die Volts- und Armenschule, durch die traurigen Verhältnisse im elterlichen Hause an der geistigen Ausbildung der Mädchen gesündigt worden ist. Allerdings soll die Erziehung im Mädchenheim den Arbeiterinnen an Wissen und Können nur geben, ,, was für ihre Verhältnisse nöthig ist". Das ist nach bürgerlicher Meinung bekanntlich recht herzlich wenig. 10 bis 11 Stunden aber muß das junge Mädchen in der Fabrik frohnden, um sich die Mög­lichkeit zu erkaufen, in 1 bis 1 Stunde täglich dies Wenige er­werben zu können! Die Möglichkeit, ein Mehr an Zeit und Kraft der Ausbildung zu widmen, zieht Herr Professor Zimmer nur in Verbindung mit einem Weniger an Lohn in Erwägung! Der Ge­danke an die Möglichkeit einer eventuellen Minderung des kapita­ listischen   Profits in der Folge von kürzerer Arbeitszeit und gleich hohem oder höherem Lohne steigt ihm nicht auf. Herr Professor Zimmer beweist auch damit, daß die evangelischen Mädchenheime im Banne des bürgerlichen Klassenstandpunkts stehen.

Ob es überhaupt wünschenswerth und in der kapitalistischen  Gesellschaft möglich ist, daß die jungen Mädchen nach etlichen Jahren die Berufsarbeit aufgeben, diese weittragende Frage fann im Rahmen dieses Artikels nicht erörtert werden. Es sei nur noch der Idylle der Schleier abgerissen, die nach Herrn Professor Zimmers Meinung der Arbeiterin wartet, wenn sie Dank des in acht Jahren gesammel= ten Sparpfennigs von 1000 Mark in den Besitz eines fleinen Renten­gütchens getreten ist. Wer für Ankauf und Bewirthschaftung eines Rentengütchens nur über 1000 Mark verfügt, der verfällt unrettbar den Hypothekengläubigern, der ist gezwungen, neben der Selbstbewirth­schaftung seines Besigthümchens noch der Lohnarbeit nachzugehen. In 99 von 100 Fällen ist das Loos der begnadeten Rentengütnerin

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zwiefache Ausbeutung: als Scheinbesizerin wird sie durch das Wucher­fapital ausgeplündert, als Lohnarbeitende durch das industrielle oder landwirthschaftliche Kapital. Mehr noch als die Fabrikarbeiterin ist sie ein geplagtes Lastthier. Es zerrinnt der Traum, daß der Besitz eines fleinen Gütchens ihr die Möglichkeit sichert, in erster Linie Frau und Mutter zu sein. Hier wie in anderen Beziehungen zeigt sich, daß die irrthümliche Auffassung der gesellschaftlichen Verhältnisse, auf denen sich die Mädchenheime der evangelischen Diakonievereine aufbauen, mit denen sie rechnen müssen, zu geringen, minderwerthigen praktischen Erfolgen führen müssen. Daß die Mädchen mit dem Gebotenen zufrieden sind, ist kein Gegenbeweis. Es zeigt uns, daß die Mädchen an solch miserable Existenzbedingungen gewöhnt sind, daß schon die geringfügigsten Verbesserungen dankbar empfunden werden. Es zeigt nur weiter, daß den Mädchen noch der rechte Einblick in ihre Klassenlage und das rechte Verständniß für ihre wichtigsten Interessen fehlt. Die jungen Arbeiterinnen zum Klassen­bewußtsein erziehen und sie auf dem Boden des Klassenkampfs organi­siren, das ist von größerer praktischer Bedeutung für eine Hebung ihrer Existenzbedingungen in der Gegenwart, als die alles in allem dürftigen Vortheile, welche die Mädchenheime bieten. Klara Zetkin  .

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. In einer Reihe Orte Pommerns  , Ost- und Westpreußens   sprach in der Zeit vom 12. bis 26. Januar auf wiederholten Wunsch der dortigen Genossen und Genossinnen Ge­nossin Ziez- Hamburg in öffentlichen Frauen- und Volksversamm­lungen. Versammlungen fanden statt in Stralsund  , Barth  . Wol­ gast  , Stettin  , Danzig  , Elbing  , Königsberg  , Memel  , Til­sit, Kolberg   und Köslin  . In den beiden ersten Orten wurden Protestversammlungen gegen die geplante Flottenvorlage abgehalten und gelangten diesbezügliche Resolutionen zur einstimmigen Annahme. In Stralsund   war das Lokal überfüllt. Die Frauen stellten ein hohes Kontincent der Versammlungsbesucher, von denen manche sogar von der Insel Rügen   herbeigeeilt waren und mit sichtlichem Inter­esse den Ausführungen folgten. In Barth   war, trotzdem am selben Tage verschiedene Vergnügungen stattfanden, die Versammlung eben­falls glänzend besucht. Verschiedene Personen wurden der politischen und gewerkschaftlichen Organisation zugeführt. In Wolgast   und Stettin   war der größte Theil der Versammlungsbesucher Frauen, von denen sich vicle, die industriell thätig sind, ihrer Organisation anschlossen. In Danzig   war die Versammlung überfüllt. Auch hier wird allmälig das Interesse der Frauen an der Bewegung etwas reger. In Folge des unsäglichen wirthschaftlichen Druckes werden selbst die Blödesten wachgepeitscht und in die Arbeiterbewegung ge= trieben. In Elbing   und Königsberg   fanden überfüllte Frauen­versammlungen stait, in denen Genossin Zietz über Arbeiterinnen­schutz" und über Die Frau und der Sozialismus" sprach. An beiden Orten betheiligten sich die Genossinnen erfreulicherweise lebhaft an der Diskussion, dabei Bezug nehmend auf die miserablen örtlichen Verhältnisse. In Elbing   wie in Königsberg   wurden außer­dem noch Volksversammlungen abgehalten, die ebenfalls überfüllt waren. Zu der Elbinger Volksversammlung, in der Genossin Zietz über die geplante Flottenvorlage sprach, waren die Mitglieder des dortigen Flottenvereins eingeladen worden. Eine Anzahl von ihnen hatte der Einladung Folge geleistet, jedoch meldete sich troh wieder­holter Aufforderung Niemand zum Wort. In Memel   war nicht nur das Lokal überfüllt, sondern viele Personen mußten des mangeln­den Platzes wegen umkehren. Die Lage der werkthätigen Bevölkerung ist hier im Allgemeinen eine überaus traurige, so daß die Frauen durch­weg mit frohnden müssen, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Die Noth zwingt z. B. Angehörige des schwachen Geschlechts", im Hafen die schwere Arbeit des Ladens und Löschens von Schiffen zu verrichten. In neuerer Zeit sind erfreulicherweise erfolgreiche Versuche gemacht worden, durch festen Zusammenschluß die jämmerliche Lage der arbeitenden Bevölkerung zu verbessern und besonders schweren Uebelständen entgegen zu wirken. In der letzten Versammlung wurde nach dem mit stürmischem Beifall aufgenommenen Referat eine An­zahl Personen der politischen Organisation sowie dem Hafenarbeiter­verband zugeführt. In Tilsit   konnte nach drei Jahren zum ersten Male wieder eine Voltsversammlung tagen, drei Jahre lang war es nicht möglich gewesen, ein Lokal zu bekommen. Da in dem kaum unter Dach gebrachten Lofale noch keine Gasleitung vorhanden war, sollte der Raum durch Petroleumlampen beleuchtet werden. Die hochlöb­liche Polizei verbot dies jedoch wegen der damit verbundenen Feuers­gefahr. In einigen anderen Sälen, die zu Tanzlustbarkeiten benußt werden, scheint diese Gefahr nicht vorhanden zu sein, wenigstens hat die Behörde sich bis dato nicht darum bekümmert. Wie immer, so wußten