hatten dem Verband nur 522 weibliche Mitglieder angehört. In Folge der Lohnbewegungen, die sich über ganz Deutschland erstreckten, zählte die Organisation Ende 1896 nicht weniger als 1771 weibliche Mit­glieder. Angesichts der Schwierigkeiten, welche dem Festhalten der Arbeiterinnen an der Organisation entgegenstehen, muß es als ein zufriedenstellendes Resultat bezeichnet werden, daß dem Verband nach dem Abfluthen der Lohnbewegungen Ende 1896 noch 1465 Arbeite­rinnen treu geblieben waren. Der Rückgang der weiblichen Mitglieder auf 1444 im Jahre 1897 und 1328 im Jahre 1898 ist gewiß sehr be­dauerlich, konnte aber nach dem jähen Anschwellen im Jahre 1896 nicht überraschen. Mit Freude ist es zu begrüßen, daß die Scharte nun wieder ausgewegt ist, und zwar allem Anschein nach für die Dauer, Besonders erfreulich ist, daß die Erhöhung der Mitgliedsbeiträge nicht zu einer Abnahme der Mitgliederzahl geführt hat. In den 3 Jahren 1897, 1898 und 1899 wurden 126 weibliche Mitglieder im Falle von Arbeitslosigkeit unterstützt. Die Zahl der arbeitslosen weiblichen Mit­glieder betrug in den betreffenden Jahren 45, 44 und 52. Sie er­hielten pro Person durchschnittlich im Jahre 1897 für 22,3 Tage 11,13 Mt., im Jahre 1898 für 16,8 Tage 8,37 Mt., im Jahre 1899 für 16,6 Tage 8,30 Mt. Auf den Kopf jedes Mitglieds entfiel 1899 ein Kassenvermögen von 19,17 Mt. gegen 6,15 Mt. im Jahre 1896. Die Leistungsmöglichkeit der Organisation ist also seit dem letzteren Jahre ganz bedeutend gestiegen. Der Buchbinderverband hat mit zu den ersten Gewerkschaften gehört, welche die Nothwendigkeit erkannten, die Arbeiterinnen aufzuklären und zu organisiren. Er hat zu diesem Zwecke manches Opfer gebracht. Wie die Thatsachen beweisen nicht ohne Erfolg. Gewiß daß der Verband erst einen geringen Bruchtheil der in Betracht kommenden Arbeiterinnen umfaßt. Aber andererseits muß in Betracht gezogen werden, daß die gewerkschaftliche Organi­sirung der weiblichen Arbeiter noch in den Anfängen steckt und gegen sehr große Schwierigkeiten ankämpfen muß. Denen, die an der so dringlichen und nützlichen Aufgabe arbeiten, die Arbeiterinnen der Organisation zuzuführen, mahnt deshalb das Erreichte, daß sie mit unerschütterlicher Geduld und Ausdauer weiter wirken müssen.

Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

Textilarbeiterinnenelend in Schlesien . In den fünf großen Fabriken zu Seidenberg bei Görlig, wo Gloriaseide hergestellt wird, sind etwa 2000 Leute beschäftigt, darunter sehr viele Arbeite­rinnen, weil nicht nur die Töchter der Textilarbeiter, sondern auch ihre Frauen ausnahmslos dem Verdienst nachgehen müssen. Arbeite­rinnen und Arbeiter verdienen in den Fabriken gleich. Es wäre jedoch voreilig, aus diesem Umstand auf gute Entlohnung der Frauen­arbeit zu schließen, er bedeutet umgekehrt nur eine sehr niedrige Bezahlung der Männerarbeit. Der Wochenverdienst stellt sich nämlich im Allgemeinen nur auf 8 bis 9 Mt. Nicht selten kommt es vor, daß nicht einmal dieser Betrag erreicht wird. Wenn auf Ketten und Spulen gewartet werden muß, so kann es vorkommen, daß die Frau nicht mehr als 4 Mk. und der Mann gar nichts verdient, oder aber daß beide zusammen nicht über 4 Mt. Wocheneinnahme hinauskommen. Daß Männer nur 3 bis 4 Mt. pro Woche verdienen, ist nichts Seltenes. Wie gut es das Unternehmerthum versteht, auf Kosten der höchsten Anstrengung der Arbeitskräfte seinen Gewinn zu steigern, dafür ein Beispiel. Für das Stück Carola" wird 6 Mk., für das Stück Satin" 8 Mt. bezahlt. Bedient jedoch eine Arbeiterin zwei Stühle, so wird ihr von jedem fertigen Stück dieser Waaren 2 Mt. abgezogen, so daß sie also bei doppelter Anstrengung im günstigsten Falle nur zwei Drittel des gewöhnlichen Lohnes verdient, während der Fabrikant, ohne auch nur einen Finger zu rühren, die Früchte ihrer gesteigerten Mühen einheimst. In der Umgebung von Seiden­berg sind zahlreiche Hausweber mit dem Weben von Taschentüchern beschäftigt, sie verdienen außerordentlich wenig. In Göppersdorf be­trägt der Wochenverdienst der Arbeiterinnen durchschnittlich 6-7 Mt., die Männer verdienen nicht mehr. Der durchschnittliche Verdienst wird durch die nämlichen Umstände wie in den Seidenberger Fabriken oft bedeutend verkürzt. Die Arbeit dauert von früh 6 bis Abends 7 Uhr und wird nicht durch Frühstücks- und Vesperpausen unterbrochen. Der Druck, den hier die Unternehmer auf die Arbeiter ausüben, ist geradezu unerhört. So stellen sie z. B. nur Arbeiter ein, welche die Zusage geben, daß auch ihre Frau in der betreffenden Fabrik arbeiten wird. Hier ist es also nicht unmittelbar die Noth, welche die Frau aus der Familie reißt, sondern das von der Profitgier diktirte Gebot des Fabrikanten, der über die geschickten Finger und die große Fügsamkeit weiblicher Arbeitskräfte verfügen will. Der freie" Textilarbeiter aber befindet sich in der Zwangslage, wählen zu müssen zwischen seiner Freiheit", die Frau den häuslichen Pflichten zu entziehen und der Fabrik zuzuführen und seinem guten Recht", als Beschäftigungsloser, Brotloser mit der Familie weiter zu wandern. Als kleiner ,, König Stumm" greift also der Unternehmer brutal in das

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Selbstbestimmungsrecht der Familie ein. In Görlig, wo haupt­sächlich Tuche, Kleiderstoffe und Seide gewebt werden, ist der Lohn für Arbeiterinnen und Arbeiter ebenfalls der gleiche, er beträgt im Durchschnitt 8 bis 9 Mt. pro Woche. Der ohnehin karge Lohn wird durch das auch hier übliche Abzugssystem in der ungerechtesten Weise geradezu schändlich geschmälert. Eine Firma H. zieht den Zweistuhl­arbeiterinnen und Arbeitern sogar 2,80 Mt. pro Stück vom normalen Verdienst ab. Bei Akkordlöhnen beträgt der Abzug 25 Prozent und steigt mit den höheren Säßen. In der Färberei der Fabrik wird von 7 bis 7 Uhr gearbeitet, und zwar ohne jede andere als die ein­stündige Mittagspause. Da im Betrieb die eigenthümliche Einrichtung besteht, daß jede Abtheilung desselben eine andere Arbeitszeit hat, so Eine ist eine Kontrolle über die effektive Arbeitszeit kaum möglich. Firma K. zieht ihren Arbeitskräften für 5 Minuten Zuspätkommen 50 Pf. ab, die angeblich der Betriebskrankenkasse zufließen. Da die Verwaltung derselben sich in den Händen der Werkmeister befindet, ist eine eingehende Nachprüfung seitens des Arbeitspersonals so gut wie ausgeschlossen. Zwar werden Revisoren ernannt, allein diese befinden sich in der Unmöglichkeit, die Kassenverhältnisse gewissenhaft kontrolliren zu können. Während der Fabrikbetrieb weitergeht, werden die Revisoren gerufen, um in ein paar Minuten ihres Amtes zu walten; die Arbeiterinnen befragt man bei der Arbeit betreffs der Neuwahl des Vorstands. Die Generalversammlung dauert etwa zehn Minuten, erfolgt kein Widerspruch, so gilt der Vorstand als bestätigt. Bemerkt sei, daß in den erwähnten Fabriken auf 98 Arbeiterinnen etwa 2 Arbeiter kommen, die natürlich angesichts der bedauerlichen Theilnahmslosigkeit ihrer Kolleginnen beim besten Willen nicht im Stande sind, durchgreifende Besserung der Arbeitsbedingungen herbei­zuführen. In Schweidnitz verdienen die Arbeiterinnen nur 5-6 Mt. wöchentlich, während es die Männer auf 9 Mt. bringen. Die Lage der Arbeiterinnen wird wesentlich dadurch verschlechtert, daß die Hausindustrie stark vertreten ist, und daß in der Folge Frauen von Unteroffizieren und kleinen Beamten um ein Taschengeld" arbeiten und durch ihre Schmußkonkurrenz das trockene Brot der Berufs­arbeiterinnen schmälern. In den Spinnereien und Webereien von Landshut und Umgegend müssen die Arbeiterinnen für den horrenden Lohn von 5 bis 6 Mt. wöchentlich frohnden. Die Männer, die meist als Hausweber thätig sind, verdienen noch weniger, nicht selten blos 3 Mt.! Jugendliche und kindliche Arbeitskräfte sind hier bevorzugte Ausbeutungsobjekte, die Schmiegsamkeit der Finger wie die Wider­standsunfähigkeit machen sie dem Kapital besonders werth. Wer irgend von der Familie verdienen kann, muß dem Broterwerb in der Fabrik nachgehen, vorausgesetzt, daß nicht im Hause der Webstuhl flappert. Nur die alten Leute und Kinder bleiben unter Umständen daheim, um das verschuldete Besitzthümchen zu hüten und zu bearbeiten. In den Textilfabriken von Grüneberg, wo ebenfalls weibliche Ar­beitskräfte vorgezogen werden, finden sich die gleichen Lohnverhältnisse und die gleichen Mißstände wie in den bereits genannten Orten. In einer Spinnerei soll es Usus sein, daß mehrmals in der Woche 36 Stunden hintereinander gearbeitet wird. Diese unverfrorene Mißachtung der gesetzlichen Vorschrift wurde dem Fabrikinspektor gemeldet, der hoffentlich Wandel schafft. Auch sonst fände er in den Grüneberger Spinnereien und Webereien viel zu rügen. Getrennte Ankleide- und Waschräume für die Arbeiterinnen und Arbeiter, sowie Aufbewahrungsorte für die Kleider fehlen fast überall. In allen Orten klagten die Arbeiterinnen über die Wirkungen des verderblichen Prämiensystems, das bei niedriger Entlohnung zur höchsten An­spannung der Kräfte antreibt. Die angeführten trockenen Thatsachen, insbesondere die Zahlen über den Verdienst enthüllen eine geradezu entsetzliche Fülle von Elend. Sie erzählen von ungesunden Woh­nungen, ungenügender und schlechter Nahrung, von Entbehrungen an allem, was das Leben lebenswerth macht, von freudloser Jugend und sorgenverdüstertem Alter. Diese dem Jammer überlieferten, zum Theil der Gleichgiltigkeit verfallenen Massen zur Begehrlichkeit" nach einer fulturwürdigen Existenz wachzurütteln, sie zum Kampfe für ihr Menschenrecht zu schulen und zu organisiren, ist eine dringende E. J. Aufgabe.

Kellnerinnenbewegung.

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Die Kellnerinnenbewegung in Berlin . Das Frauenkomite, welches die Initiative zu einer Hebung der Lage der Kellnerinnen ergriffen hat, hatte für die Nacht vom 4. zum 5. April eine zweite Versammlung einberufen, zu der auf Wunsch der Kellnerinnen nur Frauen zugelassen wurden, damit die freie Meinungsäußerung nicht durch Wirthe oder Agenten gestört werde. Bezeichnend ist, daß die Wirthe in vielen Lokalen die Zettelvertheiler hinausgewiesen hatten. Die trotz­dem erschienenen Kellnerinnen folgten mit gespannter Aufmerksamkeit dem einleitenden Referat von Frau Ihrer. In knapp gehaltener, sach­licher Darlegung schilderte es die Uebelstände, welche in diesem Beruf