lichen Wohlthätigkeit, oft noch besonders abstoßend gemacht durch Verquickung mit einer engherzigen konfessionellen Auffassung, durch pharisäerhafte Moral oder richtiger Unmoral, durch Selbstbeweih­räucherung. Fast durchweg zeigte es sich, daß den diskutirenden Damen und Herren der Blick fehlte für die sozialen Zusammenhänge, für die wahren Ursachen schreiender Uebel, vor Allem aber jeder Maßstab für das, was die Wohlthätigkeit leisten kann und was sie nicht leisten kann. Daher die Ueberschätzung der win­zigsten Schöpfungen, daher der Wahn, durch kleine Pflästerchen und sanfte Betteltränkchen die schwersten Gebrechen am gesell­schaftlichen Körper heilen zu können, daher das Gerede, daß man eine Gnade übe, wo unzulänglich eine Pflicht erfüllt wird, daher das Widerstreben, die Hauptthätigkeit auf den Kampf für soziale Reformen zu konzentriren. Ein Beweis dafür sind die Gesellschaften zur Unterstützung beschäftigungsloser Arbeiterinnen. Sie geben brot­losen Proletarierinnen Beschäftigung, aber nicht gegen äuskömmlichen Lohn, sondern gegen eine kleine Unterstüßung". In der Folge be­tämpfen sie weit weniger das Arbeiterinnenelend, als daß sie die Aus­beutung der Arbeiterinnen steigern. Die billigen Waaren, welche die betreffenden Organisationen liefern, üben nämlich einen verhängniß vollen, senkenden Druck auf die Löhne der Arbeiterinnen aus. Er­wähnt sei, daß der Kongreß eine von Frau Bieber- Böhm eingebrachte Resolution annahm, welche die Anstellung von Polizeimatronen for­dert. Die Verhandlungen in den Sektionen III, Erziehung", und V. Kunst, Wissenschaft, Literatur", können verhältnißmäßig am mei­sten befriedigen. Gewiß kein himmelstürmendes Leben pulsirte in ihnen, keine neuen, weitreichenden Ziele wurden gesteckt, man übersah, daß die Bildungsmöglichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft vor Allem das Monopol der besitzenden Klassen ist. Aber über die Er­ziehung und Bildung des weiblichen Geschlechtes, über die Bedeutung seiner geistigen und sittlichen Hebung für die Allgemeinheit, über die Zulassung der Frauen zur Lehrthätigkeit und Schulverwaltung 2c. wurde viel zutreffendes und Treffliches geäußert und gefordert. In der Hauptsache lassen sich die Arbeiten der beiden Sektionen in die Forderungen zusammenfassen: Gleiche Bildungsmöglichkeit für beide Geschlechter und möglichst gemeinsame Erziehung derselben, engere Verbindung von Unterricht und Erziehung, freies Wirken der Frau auf allen liberalen Berufsgebieten, umfangreiche Mitarbeit der Frau als Lehrende, Erziehende, Verwaltende und Bestimmende auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens.

Es ist in der Natur der Dinge begründet, daß bei den Ver­handlungen über Gesetzgebung und Moral" und die Arbeiterinnen­frage" sowohl die schroffsten Gegensätze zu Tage treten mußten, wie auch, daß hier am deutlichsten sich zeigte, wie sehr es den Frauen­rechtlerinnen aller Schattirungen im Allgemeinen noch an gründlicher Durchdringung der sozialen Verhältnisse, an einem scharfen geschicht­lichen Erfassen der gesellschaftlichen Erscheinungen, der sich voll­ziehenden Wandlungsprozesse mangelt, wie unklar und widerspruchs­voll in der Folge ihre Auffassung und ihre Stellungnahme zu wich­tigen Problemen ist.

In der zweiten Sektion waren es besonders zwei Fragen, welche zu langen Auseinandersetzungen führten: die der Prostitution und die der Nachforschung nach der Vaterschaft. Zur Frage der Prosti tution verfocht Frau Bieber- Böhm  , unterstützt von den beiden Ver­treterinnen des" Evangelischen Frauenbundes", den Standpunkt, daß die Prostitution ein Verbrechen sei, das vom Staate verfolgt und be­straft werden müsse. Ihm stand die etwas geklärtere Meinung gegen­über, daß die Prostitution ein Laster sei, das vom Staate nicht ge­ahndet werden dürfe, so lange nicht die öffentliche Ordnung und der öffentliche Anstand verletzt werde. Diese Auffassung, welche dem Wirken der Internationalen Föderation für die Abschaffung der Reglementirung der Prostitution" zu Grunde liegt, wurde von den meisten französischen, schweizerischen und deutschen Delegirten ver­treten, von Leiteren besonders wirksam durch die Damen Pappritz  , Stritt und Schirmacher. Frau Bieber- Böhm   und die Delegirten des Evangelischen Frauenbundes" kämpften gegen eine erdrückende Majo­rität mit einem Eifer, einer Zähigkeit und einem Muthe, die rückhalts­lose Anerkennung verdienen und einer besseren Sache würdig ge= wesen wären, als der vertretenen einsichtslosen und rohen Aufassung. Es braucht übrigens kaum besonders betont zu werden, daß auch die andere Seite ein erschreckend seichtes Gerede verübte, daß sie die Frage viel zu ausschließlich vom moralischen Standpunkt aus er­örterte und viel zu wenig in ihrem unlösbaren Zusammenhang mit den ursächlichen wirthschaftlichen Verhältnissen erfaßte. Bezeichnender Weise findet sich in den uns vorliegenden zahlreichen Berichten auch nicht die Spur einer Resolution, die ernste soziale Reformen fordert als wirksamstes Mittel, der Prostitution entgegenzuarbeiten. Immer­hin geht aus den Verhandlungen hervor, daß hier und da wenigstens Ansätze zu einer richtigen, allseitigen Beurtheilung der Prostitution

"

123

vorhanden sind. Mit allen gegen die Stimmen der drei erwähnten Damen nahm die Sektion folgende Resolution an: ,, 1. Die Prostitution ist ein Vergehen, aber kein Laster im strafrechtlichen Sinne. 2. Der Staat hat die Prostitution der Minderjährigen beider Geschlechter zu verhindern, so weit dies möglich ist, ohne in irgend einer Form die fittenpolizeiliche Reglementirung oder ein Ausnahmegesetz gegen die Frau einzuführen. 3. Die Sittenpolizei darf unter keiner Be­dingung die Zwangsuntersuchung über ein weibliches Wesen ver­hängen." In der Plenarversammlung wiederholte sich der Kampf der Meinungen mit dem gleichen Resultat.

Die Berathungen über die rechtliche Stellung des unehelichen Kindes wurden wie die über das eheliche Güterrecht fast ausschließ­lich von der Berücksichtigung französischer Verhältnisse beherrscht. Sie drehten sich im Wesentlichen um die Nachforschung nach der Vater­schaft welche der Kode Napoleon   bekanntlich verbietet- das heißt um die Pflichten des Mannes gegen die ledige Mutter und das un­eheliche Kind. Drei Meinungen standen einander gegenüber. Fräu­lein Chauvin, die erste Advokatin, welche in Frankreich   praktizirt, trat für gesetzliche Bestimmungen ein, welche sich eng an das neue deutsche bürgerliche Recht anlehnen, und dem Manne die Kosten für den Unterhalt der Wöchnerin, sowie eine gewisse Alimentationspflicht gegen das Kind auferlegen. Madame Pognon, die Vorsitzende der Liga für Frauenrechte", erblickte in der gesetzlichen Heranziehung des Mannes zu Pflichtleistungen für Mutter und Kind eine Ent­würdigung der Frau und forderte Erziehung der illegitimen Kinder auf Kosten des Staates. Ein Advokat endlich bekämpfte im Namen der Moral" jede Unterstützung der ledigen Mutter, die ihre Schuld büßen müsse, denn den Mann treffe keine Schuld, außer in den Fällen, wo er Gewalt anwendete". Auch nicht eine Stimme pflichtete der wundersamen Moral" schreiender Ungerechtigkeit und Hart­herzigkeit bei, welche der Herr predigte. Madame Pognons Stand­punkt wurde mit allen gegen sechs Stimmen verworfen. Mit er­drückender Majorität gelangte der Gesetzentwurf zur Annahme, den Madame Chauvin vorgelegt hatte. Uebereinstimmend wird berichtet, daß auch die deutschen Delegirten dafür gestimmt hätten. Da er sich, wie hervorgehoben wurde, eng an das neue deutsche bürgerliche Recht anlehnt, so eignet ihm jedenfalls auch die Enge, Beschränktheit und Ungerechtigkeit der diesbezüglichen Bestimmungen dem unehe­lichen Rinde und seiner Mutter gegenüber. Fräulein Dr. Schir­macher hatte in den Debatten Kritik an diesen Bestimmungen geübt, insbesondere aber an dem Paragraphen, welcher erklärt, daß das uneheliche Kind gesetzlich nicht mit dem Vater verwandt sei. Er­kläret mir, Graf Derindur, diesen Zwiespalt der Natur" zwischen dieser Kritik und der Abstimmung der Deutschen  !

In der vierten Sektion Arbeiterinnenfrage" kam es zu leb­haften Auseinandersetzungen für und gegen den gesetzlichen Arbeite­rinnenschutz. Die große Mehrzahl der Delegirten hielt an dem frauen­rechtlerisch- manchesterlichen Dogma fest, daß der gesetzliche Arbeiterinnen­schutz eine Entwürdigung der Frau bedeute, eine Schmälerung ihrer persönlichen Freiheit und ihres Rechtes auf Arbeit. Herren und Damen, die in ihrem ganzen Leben mit Berufsarbeit auch nicht einen blutigen Heller verdient haben, deren Arbeit im Kouponschneiden und Sich­bedienenlassen besteht, stimmten für das Recht" der Arbeiterin, sich schrankenlos ausbeuten zu lassen, ohne Rücksicht auf die Gesundheits­schädlichkeit des Betriebs oder der Beschäftigungsart, ohne Rücksicht auf Schwangerschaft und Niederkunft, ohne Rücksicht auf die Pflichten der Gattin und Mutter, ohne Rücksicht auf das Bedürfniß nach Ruhe, Erholung, Bildung. Es erwies sich klärlich, daß den weitaus meisten Berathenden auch die elementarsten Vorkenntnisse zur Beurtheilung der einschlägigen Verhältnisse abgingen, es fehlte ihnen jedes Ver­ständniß für die durch den Klassengegensah bedingten Unterschiede in der Lage und den Interessen der Proletarierinnen und bürgerlichen Damen, jedes Wissen über die Nothwendigkeit, die Bedeutung, das Wesen des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes und seiner Wirkungen. Dem Manto an Kenntnissen und Einsicht stand ein Ueberschuß von tönenden Phrasen und Gemeinplätzen gegenüber. Die kleine Schaar der Verfechterinnen des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes vertrat ihre grundsätzliche Auffassung mit Schärfe, Klarheit und Wärme. Leider wurden nur die allgemeinen grundsätzlichen Erwägungen zu wenig durch positives Thatsachenmaterial unterstützt. Es freut uns, daß die deutschen Delegirten den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz eindringlich befürworteten, in besonders lichtvollen Ausführungen trat Fräulein Salomon für ihn ein. Unsere Frauenrechtlerinnen haben unstreitig durch die sozialistische Kritik gelernt, hoffentlich zeitigt die geläuterte Einsicht fruchtbare Thaten. Die Ansicht der Majorität vermochten sie nicht zu ändern. sie nicht zu ändern. Der Kongreß erklärte sich für vollkommene Freiheit der Arbeit der Frau", er wollte nichts wissen von einem Verbot der Nachtarbeit; von einem Verbot der Arbeit in Betrieben und bei Beschäftigungsarten, durch welche der weibliche Organis­