Nr. 21.

Die Gleichheit.

10. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3122) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 10. Oktober 1900.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

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Inhalts- Verzeichniß.

Der Parteitag zu Mainz  . Frauenrechte vor dem Mainzer   Parteitag.  - Zur Lage der Neuplätterinnen. Von Hans Marcwald. II. Aus der Bewegung. Feuilleton: Knipst, Brüder, knipst! Skizze von Mark Twain  . Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Frauen­bewegung. Vermischtes.- Der Taugenichts. Gedicht von G. Keller.

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Der Parteitag zu Mainz  .

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A

Seit dem Falle des Sozialistengesezes hat noch kein sozial­demokratischer Parteitag sein Arbeitsprogramm so schnell erledigt, als der Parteitag zu Mainz  . Die Kürze der Verhandlungen wurde nicht nur durch den Hinblick auf den bevorstehenden internationalen Sozialistentongreß zu Paris   veranlaßt, sie war vielmehr wesentlich noch durch andere Umstände bedingt. Zunächst war die Zahl der Zunächst war die Zahl der vorliegenden Anträge sowohl zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung wie solche allgemeiner Natur- feine sehr erhebliche. Dann aber traten zu einer Reihe von Verhandlungsgegenständen keine schroff von einander abweichenden Meinungen zu Tage. Geschäfts- und Thätigkeitsbericht des Parteivorstandes, der Bericht über die parlamentarische Thätigkeit der Reichstagsfraktion, die Stellungnahme zur Maifeier gaben zu keinen erwähnenswerthen Debatten Veranlassung. Zur Frage der Weltpolitik kam eine Klärung der Meinungen gar nicht in Frage, hier handelte es sich nur darum, die Bedeutung des Referats und der Resolution da durch zu verschärfen, daß dem Drängen weiter Parteitreise nach einer fräftigen einheitlichen Protestbewegung gegen die Politik der gepanzerten Faust Ausdruck gegeben ward. Die Frage unserer Betheiligung an den Landtagswahlen unter einem Dreiflaffen­wahlgesetz ist wiederholt ausgiebig erörtert worden. Neue That­sachen dazu konnten weder von der einen noch der anderen Seite ins Feld geführt werden. So war es möglich, daß auch hier, aller vorhandenen Gegensätze ungeachtet, die Debatten ver­hältnißmäßig rasch zu einem Abschluß gelangten. Dagegen wäre unseres Erachtens eine eingehendere Erörterung unserer Stellung zur Verkehrs- und Handelspolitik am Plaze gewesen. Daß sie nicht erfolgt ist, erklärt sich wohl dadurch, daß weite Parteifreise noch nicht genügend von der Erkenntniß durchdrungen sind, wie einschneidend die einschlägige Frage und unsere grundsägliche Auf­fassung ihr gegenüber in die praktische Politik" und in die Gnt­wicklung des Wirthschaftslebens hineingreifen, wie bedeutsam sie für die Alltagsinteressen der Arbeiterklasse und der einzelnen Ar­beiterfamilie, für die dauernden Klasseninteressen des Proletariats sind.

Daß der Parteitag im großen Ganzen gute, nußbringende Arbeit geleistet hat, zeigt ein Ueberblick über seine Verhandlungen, das bestätigt auch der offene oder schlecht verhehlte Aerger der bürgerlichen Presse.

Der Parteitag hat die Organisation der Sozialdemokratie auf der Grundlage beschlossen, welche in dem vorgelegten Entwurf gegeben war, der von Auer mit gründlichster Sachkenntniß und frischem Humor begründet wurde. Von den vorgenommenen wenigen Aenderungen dünkt uns jene am wichtigsten, welche

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

die Zahl der Vorstandsmitglieder um zwei vermehrt, die dieses Jahr von den Kontrolleuren gewählt wurden, deren Wahl aber in Zukunft wohl sicher ebenso wie die der übrigen Angehörigen der Parteileitung vom Parteitag vollzogen werden wird. Wir hoffen, daß das Wirken der beiden Beisitzer dazu beiträgt, die Beziehungen zwischen dem Parteivorstand und den Massen der Parteigenossenschaft recht lebendig, anregend und fruchtbar zu er= halten. Daß über den Ausschluß aus der Partei nicht der Partei­vorstand entscheidet, sondern ein von diesem einzuberufendes Schiede= gericht, halten wir für eine schäßenswerthe praktische Verbesserung. Mit aufrichtiger Genugthuung erfüllt es uns, daß der Parteitag sich für die lose Organisationsform entschieden hat, welche dem demokratischen Wesen der Partei und den thatsächlichen Verhält­nissen entspricht, mit denen sie rechnen muß. Wie breiten Streisen der Bevölkerung, denen der Zwang der Umstände die Mitgliedschaft bei einem sozialdemokratischen Verein verwehrt, so wird damit das Recht auf Mitarbeit und Mitentscheidung in der Partei den Frauen gewahrt, denen die reaktionären Vereinsgesetze in dem größten Theile des Reiches den Eintritt in die sozialdemokratischen Orga nisationen verbieten. Die einschlägigen Debatten beschäftigten sich wiederholt eingehend mit der Frauenbewegung und werden eine fördernde Rückwirkung auf diese nicht verfehlen. Wir kommen an anderer Stelle ausführlich darauf zurück. Die beschlossene Orga­nisationsform ist unserer Meinung nach stramm und zentralisirt genug, um den Zusammenschluß fester, geschulter Kadres zu sichern, deren Einfluß und Disziplin in weite Kreise hinüberreicht und einen einheitlichen Aufmarsch, eine kraftvolle, einheitliche, zielbewußt geleitete Aktion der sozialdemokratischen Massen verbürgt. Anderer­seits aber eignet ihr die nöthige Elastizität, um der Sozialdemo­fratie in den verschiedenen Landestheilen und Ländern jene Freiheit und Selbständigkeit der Entwicklung und des Wirkens zu gestatten, die durch die Umstände bedingt ist. Was es betreffs der Orga­nisation noch zu bessern gelten sollte, das wird die Erfahrung bald zeigen.

Singers vortreffliches Referat, das in grundsätzlicher Schärfe die Stellung der Sozialdemokratie zur Weltpolitik martirte, sowie die anschließenden Debatten erwiesen mit erquicklicher Klarheit und Bestimmtheit, daß die Partei des proletarischen Klassenkampfes in unversöhnlichem Gegensatz der kapitalistischen   Ordnung gegenüber­steht und sich durch keinerlei Blendwerk und Schlagworte zu einer Milderung ihrer Gegnerschaft bestimmen läßt. Die zahlreichste Partei des Deutschen Reiches erhob in wuchtiger Einmüthigkeit flammenden Protest gegen die Politik des Weltmachtskibels und der Weltraubgelüfte und stellte ihr die Politik des Proletariats entgegen, eine Politik des Friedens und der Kultur, deren Grund­lage die Verbrüderung der Ausgebeuteten aller Länder ist. Gleich­zeitig brandmarkte sie mit der größten Entschiedenheit die Ansäge zum persönlichen Regiment und die Nichtbeachtung der Rechte der Volksvertretung, jene Begleiterscheinungen des Hunnenkriegs in China  , die ebenso die Ziele der Reaktion enthüllen, wie die er­bärmliche Feigheit und Schwäche des liberalen Bürgerthums. Daß die Sozialdemokratie sich nicht mit der bloßen Erklärung ihres grundsätzlichen Standpunktes zu den von den Ereignissen auf­gerollten Fragen begnügt, daß sie vielmehr eine energische Massen­bewegung gegen die Weltmachtspolitik, gegen den Absolutismus und für die Rechte des Parlaments entfesseln will: das gelangte in den Debatten klar zum Ausdruck. Das Gebelfer der bürgerlichen