Unleugbar wurde die Arbeitszeit in Folge der gesetzlichen Bestimmungen, zum Schutze der Arbeiterinnen in vielen Fabriken verkürzt. Dagegen haben auch manche Betriebe, die früher eine acht- oder neunstündige Arbeitszeit hatten, jetzt einen längeren Arbeitstag eingeführt. So behauptet Dr. Feig, daß in einer großen Fabrik 1892 die Arbeitszeit der jugendlichen Arbeitskräfte von 9 auf 19 Stunden, die der erwachsenen Arbeiterinnen von 10 bis 10V> Stunden auf II Stunden erhöht wurde. Vor der Reichskommission für Arbeiterstatistik machte Herr Hanfs, der technische Dirigent einer Berliner Wäschefabrik, betreffs der Arbeitszeit der Plätterinnen folgende Aussage:„Die Arbeitszeit ist von 7 Uhr Morgens bis 7'/° Uhr Abends, und dann haben diejenigen, die über 16 Jahre alt sind, je eine Viertelstunde zum Frühstück und zum Vesper und eine Stunde Pause zu Mittag, dürfen außerdem nur bis 7 Uhr beschäftigt werden." Die Berliner Plätterin Fräulein Kotzain erklärte, daß sie täglich 16'/s Stunden beschäftigt sei. Als Vertreterin der Heimarbeiterinnen der Plättbranche wurde eine Frau Reichelt vernommen, welche berichtete, daß sie 16V- bis 11 Stunden, einschließlich der Lieferzeit, arbeiten müsse, um sich zu ernähren. Sie braucht eine Stunde zum Liefern, da der Weg allein jedesmal 26 bis 2S Minuten beansprucht. Der Wäschefabrikant Bartelsmann aus Gadderbaum bei Bielefeld , der nicht nur als Fabrikant vernommen wurde, sondern auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Leinen- und Wäscheindustrie, sagte Folgendes aus: In seiner Fabrik besteht, die Pausen abgerechnet, eine zehnstündige Arbeitszeit von Morgens 7 Uhr bis Abends 7 Uhr. Am Sonnabend ist die Arbeitszeit in seinem Betriebe eine kürzere. In den übrigen Bielefelder Wäschefabriken haben die Plätterinnen meist elfstündige Arbeitszeit. Der Arbeitstag wird vielfach noch dadurch verlängert, daß die Neuplätterinnen eine Nebenarbeit nach Feierabend daheim verrichten müssen, nämlich das als Vorbereitung für das Bügeln»oth- wendige Zupfen der Wäsche, die durch Stärke und Wringmaschine stark zerknittert worden ist. Das Zupfen nimmt immerhin eine Stunde in Anspruch, und wir erachten es für eine empörende Zumuthung, daß die Plätterinnen nach ihrem schweren Tagewerk in der Fabrik auch noch in ihrem Heim für den kapitalistischen Ausbeuter frohnden sollen. Die in der Fabrik aushängenden Arbeitsordnungen enthalten manchmal recht humane Bestimmungen— aber„man richtet sich nicht danach", erklärte ein Fabrikant Herrn Dr. Feig. Man denkt gar nicht daran, die Frühstücks- und Vesperpause einzuhalten, und auch die Mittagspause schrumpft zu kurzen Minuten zusammen, während welchen hastig das karge Mahl hinuntergewürgt wird. Die Fabrikinspektoren können dem Unfug nicht steuern. Selbst den besten Willen Knipst, Brüder, knipst! Skizze von Mark Twain . Will der Leser so freundlich sein, einen Blick auf folgende Verse zu werfen und nachzusehen, ob er irgend etwas Gefährliches darin entdecken kann? „Schaffner, steigt ein Fahrgast ein, Knipst ein Loch in den Schein hinein! Für die Zehnpfennig-Tour einen weißen Schein, Für die Zwanzigpfennig-Tour einen grünen Schein. Für die Dreißigpfennig-Tour einen blauen Schein, Knipst ein Loch in den Schein hinein! Chor. Knipst, Brüder, knipset fein! Knipst ein Loch in den Schein hinein!" Ich stieß jünst in einer Zeitung auf dies Reimgebimmel und las es ein paar Mal durch. Es ergriff sofort ganz und gar Besitz von mir. Während des ganzen Frühstücks walzte es mir durchs Hirn; und als ich schließlich meine Serviette zusammenlegte, wußte ich nicht, ob ich etwas gegessen hatte oder nicht. Ich hatte mir Tags zuvor sorgfältig mein Tagewerk zurechtgelegt— eine erschütternde Tragödie in dem Roman, an dem ich schreibe. Ich ging ans Pult, um meine Blutthat zu beginnen. Ich ergriff die Feder, aber das einzige, was ich aus ihr herausbringen konnte, war:„Knipst ein Loch in den Schein hinein!" Eine Stunde lang kämpfte ich schwer, aber es war umsonst. Mein Kopf summte weiter:„Für die Zehnpfennig-Tour einen weißen Schein, für die Zwanzigpfennig-Tour einen grünen Schein", u. f. w., u. f. w., ohne Rast und Ruh'. Mit dem Arbeiten war es vorbei— so ihrerseits vorausgesetzt, mangelt es ihnen an Zeit zur Kontrolle aller Betriebe und zu deren öfterer Revision. Zu der nöthigen Vermehrung der Zahl der Fabrikinspektoren aber haben wir kein Geld. Wohl haben wir Milliarden für Militär, Marine und abenteuerliche Weltpolitik, wohl können wir die Palästinafahrten reicher, gut besoldeter Staatssekretäre aus Reichsmitteln bestreiten, für die Beaufsichtigung der Fabriken und die Durchführung der Arbeiterschutzgesetze fehlen dagegen dem Staate der„Sozialreform" die Mittel. In den Großstädten, namentlich in Berlin , ist die lange Arbeitszeit für die Plätterinnen um so ungünstiger, als diese meist an der Weichbildgrenze wohnen und zwischen ihrem Heim und der Arbeitsstatt sehr weite Wege zurückzulegen haben. Kein Wunder darum, daß auch Arbeiterinnen, die selbst einen Hausstand führen, wie solche, die bei ihren Eltern wohnen, meist das Mittagessen nicht zu Hause einnehmen können. Wir haben schon darauf hingewiesen, wie ver- hängnißvoll es für die Gesundheit ist, daß die Plätterinnen in der Folge nicht in. die frische Luft kommen und eine kurze Ruhe genießen. Ebenso ist es der Gesundheit nicht förderlich, daß das kalte oder gewärmte Essen hastig verzehrt wird, nur damit die Arbeit möglichst bald wieder aufgenommen werden kann. Eine Herabsetzung der Arbeitszeit der Plätterinnen und eine strenge Einhaltung der festgesetzten Pausen bei ihrer Arbeit ist dringend nöthig. Die Erfahrung hat bewiesen, daß eine kürzere Arbeitszeil nicht zu einer Verminderung des ohnehin schon kärglichen Verdienstes führt, wie dies seinerzeit die Unternehmer auch den Neuplätterinnc» einreden wollten. Nach der Einführung des gesetzlichen Maximalarbeitstags von 11 Stunden hielt sich ihr Verdienst auf der gleichen Höhe wie früher, weil die Verkürzung der Arbeitszeit durch schnelleres Arbeiten weit gemacht wurde. Dr. Feig berichtet, daß zwei Direktricen einer großen Wäschefabrik ihm diese Thatsache bestätigten, und zwar in Gegenwart des Prokuristen der Firma, welcher das Gegen- theil behauptet hatte. Nach den Lohnlisten des nämlichen Betriebs verdienen die Neuplätterinnen am Sonnabend bei einer um 1'/- Stunden kürzeren Arbeitszeit als an den anderen Wochentagen, nur 26 Pf. weniger als an diesen. Diese 26 Pf. entsprechen aber nicht dem Verdienst von etwa 1'/-, sondern nur von einer Stunde. In manchen Wäschefabriken gesellt sich für die Plätterinnen zu niedrigem Lohn und harter langer Arbeit noch schlechte Behandlung. Nicht selten sind die Direktricen launenhaft und scheinen eine Art Vergnügen darin zu finden, die Arbeiterinnen zu chikaniren, ihre Arbeit zu tadeln und als fehlerhaft zurückzuweisen, die bescheidenste Meinungsäußerung mit schroffen Worten niederzubütteln w. Noch schlimmere Erfahrungen machen die Plätterinnen hier und da mit dem männlichen Aufsichtspersonal, mit deni Werkführer, der meist viel war klar. Ich gab es auf und schlenderte durch die Stadt und entdeckte sofort, daß meine Füße den Takt jenes erbarmungslosen Gebimmels einhielten. Als ich es nicht länger ertragen konnte, änderte ich meinen Schritt. Aber es half nichts; die Verse paßten sich dem neuen Schritte an und quälten mich genau so wie vorher. Ich ging wieder nach Hause und litt den ganzen Vormittag: litt, während ich mechanisch und ohne Genuß aß; litt und wimmerte den ganzen Abend; ging zu Bette und wälzte mich und warf mich umher und bimmelte immerzu, immer weiter; stand um Mitternacht halb wahnsinnig auf und versuchte zu lesen; aber auf der verschwimmenden Seite war nichts zu lesen als:„Knipst! Knipst ein Loch in den Schein hinein!" Bei Sonnenaufgang war ich verrückt und Jeder war erstaunt und bekümmert über den idiotischen Refrain meines Gefasels:„Knipst! O knipst! Knipst ein Loch in den Schein hinein!" Zwei Tage nachher, am Sonnabend Morgen, stand ich, eine wankende Ruine, auf und begab mich, einer Verabredung gemäß, zu einem werthen Freunde, Se. Ehrwürden Mr. N., um einen Spaziergang nach dem zehn Meilen entfernten Talcott-Thurm zu unternehmen. Er starrte mich an, fragte aber nicht. Wir brachen auf. Mr. N. erzählte und erzählte und erzählte— wie seine Gewohnheit ist. Ich sagte nichts; ich hörte nichts. Nach einer Weile sprach Mr. N.: „Mark, bist Du unwohl? Du siehst ja so hager und abgezehrt und geistesabwesend aus. Sprich etwas, bitte." Traurig, ohne Begeisterung, sagte ich:„Knipst, Brüder, knipset fein! Knipst ein Loch in den Schein hinein!" Mein Freund sah mich verwirrt an und sagte:„Ich kann nicht sagen, daß ich Deine Absicht fasse, Mark. Was Du gesagt
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