gewiesen. Genossin Zetkin referirte noch in Berlin in einer öffent­lichen Versammlung der Wäscherinnen und Plätterinnen über das Thema:Arbeiterinnenschutz". Der große Saal der Brauerei Lips war dicht gefüllt und zwar setzte sich das Publikum erfreulicher Weise fast ausschließlich aus Wäscherinnen und Plätterinnen zusammen. Auf zahlreiche Thatsachen und Zahlen gestützt welche dem bekannten Werke des vr. Johannes Feig, den Berichten der Fabrikinspcktoren und der Erhebung der Reichskommission für Arbeiterstatistik ent­stammten, gab die Rednerin ein Bild der Arbeits- und Lebensbeding­ungen der Wäscherinnen und Plätterinnen. Sie wies des Weiteren nach, daß diese sowohl umfassenden gesetzlichen Schutzes, wie der ge­werkschaftlichen Organisation bedürften, um ihre Existenz zu einer menschenwürdigen zu gestalten. In der Diskussion brachten Genosse Trinks und die Genossinnen Ihrer und Buckau zc. eine Reihe schwerer Mißstände zur Sprache, unter denen die Wäscherinnen und Plätterinnen leiden. Wie von verschiedener Seite festgestellt wurde, wagten viele derselben nicht, gleichfalls das Wort zu ergreifen, weil einige Direktricen und andere Angestellte großer Wäschefabriken der Versammlung beiwohnten, und die Arbeilerinnen in der Folge eine Denunziation und Maßregelung befürchten mußten. Der nämliche Um­stand bewirkte auch, daß unmittelbar nach Schluß der Versammlung sich nur wenige Arbeiterinnen, der ergangenen Aufforderung ent­sprechend, zur Aufnahme in die Organisation zu melden wagten. Die Anmeldungen erfolgten erst später; der Verein der Arbeiter und Arbeiterinnen der Wäschebranche hat durch die Versammlung 100 neue Mitglieder gewonnen. In Stuttgart und Erfurt hielt Genossin Ihrer auf ihrer Rückreise von der Schweizer Agitationstour Versammlungen ab. Die Versammlung in Stuttgart war der Aufklärung und Organisirung der Arbeiterinnen gewidmet. Unter gespanntem Interesse der an­wesenden Arbeiterinnen behandelte die Rednerin das Thema:Wer schützt die Arbeiterinnen vor Roth und Gefahr?" Mit ebenso viel Sachkenntniß als Mitgefühl für die Lage der Proletarierinnen verbreitete sich Genossin Ihrer über die Nothwendigkeit des gesetzlichen Schutzes, wie der Gewerkschaflsorganisation. In Anschluß an den mit reichem Beifall aufgenommenen Vortrag schilderten mehrere Ar­beiterinnen Uebelstände ihrer Berufsthätigkeit und forderten zum Eintritt in die Gewerkschaften auf. In Erfurt sprach Genossin Ihrer in einer sehr gut besuchten öffentlichen Volksversammlung über denInternationalen Sozialistenkongreß zu Paris ". UeberWeltpolitik und die politische Lage" sprach Ge­nossin Ihrer in drei ländlichen Orten des Kreises Osthavelland , gerechtfertigt. Ich weiß recht gut, daß man uns anderwärts solche Zustände verargt. Dafür aber kommt's bei uns selten vor, daß Mann und Frau sich gegenseitig das Leben durch Zwietracht ver­gällen." Ein verhangnißvoller Augenblick. Von Eugenie Jarobi. Zwischen einem an Bäumen und Rasenplätzen reichen Garten und einem großen Fabrikhof steht ein Wohnhaus von alterthüm- licher Bauart. Die zum ersten Stockwerk hinaufführende Treppe ersteigend gelangt man nach einem geräumigen Flure. Seine drei Fenster sind sämmtlich geöffnet worden. Unge­hindert strömen die erquickenden, zauberfrischen Düfte eines berückend schönen MaitagS herein. Auf den alten, ausgetretenen Dielen tanzen die frühlingswarmen Sonnenstrahlen in lieblichem, neckischem Spiele flimmernd und glitzernd auf und nieder. Eine von den Thülen , welche nach dem Flure zu münden, ist nur angelehnt. In ihrem Rahmen steht, mit einer Nachbarin plaudernd, eine Frau, an die ihr siebenjähriges Töchterchen sich schmiegt. Die Unterhaltung dreht sich hauptsächlich um das erst wenige Wochen alte Brüderchen der Kleinen. Da entfällt einer der Sprecherin die von der Anderen sehr beifällig aufgenommene Aeußerung:Ich freue mich recht darüber, daß ein Junge eingetroffen ist. Knaben sind doch besser als Mädchen." Weit und angstvoll öffnen sich bei diesen grausamen Worten zwei kleine Augen. Sie irren in unfaßbarem Befremden hin und her zwischen dem Munde, der so lieblos urtheilte, und dem, der so unbedingt zustimmte. Kein Laut aber kommt über die zucken­den Lippen. Die aufhorchende Kleine, über die man in diesem in Velten , Marwitz und Hennigsdorf an aufeinanderfolgenden Sonntagen im November. Alle Versammlungen waren, speziell auch von Frauen, gut besucht, deren lebhaftes Interesse bewies, wie mehr und mehr auch bei dem weiblichen Geschlecht das politische Verständniß wächst. Gegner, die sonst in diesen Orten die Regierungspolitik zu vertheidigen pflegten, hatten sich diesmal nicht eingefunden. Eine Resolution im Sinne des Referats wurde überall einstimmig ange­nommen. In Berlin ks. referirte Genossin Ihrer in einer sehr stark besuchten Versammlung über:Die Konsumvereine ein Kampfmittel der Arbeiterbewegung". Auch in dieser Ver­sammlung waren zwei Drittel der Besucher Frauen, die ihr Interesse an der Sache bekundeten, indem sie sich sehr zahlreich zur Mitglied­schaft meldeten. Das allgemeine Interesse an den Konsumvereinen ist in Berlin im Steigen, der vor Kurzem gegründete Verein zählt nun bereits über 700 Mitglieder. Unter den Arbeiterinnen und Arbeitern der Tabak- und Zigarettenindustrie agitirte Genossin Vogel-Charlottenburg in letzter Zeit mit besten Resultaten. In Dresden sprach sie in einer Versammlung, die von etwa 2S0 Zigarettenarbeiterinnen be­sucht war, von denen 52 dem Verband der Tabakarbeiter beitraten. In Frankenberg erfreute sich die Versammlung eines sehr guten Besuchs, zumals seitens der Frauen. I» der Versammlung selbst, wie in der am folgenden Tage betriebenen Hausagitation wurden dem Verband mehr als 100 neue Mitglieder gewonnen, und zwar der großen Mehrzahl nach Arbeiterinnen. In beiden Versammlungen gelangte unsere Resolution, den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz be­treffend, einstimmig zur Annahme.Es geht vorwärts", das ist der trostreiche Eindruck, den die Reserentin von ihrer Agitation mit heimbrachte. V. Am 1. November war Genossin Zietz-Hamburg dem Rufe desVereins deutscher Sozialisten" zu Brüssel gefolgt und sprach im weißen Saale des Maison du Peuple über:Kämpfe des deutschen Proletariats". Außer den Mitgliedern des politischen Vereins waren eine Anzahl Mitglieder deutscher Gewerkschafts­organisationen mit ihren Frauen in der Versammlung erschienen. Letztere folgten mit sichtlichem Interesse den Ausführungen. Wie sehr unsere deutschen Genossen in Brüssel sich über alle politischen Vorgänge im Vaterland auf dem Laufenden zu erhalten suchen, be­weist nicht nur der Umstand, daß derVorwärts" undDer Wahre Jacob" hier sehr viel gelesen werden, dafür spricht auch die Tages­ordnung der nächsten Versammlung:Die Betheiligung der Sozial­demokraten an den preußischen Landtagswahlen". In öffentlichen Augenblick völlig gedankenlos hinwegsieht, steht wie gebannt, als ob sie von einem lähmenden Schlage getroffen wäre, da. Knaben sind doch besser als Mädchen!" In vielfachem, schrill-gellendem Echo hallt dieser Ausspruch in ihrer Seele wider. Verzweifelnd, in heißem, verzehrendem Schmerze fragt sie sich ach, wie so oft:Was kann ich dafür, daß ich schlechter, daß ich nur ein Mädchen bin?" Seit dem Tage, an dem unbedachtsam ein geringschätzendes Urtheil über ein Menschenleben ausgesprochen wurde und wenn es auch nur das eines Mädchens war! sind viele Jahre dahin­geschwunden. Ergrautes Haar deckt nun bereits den Scheitel des einstigen Kindes. Mit Flammcnzeichen aber und genau bis in die kleinsten Einzelheiten hinein! ist die Erinnerung an jenen ver- hängnißvollen Augenblick in der Seele hasten geblieben. Das in dem jungen Gemüth bei dem erhaltenen Schlage zu­erst aufzuckende brennende Schmerzgefühl war zwar bald erloschen, doch es blieb eine Wunde zurück, die nicht vernarbte, und auf die kein lindernder Balsam fiel. Wohl aus einer Art Stolz verschloß die Getroffene das herbe Weh in sich. Ihr zartes Alter machte es ihr unmöglich, mit den Waffen des Verstandes gegen das gehörte herbe Wort anzukämpfen. Den schlimmen Fortwirkungen blieb sie daher um so schutzloser preis­gegeben. Um ihr Inneres legte sich ein erstarrender Reif. Die Harm- und Sorglosigkeit der Kindheit war ihr genommen, der Zauber des Jugendlebens zerstört. Zu einem Fremdling unter den Menschen wuchs sie heran, ein Fremdling unter denselben blieb sie für immer. In den beiden Frauen aber, die keineswegs roh und herzlos waren, ist nie auch nur dämmernd eine Ahnung des durch ihre Worte angerichteten Unheils aufgestiegen.